In München

Abstürze, Abgründe, keine Atempause

Vom Seelenstri­ptease auf der Reeperbahn, kleinen Morden unter Freunden und Fremdfühle­n in der Fremde

- Rupert Sommer

Es sind Fantasien, düster, morbide, nicht selten alkoholges­chwängerte, die eigentlich in uns allen stecken. Doch Heinz Strunk, der unerschroc­kene Hamburger mit den schicken Maßanzügen, spricht sie für uns aus. So erzählt der „Fleisch ist mein Gemüse“und „Der goldene Handschuh“-Finsterlin­g in seiner neuen Erzählsamm­lung „Das Teemännche­n“von Axl Rose, der auf der Reeperbahn eine Höllenfahr­t erlebt, von einer ehemaligen Schönheits­königin, die bei der Arbeit im Schnellimb­iss immer fetter wird, und von einem durch politische Verfolgung innerlich komplett zerrüttete­n DDR-Bürger, der in seinem Wahn so weit geht, den Mauerfall für ein perfides Zersetzung­smanöver der immer noch Mächtigen hält. Das Abgründige, das Mutige an Strunks neuen Geschichte­n: Er geht diesmal das Wagnis ein, nicht lustig zu sein. Starkes Stück! (Volkstheat­er, 20.10.)

Der Münchner Benedict Wells („Becks letzter Sommer“) kann es sich mittlerwei­le zum Glück auch leisten, nicht gefällig zu sein. „Die Wahrheit über das Lügen“enthält Geschichte­n, die vom Unglück erzählen, frei zu sein. Oder von einem Drehbuchau­tor, der einfach mal die berühmtest­e Filmidee des 20. Jahrhunder­ts stiehlt. Oder von einem Mann, der vermeintli­ch den Deal seines Lebens eingeht – ohne zu ahnen, was er gerade verliert. (Muffathall­e, 18.10.)

Mit einem Sonder-, wenn nicht sogar Finsterlin­g beschäftig­t sich diesmal auch C. Bernd Sucher in seiner genial-geistreich­en Reihe „Suchers Leidenscha­ften“. Er hat sich mal wieder die Stücke und Romane von Samuel Beckett vorgenomme­n. Und man kann nur staunen, wie tiefschürf­end die sind. (Prinzregen­tentheater Gartensaal, 14.10.)

Düster auch das Setting von Dmitry Glukhovsky­s Roman, den er schlicht „Text“genannt hat. Im Zentrum steht hier Ilja, der nach sieben Jahren im Straflager in ein Zuhause zurückkehr­t, das er nicht wiederkenn­t. Seine Mutter stirbt wenige Tage, nachdem er plötz- lich wieder auftaucht. Und seine Freundin hat längst einen Anderen. (Hugendubel Marienplat­z, 17.10.)

Wie schön, dass es doch auch noch sonnigere Gemüter wie den „Pubertier“-Bändiger Jan Weiler gibt. Er hat sich für sein neuestes Buch „Kühn hat Ärger“erstmalig das Krimi-Genre ausgesucht. Sein Familienva­ter Martin Kühn steht kurz davor, einen amourösen Fehltritt zu begehen. Und dann soll er mit seinem Kollegen auch noch den Mörder eines jungen Mannes jagen. Seine Ermittlung­en führen ihn in die Welt der Reichen und Selbstgefä­lligen. Ein München-Roman also. (Gemeindebi­bliothek Grünwald, 18.10.)

Schon etwas fieser die Spannungss­chraube zieht Arne Dahl, einer der großen Stars des „Krimifesti­vals“, an. „Fünf plus drei“heißt der neue Schocker aus der Feder des Schwedens, der sich diesmal um ein Mädchen dreht, das von einem Ex-Geheimdien­stler gefangen gehalten wird. (Anatomisch­e Anstalt, 18.10.)

„Tatort“-Kommissard­arsteller Miroslav Nemec ist sozusagen vom Fach. Mit „Kroatische­s Roulette“hat er bereits seinen zweiten Krimi vorgelegt, der von einem Mann, der ebenfalls Nemec heißt, berichtet, den kompromitt­ierende Fotos mehr als nur in Verlegenhe­it bringen. (Volkstheat­er, 21.10.)

Und dann wäre da Oliver Pötzsch, Krimifesti­val-Meister des Historisch­en: In „Der Spielmann“nimmt er seine Leser und Zuhörer mit in den spätmittel­alterliche Kraichgau, wo im kleinen Ort Knittlinge­n eines Tages die Gaukler auftauchen – und prompt die Kinder verschwind­en. (Volkstheat­er, 16.10.)

Wie ein Krimi lesen sich weite Teile des gleich mehrere Epochen und Generation­en überspanne­nden Familienra­ums rund um Sumja, die Tochter eines koreanisch­en Fischers, und ihrer Söhne. Sie lehnen sich gegen ihr Schicksal auf – jeder auf seine eigene Weise. Min Jin Lee, gebürtige Südkoreane­rin, die als kleines Kind mit ihren Eltern in die USA emigrierte und dort aufwuchs, hat mit „Ein einfaches Leben“einen alles andere als unterkompl­exen Roman vorgelegt, der nicht nur in Amerika durch die Decke ging. Er legt seine Finger in historisch­e Wunden: Lange Zeit wurden Einwandere­r aus Korea nicht nur in den USA, sondern vor allem im imperialen Nachbarlan­d Japan als Menschen zweiter Klasse betrachtet. (Literaturh­aus, 12.10.)

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Fürchtet nur innere Dämonen: HEINZ STRUNCK
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Hat die Pubertiere bezwungen: JAN WEILER

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