Sieger und Verlierer
Zwischen Antike und Zeitkritik: eine „Odyssee“im TamS
We are the champions! So sehen Sieger aus! Die Nebelmaschine dampft, was geht! So ziehen sie ein, grölend, triumphierend, die Griechen ins TamS. Troja ist platt, jubeln sie. Die Trophäen fallen eher mickrig aus, aus dem Souvenirladen halt, aber egal: jetzt geht’s nach Hause. Und das heißt für Odysseus und Konsorten per Schiff zurück nach Ithaka. Wo sie nicht ankommen werden. Obwohl sie frisch ans Werk gehen, die Bühne entern, also den PanavisionsGuckkasten, den Claudia Karpfinger und Katharina Schmidt gebaut haben. Tiefblau wogt darin das Stoffmeer, knisternd blähen sich die Plastikfoliensegel. Das erinnert ein bisschen an Marionettentheater. Doch agiert wird sehr real (was man halt so real nennt am TamS), denn die alten Griechen sind hier sehr von heute. Sophie Wendt, Axel Röhrle, Helmut Dauner und Neil Vaggers sind ein famoses Quartett – und alles andere als Kämpfer. Sie wirken eher wie Bildungsreisende, leicht distinguiert, dabei durchaus neugierig und begeisterungsfähig, adrett bis lässig gekleidet, auch mal Badeschlappen zum Anzug. Und sie alle sind nicht nur, wie zu Beginn, Odysseus. Sie sind alles, was so daherkommt auf dieser Irrfahrt: der menschenscheue Polyphem, ein Vegetarier, der gerne, wenn es mal Mensch gibt, auch eine Ausnahme macht, die Zauberin Kirke, ein liebestolles Hippieweib, sie sind Poseidon oder Hermes oder ziemlich unaufgeregte Sirenen. Immer wieder greifen sie in dieser anderthalbstündigen Inszenierung – von Lorenz Seib zusammen mit den Schauspielern entwickelt – zum Buch und rezitieren Homer. Aber der Anspruch geht über die bloße Erzählung hinaus: sie ist Basis für Assoziationen, für einen heutigen Blick dahinter, fürs Weiterspinnen. So fallen einfach mal ein paar Nebenbemerkungen („voll spooky“, „krass“), man spielt Schiffe versenken oder Backgammon. Man hat seinen Spaß an Lifestyle-Anspielungen – auf den Lotophagen wird Lotustee gereicht – oder an formalen Setzungen aus der Medienlandschaft: die Analyse der Vorkommnisse auf der Zyklopen-Insel als Talkshow mit Experten und einer Gottheit. Und Chef Odysseus muss auch mal in die frühdemokratische Grundsatzdebatte: „Du hast überhaupt keinen Kontakt zur Basis!“Köstlich wird die legendäre mediterrane Gastfreundschaft karikiert mit einer nicht endenden, wechselseitigen Blockflöten-Schenk-Arie, dann wieder grunzen markerschütternd die Schweine oder das Publikum wird mit Taschentüchern versorgt: zum Ohrenzustopfen, wenn die Sirenen kommen. Die dann gar nicht so übel singen, zur Ukulele, ein Stilelement, das diese ganze seltsame Reise durchzieht. So sehr in den absurden Sequenzen der vertraut-verspielte, immer etwas anarchische Geist des Hauses am Werk ist: insgesamt ist es ein eher leiser Abend. Der ernst endet, von den Seeungeheuern Skylla und Charybdis wird der Bogen geschlagen zu den aktuellen Verlierern auf dem Mittelmeer, den Flüchtlingen. Ein etwas gewolltes Unterfangen. Doch der Stücktitel „Sie sinken, wir winken. Die Odyssee“ist dann nicht mehr nur ironisches Wortspiel. So reimt sich zynisch die Realität.