Abstürze, Abgründe, keine Atempause
Vom Seelenstriptease auf der Reeperbahn, kleinen Morden unter Freunden und Fremdfühlen in der Fremde
Es sind Fantasien, düster, morbide, nicht selten alkoholgeschwängerte, die eigentlich in uns allen stecken. Doch Heinz Strunk, der unerschrockene Hamburger mit den schicken Maßanzügen, spricht sie für uns aus. So erzählt der „Fleisch ist mein Gemüse“und „Der goldene Handschuh“-Finsterling in seiner neuen Erzählsammlung „Das Teemännchen“von Axl Rose, der auf der Reeperbahn eine Höllenfahrt erlebt, von einer ehemaligen Schönheitskönigin, die bei der Arbeit im Schnellimbiss immer fetter wird, und von einem durch politische Verfolgung innerlich komplett zerrütteten DDR-Bürger, der in seinem Wahn so weit geht, den Mauerfall für ein perfides Zersetzungsmanöver der immer noch Mächtigen hält. Das Abgründige, das Mutige an Strunks neuen Geschichten: Er geht diesmal das Wagnis ein, nicht lustig zu sein. Starkes Stück! (Volkstheater, 20.10.)
Der Münchner Benedict Wells („Becks letzter Sommer“) kann es sich mittlerweile zum Glück auch leisten, nicht gefällig zu sein. „Die Wahrheit über das Lügen“enthält Geschichten, die vom Unglück erzählen, frei zu sein. Oder von einem Drehbuchautor, der einfach mal die berühmteste Filmidee des 20. Jahrhunderts stiehlt. Oder von einem Mann, der vermeintlich den Deal seines Lebens eingeht – ohne zu ahnen, was er gerade verliert. (Muffathalle, 18.10.)
Mit einem Sonder-, wenn nicht sogar Finsterling beschäftigt sich diesmal auch C. Bernd Sucher in seiner genial-geistreichen Reihe „Suchers Leidenschaften“. Er hat sich mal wieder die Stücke und Romane von Samuel Beckett vorgenommen. Und man kann nur staunen, wie tiefschürfend die sind. (Prinzregententheater Gartensaal, 14.10.)
Düster auch das Setting von Dmitry Glukhovskys Roman, den er schlicht „Text“genannt hat. Im Zentrum steht hier Ilja, der nach sieben Jahren im Straflager in ein Zuhause zurückkehrt, das er nicht wiederkennt. Seine Mutter stirbt wenige Tage, nachdem er plötz- lich wieder auftaucht. Und seine Freundin hat längst einen Anderen. (Hugendubel Marienplatz, 17.10.)
Wie schön, dass es doch auch noch sonnigere Gemüter wie den „Pubertier“-Bändiger Jan Weiler gibt. Er hat sich für sein neuestes Buch „Kühn hat Ärger“erstmalig das Krimi-Genre ausgesucht. Sein Familienvater Martin Kühn steht kurz davor, einen amourösen Fehltritt zu begehen. Und dann soll er mit seinem Kollegen auch noch den Mörder eines jungen Mannes jagen. Seine Ermittlungen führen ihn in die Welt der Reichen und Selbstgefälligen. Ein München-Roman also. (Gemeindebibliothek Grünwald, 18.10.)
Schon etwas fieser die Spannungsschraube zieht Arne Dahl, einer der großen Stars des „Krimifestivals“, an. „Fünf plus drei“heißt der neue Schocker aus der Feder des Schwedens, der sich diesmal um ein Mädchen dreht, das von einem Ex-Geheimdienstler gefangen gehalten wird. (Anatomische Anstalt, 18.10.)
„Tatort“-Kommissardarsteller Miroslav Nemec ist sozusagen vom Fach. Mit „Kroatisches Roulette“hat er bereits seinen zweiten Krimi vorgelegt, der von einem Mann, der ebenfalls Nemec heißt, berichtet, den kompromittierende Fotos mehr als nur in Verlegenheit bringen. (Volkstheater, 21.10.)
Und dann wäre da Oliver Pötzsch, Krimifestival-Meister des Historischen: In „Der Spielmann“nimmt er seine Leser und Zuhörer mit in den spätmittelalterliche Kraichgau, wo im kleinen Ort Knittlingen eines Tages die Gaukler auftauchen – und prompt die Kinder verschwinden. (Volkstheater, 16.10.)
Wie ein Krimi lesen sich weite Teile des gleich mehrere Epochen und Generationen überspannenden Familienraums rund um Sumja, die Tochter eines koreanischen Fischers, und ihrer Söhne. Sie lehnen sich gegen ihr Schicksal auf – jeder auf seine eigene Weise. Min Jin Lee, gebürtige Südkoreanerin, die als kleines Kind mit ihren Eltern in die USA emigrierte und dort aufwuchs, hat mit „Ein einfaches Leben“einen alles andere als unterkomplexen Roman vorgelegt, der nicht nur in Amerika durch die Decke ging. Er legt seine Finger in historische Wunden: Lange Zeit wurden Einwanderer aus Korea nicht nur in den USA, sondern vor allem im imperialen Nachbarland Japan als Menschen zweiter Klasse betrachtet. (Literaturhaus, 12.10.)