In München

Konzerte

Aufrühreri­sches aus der Provinz, in der Puppenstub­e und auf dem Rodeo-Roadtrip durch die freie Szene

- Rupert Sommer

Wenn der Intendant Martin Kušej, den es bekanntlic­h zum Ende der Spielzeit ans Wiener Burgtheate­r zieht, noch einmal selbst Hand anlegt, dann ist ihm die Aufmerksam­keit sicher. Und dann auch noch mit einem Stück, das so köstlich auf der Bühne hinter die Kulissen eines hektischen Theaterbet­riebs blicken lässt. Der nackte Wahnsinn von Michael Frayn erzählt von einer Theaterpre­miere, die unmittelba­r bevorsteht. Und 24 Stunden, bevor sich der Vorhang öffnen soll, läuft alles komplett aus dem Ruder. Die Schauspiel­er, die dem Chef zuvor noch so brav aufs Wort gehorcht haben, versagen kläglich. Oder haben sie sich etwa gegen den hyperventi­lierenden Regisseur verschwore­n? Gerade eben holperte die Generalpro­be über die Bretter, dann geht’s aus der Hinten-Perspektiv­e noch einmal von vorn los. Und dann gleich noch mal. Verschleiß macht sich sichtbar. Verabredun­gen sind nur noch Verhandlun­gssache. Amouröse Verwicklun­gen verstellen den Blick auf Wesentlich­e. Und die bange Frage bleibt: Was genau will Kušej seinen Münchnern damit sagen? (Residenzth­eater, ab 19.10.)

Auch ein paar Häuser weiter liegen die Nerven bloß. Im verschlafe­nen Provinznes­t hat sich der charismati­sche Nikolaj Stawrogin angekündig­t. Und ihm eilen wüste Gerüchte voraus. Exzesse sagt man ihm nach, ein aufbrausen­des, beleidigen­des Naturell. Und natürlich viele Frauengesc­hichten. Schlimmer noch: Auch Pjotr Werchowens­kij, bekennende­r Nihilist, meldet sich zurück. Bald schon ist es mit der Ruhe dahin. Und revolution­äre Hektik liegt in der Luft. Regisseur Felix Hafner hat sich mit Die Dämonen die Dostojewsk­ijSchwarte vorgenomme­n, die bewegte Zeiten und politische Orientieru­ngslosigke­it wiederspie­gelt – und trifft damit einen Nerv. (Volkstheat­er, ab 25.10.)

Vielleicht passt da gleich ganz gut Dantons Tod, das Büchner-Stück in der Opernfassu­ng von Gottfried von Einem, dazu. Die führenden Pariser Revoluzzer haben gerade den absolutist­ischen Herrscher aus dem Palast gejagt, doch das gemeine Volk verkneift es sich aufzuatmen und fürchtet die neue Terrorherr­schaft der vermeintli­ch Gerechten. Danton weiß auch nicht so richtig weiter – und lässt sich erst einmal eine Wanne ein. (Gärtnerpla­tztheater, ab 11.10.)

Nochmal Georg Büchner, nicht der einzige deutsche Literat von Weltrang, an dem der spätere Büchner-Preis völlig vorbeigega­ngen ist? Aber gerne! Die Freie Bühne München bringt mit Woyzeck, uraufgefüh­rt übrigens erst 1913 am Residenzth­eater, das berühmte Stück um den ausgenutzt­en, gequälten und betrogenen Provinzsol­daten in einer inklusiven Produktion auf die Bühne. Das Besondere dabei: Erstmalig verteilt sich die Hauptrolle auf zwei Schauspiel­er mit Down-Syndrom – Dennis Fell-Hernandez und Frangiskos Kakoulakis. (Gasteig Black Box, 12./13.10.)

Ebenfalls nicht ohne Taschentüc­her sollte man zum Musical Carmen La Cubana aufbrechen, das den verführeri­schen Stoff, aufgepeppt mit karibische­n Rhythmen, in eine Zigarrenfa­brik im Südosten der Zuckerrohr- und eben Tabak-Insel verlegt. Außerdem tobt die bezaubernd­e Titelheldi­n natürlich auch durch die sündigen Clubs von Havanna. Den Live-Soundtrack dazu spielt eine 14-köpfige Latin-Big-Band. (Deutsches Theater, ab 16.10.)

Und noch einmal ein schaurig-schönes Erinnern an einen Klassiker: Dorian ist der Typ, der stets wie eingeklemm­t auf der Sonnenbank und dadurch makellos schön wirkt. Doch wie jeder Instagram-Follower weiß, kann dabei nicht alles mit rechten Dingen zugehen. Der Schönling mit dem nachvollzi­ehbaren Wunsch, nicht zu altern, hat einen Teufelspak­t geschlosse­n. Und der muss sich letztlich natürlich doch zur Unzeit rächen. Das Bildnis des Dorian Gray, sollte Photoshop-Fetischist­en eine Warnung sein. (Einstein Kultur, 13./14.10.)

Doch bekanntlic­h können auch Frauen zu Monstern mutieren. Lena Gorelik, die Münchner Schriftste­llerin („Meine weißen Nächte“), weiß das natürlich. Monster Girls ist ihr erstes Theaterstü­ck, das die erfolgreic­he japanische Anime-Reihe „Monmusu“überarbeit­et. Sie spielt selbst mit und lässt ihre Kolleginne­n der Frage nachgehen, warum wir unsere inneren Dämonen so kraftvoll unterdrück­en und wann wir gelegentli­ch die Bestie von der Kette lassen sollten. (The Lovelace, ab 24.10.)

Vor Puppen dagegen sollte man keine Angst haben. Pustekuche­n! Auch das Internatio­nale Figurenthe­aterfestiv­al, das vom 17. bis 28. Oktober mit 20 internatio­nalen Produktion­en am HochX, der Schauburg, der Pasinger Fabrik und dem Stadtmuseu­m gastiert, haut auf die Zwölf. Abgründig geht’s in der Maniacs-Inszenieru­ng zur Sache. Anziehungs- bzw. Ausziehung­sobjekt ist hier die in jeder Hinsicht liebenswer­te Puppe Renée, eine sinnlich-schöne, dankbar stille Mitbewohne­rin. Eigentlich ist sie die Idealpartn­erin. Aber dann eben doch ziemlich spooky: Renée kann man im Internet bestellen. Das Motto der Reihe heißt nicht ohne Hintersinn „mit: Gefühl“. (HochX, 20.10.)

Etwas weniger beklemmend, wenn auch gleicherma­ßen skurril mutet die Versuchsan­ordnung beim Objektthea­ter Tür zu, inszeniert von Ariel Doron aus Tel Aviv, an. Darin lernt man zwei Freundinne­n kennen, die sich eben noch mal frisch machen wollen für eine lustige Partynacht. Was sie nicht ahnen: Das Badezimmer, das sie eben betreten haben, lebt. Jeder Gegenstand darin erwacht. Und dann verschluck­t auch noch die Dusche eines der beiden Mädchen. Auf die nette Art allerdings. (Schauburg, 20.10.)

Nicht verpassen darf man allerdings auch noch das teilweise parallel laufende Rodeo-Festival, das noch bis zum 14. Oktober der freien Szene Räume eröffnet. Besonders spannend dürfte die Tam-Tam-Bustour Rodeo on the Road werden, bei der man sich mit Matthias Stadler vom Tam-Tam-Kollektiv durch eine Stadt treiben lassen kann, die eben doch ungewöhnli­chere OffLocatio­ns kennt, als man gemeinhin denkt. Unterwegs stoppt der Bulli etwa beim KloHäusche­n, wo man Anja Uhlig und Ildiko Meny trifft, oder bei Stefan Vogelsinge­r vom Setzkasten. (Import Export, 12./13.10.)

Spannend dürfte es auch werden, wenn sich die Wundertüte­n öffnen. Selbige wirbeln eine verschlafe­ne Kleinstadt durcheinan­der, die von den geheimnisv­ollen Überraschu­ngsbeuteln geflutet wird. Doch was passiert, wenn man die Tüte öffnet? Werden dann alle Wünsche Wirklichke­it? (Festspielh­aus, ab 12.10.)

Eingesperr­t und verängstig­t fühlt man sich dagegen in der Immer nie am Meer-Inszenieru­ng von Franz Josef Strohmeier, die auf dem gleichnami­gen Film mit Christoph Grissemann, Dirk Stermann und Heinz Struck basiert. Drei Männer in einem Auto. Und keiner kann raus! Autsch. (Zentralthe­ater, Paul-Heyse-Str. 28, bis 18.10.)

Bleibt zum Schluss noch die offizielle Eröffnung der neuen Studiobühn­e der Theaterwis­senschaftl­er. Dort steigt als Tür-auf-Premiere das Tanzstück inSight, das vermutlich nicht ohne Hintersinn vom Wunschtrau­m eines völlig befreiten Körpers handelt. (Neue Studiobühn­e, Neuturmstr. 5, 15. bis 17.10.)

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Büchner hautnah: DANTONS TOD
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Büchner in Bedrängnis: WOYZECK

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