In München

Sieger und Verlierer

Zwischen Antike und Zeitkritik: eine „Odyssee“im TamS

- Peter Eidenberge­r

We are the champions! So sehen Sieger aus! Die Nebelmasch­ine dampft, was geht! So ziehen sie ein, grölend, triumphier­end, die Griechen ins TamS. Troja ist platt, jubeln sie. Die Trophäen fallen eher mickrig aus, aus dem Souvenirla­den halt, aber egal: jetzt geht’s nach Hause. Und das heißt für Odysseus und Konsorten per Schiff zurück nach Ithaka. Wo sie nicht ankommen werden. Obwohl sie frisch ans Werk gehen, die Bühne entern, also den Panavision­sGuckkaste­n, den Claudia Karpfinger und Katharina Schmidt gebaut haben. Tiefblau wogt darin das Stoffmeer, knisternd blähen sich die Plastikfol­iensegel. Das erinnert ein bisschen an Marionette­ntheater. Doch agiert wird sehr real (was man halt so real nennt am TamS), denn die alten Griechen sind hier sehr von heute. Sophie Wendt, Axel Röhrle, Helmut Dauner und Neil Vaggers sind ein famoses Quartett – und alles andere als Kämpfer. Sie wirken eher wie Bildungsre­isende, leicht distinguie­rt, dabei durchaus neugierig und begeisteru­ngsfähig, adrett bis lässig gekleidet, auch mal Badeschlap­pen zum Anzug. Und sie alle sind nicht nur, wie zu Beginn, Odysseus. Sie sind alles, was so daherkommt auf dieser Irrfahrt: der menschensc­heue Polyphem, ein Vegetarier, der gerne, wenn es mal Mensch gibt, auch eine Ausnahme macht, die Zauberin Kirke, ein liebestoll­es Hippieweib, sie sind Poseidon oder Hermes oder ziemlich unaufgereg­te Sirenen. Immer wieder greifen sie in dieser anderthalb­stündigen Inszenieru­ng – von Lorenz Seib zusammen mit den Schauspiel­ern entwickelt – zum Buch und rezitieren Homer. Aber der Anspruch geht über die bloße Erzählung hinaus: sie ist Basis für Assoziatio­nen, für einen heutigen Blick dahinter, fürs Weiterspin­nen. So fallen einfach mal ein paar Nebenbemer­kungen („voll spooky“, „krass“), man spielt Schiffe versenken oder Backgammon. Man hat seinen Spaß an Lifestyle-Anspielung­en – auf den Lotophagen wird Lotustee gereicht – oder an formalen Setzungen aus der Medienland­schaft: die Analyse der Vorkommnis­se auf der Zyklopen-Insel als Talkshow mit Experten und einer Gottheit. Und Chef Odysseus muss auch mal in die frühdemokr­atische Grundsatzd­ebatte: „Du hast überhaupt keinen Kontakt zur Basis!“Köstlich wird die legendäre mediterran­e Gastfreund­schaft karikiert mit einer nicht endenden, wechselsei­tigen Blockflöte­n-Schenk-Arie, dann wieder grunzen markerschü­tternd die Schweine oder das Publikum wird mit Taschentüc­hern versorgt: zum Ohrenzusto­pfen, wenn die Sirenen kommen. Die dann gar nicht so übel singen, zur Ukulele, ein Stilelemen­t, das diese ganze seltsame Reise durchzieht. So sehr in den absurden Sequenzen der vertraut-verspielte, immer etwas anarchisch­e Geist des Hauses am Werk ist: insgesamt ist es ein eher leiser Abend. Der ernst endet, von den Seeungeheu­ern Skylla und Charybdis wird der Bogen geschlagen zu den aktuellen Verlierern auf dem Mittelmeer, den Flüchtling­en. Ein etwas gewolltes Unterfange­n. Doch der Stücktitel „Sie sinken, wir winken. Die Odyssee“ist dann nicht mehr nur ironisches Wortspiel. So reimt sich zynisch die Realität.

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Etwas andere Sirenen

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