Konzerte
Aufrührerisches aus der Provinz, in der Puppenstube und auf dem Rodeo-Roadtrip durch die freie Szene
Wenn der Intendant Martin Kušej, den es bekanntlich zum Ende der Spielzeit ans Wiener Burgtheater zieht, noch einmal selbst Hand anlegt, dann ist ihm die Aufmerksamkeit sicher. Und dann auch noch mit einem Stück, das so köstlich auf der Bühne hinter die Kulissen eines hektischen Theaterbetriebs blicken lässt. Der nackte Wahnsinn von Michael Frayn erzählt von einer Theaterpremiere, die unmittelbar bevorsteht. Und 24 Stunden, bevor sich der Vorhang öffnen soll, läuft alles komplett aus dem Ruder. Die Schauspieler, die dem Chef zuvor noch so brav aufs Wort gehorcht haben, versagen kläglich. Oder haben sie sich etwa gegen den hyperventilierenden Regisseur verschworen? Gerade eben holperte die Generalprobe über die Bretter, dann geht’s aus der Hinten-Perspektive noch einmal von vorn los. Und dann gleich noch mal. Verschleiß macht sich sichtbar. Verabredungen sind nur noch Verhandlungssache. Amouröse Verwicklungen verstellen den Blick auf Wesentliche. Und die bange Frage bleibt: Was genau will Kušej seinen Münchnern damit sagen? (Residenztheater, ab 19.10.)
Auch ein paar Häuser weiter liegen die Nerven bloß. Im verschlafenen Provinznest hat sich der charismatische Nikolaj Stawrogin angekündigt. Und ihm eilen wüste Gerüchte voraus. Exzesse sagt man ihm nach, ein aufbrausendes, beleidigendes Naturell. Und natürlich viele Frauengeschichten. Schlimmer noch: Auch Pjotr Werchowenskij, bekennender Nihilist, meldet sich zurück. Bald schon ist es mit der Ruhe dahin. Und revolutionäre Hektik liegt in der Luft. Regisseur Felix Hafner hat sich mit Die Dämonen die DostojewskijSchwarte vorgenommen, die bewegte Zeiten und politische Orientierungslosigkeit wiederspiegelt – und trifft damit einen Nerv. (Volkstheater, ab 25.10.)
Vielleicht passt da gleich ganz gut Dantons Tod, das Büchner-Stück in der Opernfassung von Gottfried von Einem, dazu. Die führenden Pariser Revoluzzer haben gerade den absolutistischen Herrscher aus dem Palast gejagt, doch das gemeine Volk verkneift es sich aufzuatmen und fürchtet die neue Terrorherrschaft der vermeintlich Gerechten. Danton weiß auch nicht so richtig weiter – und lässt sich erst einmal eine Wanne ein. (Gärtnerplatztheater, ab 11.10.)
Nochmal Georg Büchner, nicht der einzige deutsche Literat von Weltrang, an dem der spätere Büchner-Preis völlig vorbeigegangen ist? Aber gerne! Die Freie Bühne München bringt mit Woyzeck, uraufgeführt übrigens erst 1913 am Residenztheater, das berühmte Stück um den ausgenutzten, gequälten und betrogenen Provinzsoldaten in einer inklusiven Produktion auf die Bühne. Das Besondere dabei: Erstmalig verteilt sich die Hauptrolle auf zwei Schauspieler mit Down-Syndrom – Dennis Fell-Hernandez und Frangiskos Kakoulakis. (Gasteig Black Box, 12./13.10.)
Ebenfalls nicht ohne Taschentücher sollte man zum Musical Carmen La Cubana aufbrechen, das den verführerischen Stoff, aufgepeppt mit karibischen Rhythmen, in eine Zigarrenfabrik im Südosten der Zuckerrohr- und eben Tabak-Insel verlegt. Außerdem tobt die bezaubernde Titelheldin natürlich auch durch die sündigen Clubs von Havanna. Den Live-Soundtrack dazu spielt eine 14-köpfige Latin-Big-Band. (Deutsches Theater, ab 16.10.)
Und noch einmal ein schaurig-schönes Erinnern an einen Klassiker: Dorian ist der Typ, der stets wie eingeklemmt auf der Sonnenbank und dadurch makellos schön wirkt. Doch wie jeder Instagram-Follower weiß, kann dabei nicht alles mit rechten Dingen zugehen. Der Schönling mit dem nachvollziehbaren Wunsch, nicht zu altern, hat einen Teufelspakt geschlossen. Und der muss sich letztlich natürlich doch zur Unzeit rächen. Das Bildnis des Dorian Gray, sollte Photoshop-Fetischisten eine Warnung sein. (Einstein Kultur, 13./14.10.)
Doch bekanntlich können auch Frauen zu Monstern mutieren. Lena Gorelik, die Münchner Schriftstellerin („Meine weißen Nächte“), weiß das natürlich. Monster Girls ist ihr erstes Theaterstück, das die erfolgreiche japanische Anime-Reihe „Monmusu“überarbeitet. Sie spielt selbst mit und lässt ihre Kolleginnen der Frage nachgehen, warum wir unsere inneren Dämonen so kraftvoll unterdrücken und wann wir gelegentlich die Bestie von der Kette lassen sollten. (The Lovelace, ab 24.10.)
Vor Puppen dagegen sollte man keine Angst haben. Pustekuchen! Auch das Internationale Figurentheaterfestival, das vom 17. bis 28. Oktober mit 20 internationalen Produktionen am HochX, der Schauburg, der Pasinger Fabrik und dem Stadtmuseum gastiert, haut auf die Zwölf. Abgründig geht’s in der Maniacs-Inszenierung zur Sache. Anziehungs- bzw. Ausziehungsobjekt ist hier die in jeder Hinsicht liebenswerte Puppe Renée, eine sinnlich-schöne, dankbar stille Mitbewohnerin. Eigentlich ist sie die Idealpartnerin. Aber dann eben doch ziemlich spooky: Renée kann man im Internet bestellen. Das Motto der Reihe heißt nicht ohne Hintersinn „mit: Gefühl“. (HochX, 20.10.)
Etwas weniger beklemmend, wenn auch gleichermaßen skurril mutet die Versuchsanordnung beim Objekttheater Tür zu, inszeniert von Ariel Doron aus Tel Aviv, an. Darin lernt man zwei Freundinnen kennen, die sich eben noch mal frisch machen wollen für eine lustige Partynacht. Was sie nicht ahnen: Das Badezimmer, das sie eben betreten haben, lebt. Jeder Gegenstand darin erwacht. Und dann verschluckt auch noch die Dusche eines der beiden Mädchen. Auf die nette Art allerdings. (Schauburg, 20.10.)
Nicht verpassen darf man allerdings auch noch das teilweise parallel laufende Rodeo-Festival, das noch bis zum 14. Oktober der freien Szene Räume eröffnet. Besonders spannend dürfte die Tam-Tam-Bustour Rodeo on the Road werden, bei der man sich mit Matthias Stadler vom Tam-Tam-Kollektiv durch eine Stadt treiben lassen kann, die eben doch ungewöhnlichere OffLocations kennt, als man gemeinhin denkt. Unterwegs stoppt der Bulli etwa beim KloHäuschen, wo man Anja Uhlig und Ildiko Meny trifft, oder bei Stefan Vogelsinger vom Setzkasten. (Import Export, 12./13.10.)
Spannend dürfte es auch werden, wenn sich die Wundertüten öffnen. Selbige wirbeln eine verschlafene Kleinstadt durcheinander, die von den geheimnisvollen Überraschungsbeuteln geflutet wird. Doch was passiert, wenn man die Tüte öffnet? Werden dann alle Wünsche Wirklichkeit? (Festspielhaus, ab 12.10.)
Eingesperrt und verängstigt fühlt man sich dagegen in der Immer nie am Meer-Inszenierung von Franz Josef Strohmeier, die auf dem gleichnamigen Film mit Christoph Grissemann, Dirk Stermann und Heinz Struck basiert. Drei Männer in einem Auto. Und keiner kann raus! Autsch. (Zentraltheater, Paul-Heyse-Str. 28, bis 18.10.)
Bleibt zum Schluss noch die offizielle Eröffnung der neuen Studiobühne der Theaterwissenschaftler. Dort steigt als Tür-auf-Premiere das Tanzstück inSight, das vermutlich nicht ohne Hintersinn vom Wunschtraum eines völlig befreiten Körpers handelt. (Neue Studiobühne, Neuturmstr. 5, 15. bis 17.10.)