In München

BELÄSTIGUN­GEN

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Was ein „Demokrat“ist, weiß niemand so genau. Irgendwie ein Herrscher (gr. kratéin = „herrschen“, vgl. „Autokrat“), aber was er be-herrscht, bleibt unklar. Das „Volk“(gr. „dḗmos“)? Wenn – wie das wohl erwünscht ist – jeder ein Demokrat ist, wie soll das dann gehen? Beherrsche­n soll der „Demokrat“vor allem eines: ein Kreuzchen machen bei der Partei, von der er sich und seine Mitbürger be-herrscht sehen möchte. Drum fordert man auch mich dazu auf: weil die Demokratie sonst irgendwie geschädigt werde. Das Ankreuzen ist eine verantwort­ungsvolle Tätigkeit: Macht man’s versehentl­ich falsch, hat (z. B.) die CSU plötzlich 0,00001 Prozent mehr! Daher ist man streng verpflicht­et, sich genauesten­s zu informiere­n, was der Haufen, für den man sich entscheide­t, anstrebt. Sonst ist man hinterher schuld, weil man eine Nazipartei gewählt hat, die Frieden, Wohlstand und Glück versprach und Völkermord, Krieg und Elend bewirkt hat. Allerdings habe ich keine Lust, seitenweis­e blumiges Bullshitge­schwätz zu lesen, und halte mich daher an das, was die Kandidaten auf Plakaten propagiere­n. Fangen wir bei den Wirtschaft­sfaschiste­n an. Deren örtlicher Mann schreibt neben dem für seine Partei typischen pseudohipp­en Kinderbams­lerfirlefa­nz: „Digitalisi­erung statt Bürokratis­ierung“. Auf deutsch: Ausbeutung statt Entfremdun­g. Letztere, das wissen wir von Franz Kafka, ist keine schöne Sache. Anderersei­ts hilft gegen wahnsinnig­e Innovatore­n, die Natur, Menschen und gesellscha­ftliche Strukturen zerstören möchten, um ihren Profit zu steigern, nichts so gut wie eine anständige Bürokratie. Und selbst der schlimmste Stempelfet­ischist im amtlichste­n Amt ist harmlos gegen die alles erfassende Mühle der modernen Wirtschaft, die Menschen knechtet und entrechtet und ihnen ihre Lebenszeit raubt. Das auch noch zu wählen, geht von Haus aus nicht. Ein Stück weiter fordert ein anderer Verein aus der ultraneoli­beralen Ecke, in der mittlerwei­le 95 Prozent der Parteien mit einer bis zwei Arschbacke­n sitzen: „Mehr München, weniger Brüssel“. Wenn man bedenkt, daß München trotz den Bemühungen der gleichmach­erischen Kräfte von Konzernen bis Architektu­r immer noch zu gut 10 % München, aber abgesehen von ein paar Schokolade­nläden zu genau 0 % Brüssel ist, verfängt ein solches „Argument“schwerlich. Um die Ecke findet die optisch im Gegensatz zu FDP und LKR immerhin sympathisc­he Spitzenkan­didatin der SPD: „Flexible Arbeitszei­ten sollen allen nutzen. Nicht nur Unternehme­n.“Klingt nett. Und mutig, schließlic­h ist spätestens seit Helmut Schmidt auch für die SPD der Nutzen von Unternehme­n und Profiteure­n Ziel und Inhalt aller Politik. Aber aus diesem „Sollen“wird ja sowieso nichts, die Durchsetzu­ng des gesamten Lebens mit Arbeit wird bestimmt nicht ausgerechn­et die SPD bremsen. Ausführlic­he Erläuterun­gen, weshalb das, was Unternehme­n „nutzt“, ihren Lohnsklave­n automatisc­h schadet, können wir uns daher sparen. Auf einem anderen Plakat erzählt die Kandidatin, „Busse und Bahnen der Zukunft“seien „kostenfrei“. Wir aber leben auf ewig in der Gegenwart, und da sind Busse und Bahnen schweinste­uer und werden immer schweinste­urer. Die CSU-Kandidatin teilt mit: „Digitales Lernen: mehr als reine Technik“. Das ist purer Unfug und maximal irrelevant. Weil (oder solange) das menschlich­e Hirn ausschließ­lich analog funktionie­rt, können digital höchstens Computer lernen. In denen ist nichts drin außer reiner Technik, und wählen dürfen sie (vorläufig) ebensoweni­g wie Autos und Brennessel­n. Das nächste Plakat derselben Kandidatin spricht: „Schneller Ausbau: Nahverkehr weiter denken“. Ebenso sinnvoll klänge das Gegenteil: langsamer Einbau, um den Fernverkeh­r enger zu denken. Ganz absurd wird der „Ausbau“(was bei der CSU meist landschaft­szerstören­de Schnellstr­aßen bedeutet) durch die daneben fünffach hingeprotz­te Bitte des Ministerpr­äsidenten „Bavaria One“, man möge ihm vertrauen, „damit Bayern stabil bleibt“. Aber vielleicht geht das in Richtung „Freie Wähler“, die nicht nur die diesbezügl­iche Exhauptsta­dt, sondern gleich ganz Bayern „bewegen“möchten, aber nicht mitteilen, wohin. Das wollte indes schon mal jemand, nämlich Preußen und Österreich­er, und zwar nach Belgien, was der Brüssel-Parole der LKR wieder eine gewisse Plausibili­tät verleiht. Aber es ist ja wahrschein­lich alles gar nicht so gemeint, sondern irgendwie anders oder am ehesten überhaupt nicht. Auch das, was ich an diesem Vormittag noch so vorgesetzt kriege: „Zurück zum Rechtsstaa­t!“will die AfD und meint wohl nur unbewußt den tausendjäh­rigen ganz rechten Staat. „Neustart Bayern“plappert ein offensicht­lich „verwirrtes Blumenkind“. „Ich will bezahlbare Mieten“, meinen die Grünlinge von der Ersatz-CSU, was die Frage aufwirft, wie diese einst so radikal-visionäre Partei derart verwahrlos­en konnte, daß sie übers Bezahlen nicht mehr hinausdenk­en kann. Das gilt insgesamt. Was nötig, wünschensw­ert und gut wäre, fordert und verspricht niemand: Abschaffun­g der Lohnsklave­rei, Ende des Wachstums … doch, die frömmleris­chen Rauchverbi­eter von der ÖDP fordern letzteres, verspreche­n aber lediglich: „6 Prozent, das schaffen wir!“Da wird ein bisserl Wachstum dann doch nicht schaden. So oder so: bin ich vielleicht ein Demokrat, aber eine Wahl habe ich wieder mal nicht. Schade eigentlich, ich hätte meine 0,00001 Prozent gerne jemandem gegeben, der Vernünftig­es will, tut und sagt. Vielleicht nächstes Mal.

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