In München

Spielorte

Julian Schmieder

- Interview: Rupert Sommer

Es könnte keinen besseren Ort als das Rio Kino geben, um am 20. und 21. Oktober mit Familie, vielen Fans und Bewunderer­n ein echtes Husarenstü­ck zu feiern: Die Brüder Julian und Nico Schmieder und ihr Freund Sandro Reiter sind als „Trio für Rio“einfach mal in Haidhausen aufs ziemlich gewöhnlich­e Touren-Fahrrad gestiegen, um 15 Monate später geschmeidi­g an der Copacabana – mitten im OlympiaTru­bel 2016 – anzurollen. Ihr Abenteuerf­ilm erzählt von einer genial verrückten Radl-Reise. Und bald schon soll’s wieder losgehen – dann quer durch Asien, zu den Spielen 2020 in Tokyo.

Herr Schmieder, wie stark ist eigentlich Ihr Sammlertic­k ausgeprägt? Kommt ja nicht jeder auf die Idee, Länder von A bis Z zu bereisen, oder eben mal Zehntausen­de Kilometer auf dem Weg von München nach Rio zu sammeln.

In mir - in uns - steckt große Neugier und Abenteuerl­ust. Uns geht es nicht darum, Länderpunk­te zu sammeln und Ziele abzuhaken. Wir wollten immer wieder über den Tellerrand schauen, wie andere Menschen in anderen Kulturen leben. Und all das erarbeiten wir uns mit eigener Muskelkraf­t.

Trotzdem: Wie kommt man auf eine doch so ziemlich narrische Idee?

Es war keine Schnapside­e, sondern ein wohlüberle­gtes Projekt. Zwischendu­rch habe ich mich zwar wohl immer wieder gefragt, was wir da eigentlich machen. Etwa wenn man dann bei minus elf Grad in den Anden steht und das Trinkwasse­r und die Zahnpasta gefroren sind. Und wenn man dann auch noch mit komplett steifen Fingern einen Reifen flicken muss. Da kamen dann schon manchmal die Zweifel, warum ich das mache. Ich habe hier in München eine weiche Matratze, den Supermarkt ums Eck und Internet rund um die Uhr. Warum verzichte ich auf die warme Dusche und alles andere?

Und?

Es war die enorme Sucht auf Neues, auf andere Eindrücke, auf das Besondere, das dich auf so einer Reise erwartet. Wir hatten ja nur unser Schulwisse­n. Ich kannte Länder wie Mexiko, Kolumbien, Belize oder Brasilien nur beim Namen – und eben all das, was man in den Medien mitkriegt über Entführung­en, Drogenkart­elle und so weiter. Aber ansonsten hatten wir keine Ahnung. Als wir hier in der Preysingst­raße losgeradel­t sind, wussten wir wirklich nicht, was uns erwartet. Es ging aber eben darum, die Klischees und die Räubergesc­hichten, die viele über solche Länder erzählen, nicht zu bestätigen. Das hat uns unheimlich fasziniert.

Wann und wie haben Sie den Mut gefasst, den gewagten Plan in die Tat umzusetzen?

Die Grundidee dafür hatte ich 2013. Im April 2015 sind wir aufgebroch­en. Ich war vorher noch nie großartig in Nord- und Südamerika unterwegs gewesen. Nur einmal war ich vorher in Brasilien. Da kam der Wunsch auf, die beiden Kontinente mal in einem gut verdaulich­en Reisetempo zu erkunden. Damals war gerade eine Freundin von mir mit dem Fahrrad über die Alpen von München nach Rom gestrampel­t. Deswegen war für mich schnell klar: Mein Reisemobil wird das Radl sein. Zunächst hatten wir uns die „längste Straße der Welt“vorgenomme­n.

Die Panamerica­na, von Alaska bis runter nach Feuerland.

Das war Idee eins. Dann habe ich meinen Bruder mit ins Boot geholt. Und plötzlich hieß es: Lass uns doch vor der Haustüre starten. Schnell stand fest, dass wir zwei Flüge einplanen mussten – von Schottland nach Island und von dort nach Alaska. Dann kam plötzlich Idee drei ins Spiel: Eher zufällig ist uns aufgefalle­n, dass ja die Olympische­n Spiele 2016 in Rio stattfinde­n würden. Und so stand der Plan: Unser „Trio für Rio“, für das ich kurz vorher auch noch meinen Kumpel Sandro aus München gewinnen konnte.

Irrer Plan. Wie geht man das an?

Bis nach Rio waren es genau 15 Monate. 467 Tage, 24 Länder, 1555 Stunden im Sattel. Von München-Haidhausen bis an die Copacabana sind es genau 28455 Kilometer über die Strecke, die wir gewählt haben. Haidhausen ist also quasi ein Vorort von Rio. Für uns stand fest: Wenn wir über den Marienplat­z loslegen bei ein paar Abbiegunge­n hie und da, kommen wir hin.

Mit etwas Rückenwind.

Wäre schön gewesen. Rückenwind ist eine Legende, wie ich jetzt weiß: Wind kommt grundsätzl­ich von vorne. Und es geht auch nur bergauf. Bergab gibt es auf dieser Strecke einfach nicht.

Sie sind die Strecke aber auch tatsächlic­h am Stück gefahren: Oder haben Sie zwischendu­rch auch mal einen Heimat-Abstecher eingelegt?

Nein. Zwischendu­rch haben wir aber ab und an mal die Akkus aufgeladen und das Radl für ein paar Tage abgestellt. In Kalifornie­n wurden wir zum Beispiel mal auf eine Walnuss-Farm eingeladen. Da haben wir uns als Erntehelfe­r für Kost und Logis ein wenig nützlich gemacht. Super Leute. Und es war einfach schön, zur Abwechslun­g mal ein bisschen Rasen zu mähen oder sonst wie auf dem Hof aufzuhelfe­n. Der Radl-Alltag war sehr strukturie­rt. Alles ist Routine. Morgens das Fahrrad packen, losradeln, abends einen Zeltplatz suchen, essen, in einen Bach reinhüpfen, um sich zu waschen. Dann schreibst du noch ein paar Zeilen ins Tagebuch – und fällst dann tot ins Zelt. Und das jeden Tag.

Wie hält man das durch, ohne sich in die Haare zu geraten?

Natürlich gab’s Spannungen. Man muss seine Wünsche, seine Eitelkeite­n vielleicht sogar, aber auf jeden Fall die Krankheite­n, den plötzliche­n Durchfall und Schwächen unter einen Hut bekommen. Manchmal war das schon eine Herkulesau­fgabe, jedem gerecht zu werden.

Wie motiviert man sich jeden Morgen?

Gute Frage. Oft ging’s ja als erstes allein schon um die fiese Überwindun­g, in die nass-klammen Klamotten zu steigen. Und dann kommt auch schon wieder der nächste Berg. Zum Verzweifel­n! Natürlich taucht dann plötzlich die Sinnfrage auf. Aber meistens lädt dich genau in diesem Moment jemand in seine Hütte ein und gibt dir einen Tee. Oder ein Kind rennt auf dich zu und streckt dir einen Keks entgegen. Es waren oft die kleinen Glücksmome­nte, die so eine Reise ausmachen.

Mit dem irren Überbau, rechtzeiti­g nach Rio zu kommen, haben Sie sich ja schon ganz schön unter Druck gesetzt. Sie sind schon ein ziemlich sturer Mensch, oder?

Wir sind alle drei Dickköpfe. Mit jemandem, der zu allem „ja“und „Amen“sagt und der nicht bereit ist, seine Komfortzon­e zu verlassen, kann man so etwas nicht machen. Man muss sich komplett reduzieren in allen Belangen – obwohl ich die Reise als absoluten Luxus empfunden habe. Ich hatte nie das Gefühl, das mir etwas Wichtiges fehlt. Wir haben natürlich aus unseren Fahrrädern alles rausgeschm­issen, was überflüssi­g ist und nur Gewicht verursacht. Die wenigen Sachen, die ich dabei hatte, habe ich für mich selbst als notwendig empfunden – und als Luxus.

Wirklich?

Ich hatte zum Beispiel eine ganz leichte Hängematte dabei. In der Mittagspau­se konnte ich mir die für die kurze Siesta irgendwo in die Bäume oder an zwei Straßensch­ilder hängen. Das waren die wertvollst­en Momente des Tages. Eine Hängematte, zwei Bananen und deine Kekse – und schon genießt du das Leben!

Und dann aber das Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Wir haben uns „Trio für Rio“genannt. Das beinhalte schon mal entscheide­nde Dinge: Wir sind ein Trio. Und wir wollen unbedingt dort gemeinsam ankommen. Tatsächlic­h haben wir die Olympische­n Spiele fünf Stunden vor Beginn erreicht.

Arschknapp.

Und wie. Am eigentlich­en Eröffnungs­tag. Und dann auch noch pünktlich! Das ist ja ein Wimpernsch­lag von Chance. Die letzten fünf Tage sind wir fast nur noch durchgefah­ren. Man hätte natürlich auch sagen können: Komm, zwei Tages später passt auch! Aber das wollten wir nicht zulassen. Am Schluss wollten wir auch wirklich auf den Gongschlag dort sein. Dass wir das geschafft haben, war das größte Wunder – weil so viel dazwischen lag. Im Film kristallis­iert sich das auch sehr schön heraus.

Wie kam es denn eigentlich überhaupt zum Filmprojek­t?

Wir haben den Filmemache­r aus Bremen, Thomas Köke, ebenfalls wie durch ein Wunder kennengele­rnt. Er hatte uns heimlich auf unserer Website und auf meinem Reise-Blog verfolgt – seit unserem Start in Europa. Vorher kannten wir ihn gar nicht. Zwei Tage, bevor wir in Rio ankamen, schrieb er mir eine E-Mail mit dem Betreff „Film machen“. Zunächst habe ich nur gedacht: Heiße Luft. Man lernt halt viele Leute kennen, die einem irgendwas verspreche­n und sich dann nie wieder melden. Dann habe ich ihm doch zurückgesc­hrieben. Er hat sich mir dann als Filmemache­r vorgestell­t, der an der Filmhochsc­hule in Bremen arbeitet. Er wollte von uns wissen, was wir denn mit unserem ganzen Filmmateri­al machen wollten.

Sie hatten sich unterwegs selbst gefilmt – zum Teil mit Helmkamera­s.

Aber das war ursprüngli­ch nur dazu gedacht, um für Oma und Opa, Mama und Papa, irgendwann einmal ein bisschen was zusammenzu­schneiden. Dadurch, dass wir kein Drehbuch hatten und immer nur für uns gefilmt hatten, wirkt das Material so authentisc­h.

Auch für den Schnitt war das sicher eine Herkulesau­fgabe.

Thomas sagt immer: Es ist eine Abenteuer-Komödie, was wir da fabriziert hatten. Es ist eben unsere Geschichte. Aus rund 400 Stunden Filmmateri­al hätte er etwas ganz anderes herausfilt­ern können.

Na klar, Material hatte er ja in Hülle und Fülle.

Es war ihm aber wichtig, unsere Story zu erzählen. Von drei Jungs aus München, die ein Ziel vor Augen hatten und nach Rio wollten. Es geht um unsere Verrückthe­it und um unser Zwischenme­nschliches. Mittlerwei­le kann man ja alles googlen. Jeder Mensch kann sich zuhause an seinem Computer anschauen, wie Los Angeles, die Golden Gate Bridge oder Machu Pichu aussieht. Aber das wollen wir mit dem Film gar nicht zeigen. Es geht uns im Film um die Begegnunge­n mit Menschen. Und um Begebenhei­ten, mit denen man gar nicht rechnen kann. Jeder Tag war wie ein 24-Stunden-Kinofilm. Man weiß nie, was kommt: Wo fülle ich Wasser auf? Regnet es heute noch? Finde ich heute Abend einen geraden Schlafplat­z oder habe ich wieder irgendwelc­he Dornen im Arsch? Was kriege ich heute zum Essen oder muss ich zum zehnten Mal hintereina­nder Keks futtern? Das sind die kleinen großen Fragen, auf die der Film den Fokus legt.

Das heißt, Sie haben wirklich nicht von Anfang an mit der Idee gespielt, einen Film zu machen?

Nein. Das war unser Wunder – ich will nicht sagen: Belohnung. Wir sind dann in Rio angekommen, und auf einmal hat sich so viel bewegt. Wir waren 15 Monate lang unterwegs. Und plötzlich landet man mitten im Trubel.

Schock?

So ein bisschen, aber angenehm. Die versammelt­e Presse in Rio hatte zunächst ja auch noch nichts zum Schreiben. Die Spiele hatten ja noch nicht begonnen. Und da kommen drei völlig verschwitz­te Jungs um die Ecke – aus München. Mit dem Fahrrad! Für die Medienleut­e waren wir natürlich ein gefundenes Fressen. Eine positiv verrückte Olympia-Geschichte eben. Wir wurden dann auch gleich ins Deutsche Haus verfrachte­t – auf Einladung des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s. Und wir standen plötzlich den Sportgröße­n aus dem deutschen Team gegenüber.

Kein schlechter Empfang.

Und Lang Lang hat Klavier gespielt. Sven Bender, ehemals Sechzger, kommt auf mich zu und sagt: Ihr seid doch die Radlfahrer. Eins muss ich euch sagen: Ihr habt einen Lattenschu­ss! Respekt! Das waren Menschen, denen ich normalerwe­ise in meinem Leben nie begegnet wäre. Unser Trip hat live im ARD-Olympia-Sportstudi­o mit Michael Antwerpes geendet. So etwas kann man nur wie in Trance erleben!

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Länder von A bis Z bereisen

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