ORTSGESPRÄCH
mit Paula Hüttig & Helmut Maier
Seit 40 Jahren selbstverwaltet, ohne Chefs und glücklich dabei: Mit einer großen Jubiläumsweinprobe am 19. November feiert das Ruffini-Kollektiv den runden Geburtstag des etwas anderen Traditionslokals in Neuhausen. Von der ersten Stunde an setzte man dort, wo man lecker isst, edle Weine trinkt und ein fein abgeschmecktes Kulturprogramm mit Musik, Film, Lesungen und Ausstellungen genießt, auf den ganz besonderen Teamgeist – und den Traum, Arbeit fair und gerecht zu organisieren. Zwei Gesellschafter – Paula Hüttig aus der Ruffini-Küche und Helmut Maier, verantwortlich für die Kultur und die guten Tropfen – die schon viele Marathon-Kollektivsitzungen hinter sich gebracht haben, blicken zurück. Und natürlich schon vorfreudig auf die nächsten runden Jubiläen.
Um wie viel besser schmeckt es, wenn die Mitarbeiter in der Küche, aber auch beim Servieren mit sich, ihrer Arbeit und vielleicht sogar der Welt im Kleinen zufrieden sind?
Paula Hüttig: Wissenschaftlich kann man das sicher nicht nachweisen. Aber ich kann nur von mir sagen: Wenn ich in einem Lokal sitze, und die Stimmung ist schlecht, weil alle an einander vorbei arbeiten und verbissen wirken, dann fühle ich mich wirklich nicht wohl.
Helmut Maier: Bei uns passt nicht nur die Stimmung im Kollektiv. Den Nachweis erbringen ja unsere Gäste, die teilweise schon über Jahrzehnte zu uns kommen – und das offenbar gerne. Unser Publikum bleibt oft lang und geht mit uns familiär um. Man fragt dann nach der Tochter, die gerade studiert und deswegen zuletzt nicht mehr so oft da war.
Fällt es im Ruffini leichter, Stammgast zu werden, weil Sie sich um Ihre Leute kümmern und sie gut kennen?
Paula Hüttig: Das hat viel mit unserer Geschichte zu tun. Früher gab’s in Neuhausen so gut wie kein Lokal für jüngere Leute. Damals waren wir eine Insel. Und die Leute von früher kommen immer noch gerne zu uns. Viele, die früher schon aus unserer direkten Nachbarschaft kamen, wohnen zum Teil immer noch da. Mittlerweile ist das hier ja ein Ausgehviertel mit zahlreichen Lokalen, die aber anders als wir vielleicht nicht so viele Stammgäste haben. Wir können uns auch auf deren Kinder – und sogar schon deren Enkelkinder – verlassen. Unsere jüngere und jüngste Generation!
Sie haben sich über die Jahre ja auch gewissermaßen „fortgepflanzt“– etwa mit der Garibaldi-Weinhandlung, dem VolkArt, dem Fischmeister in Ambach, der Loretta Bar und diverse anderen Lokalen, die von Leuten betrieben wurden, die bei Ihnen einige Wegestrecken mitgegangen sind.
Helmut Maier: Na klar, es gab viele Ausgründungen. Der Garibaldi-Gründer Eberhard Spangenberg war eher ein Unternehmertyp. Auf Dauer hätte er es bei uns nicht ausgehalten. Dass er uns wieder verlassen würde, war eigentlich schon klar vorgezeichnet von der bürgerlichen Struktur, aus der er kam.
Ach so?
Helmut Maier: Das soll nicht negativ klingen. Aber ihm ist es bei uns halt irgendwann viel zu chaotisch geworden. Paula Hüttig: Er wollte einfach machen, wie er will. Kann man auch verstehen.
Nicht zuletzt in den vielen Kochsendungen, die es mittlerweile gibt und in denen man als TV-Zuschauer mal ein wenig hinter die Kulissen schauen darf, sieht es ja oft so aus, als gäbe es kaum einen autoritäreren Ort als eine große Küche, wo es vermeintlich dazu gehört, dass herumgebrüllt wird und Kommandos geschrien werden. Wollten Sie auch deswegen vieles anders machen?
Paula Hüttig: Das gibt’s hier einfach nicht. Und das gab’s auch damals nicht. Ich habe hier angefangen, als das Ruffini fünf Jahre alt wurde. Man hat bei uns immer zusammengearbeitet. Wir haben uns schon mal gestritten. Aber es war nie so, dass jemand dem anderen einen heißen Topf hingestellt hat, an dem er sich die Finger verbrennt – oder so etwas in der Art.
Helmut Maier: Oder das Spießrutenlaufen durch die Küche, bei dem man von jedem einen Tritt abbekommt. Schlimm!
Allein schon die Dienstbezeichnungen etwa in großen französischen Küchen wirken ja fast schon militärisch. Es gibt im zivilen Leben ja wenige andere Institutionen – vielleicht noch in Krankenhäusern mit ihren Ober- und Unter-Ärzten – in denen oft so eine strikte Rangordnung herrscht.
Helmut Maier: Bei uns war schon immer vieles anders. Die Leute aus dem Service wie bei uns heute – damals hieß das noch nicht so – haben immer schon auch in der Küche mitgearbeitet. So hat man etwa als Servicekraft hinten in der Tagesküche mit ausgeholfen, etwa beim Salat. Andersherum haben die Küchenleute auch mit aufgetragen. Das ist bis heute so – sehr durchlässig. Das betrifft auch unsere Leute in der Backstube, denen das auch ab und an gereicht hat mit dem Backen.
Paula Hüttig: Es hat sich mittlerweile ein wenig zurückentwickelt. Am Anfang mussten alle alles machen.
Die berühmte Rotation, die man auch von den frühen Grünen kennt? Paula Hüttig: Da ging dann oft alles schief. Es gibt einfach Leute, die haben zwei linke Servierdaumen.
Man muss sich schon spezialisieren?
Paula Hüttig: Ja. Lange Zeit hatten wir das dann vergleichsweise streng eingehalten, dass es mit der Küche, dem Service und dem Laden eigene Bereiche gibt. Mittlerweile ist das wieder etwas durchlässiger geworden, weil sich die Leute eben auch für andere Bereiche interessiert haben. Wenn jemand aus freien Stücken mal etwas anders machen möchte, macht das ja einen Unterschied. Es ist etwas anderes, als wenn der Wechsel verordnet ist.
Helmut Maier: Keiner aus der Küche muss in der Essensausgabe arbeiten, wenn das dann wie Arsch und Friederich aussieht – wie mit der Schöpfkelle in der Schiffskombüse.
Andererseits muss es doch Freude machen, wenn man mal aus der Küche herauskommt und sich vielleicht am Tisch das Lob selber abholen kann?
Paula Hüttig: Na klar. Das wechselt immer mal – und hängt auch von den persönlichen Begebenheiten ab. Wenn jemand lieber mehr tagsüber und weniger abends arbeiten möchte, kann man das bei uns immer verhandeln.
Wenn man noch mal auf das ganz ursprüngliche Ruffini-Modell zurückgeht: Damals musste es doch gar nicht sein, dass man Ausgebildeter sein musste, um bei Ihnen Koch zu werden, oder?
Paula Hüttig: Wir hatten früher keinen einzigen ausgebildeten Koch. Mittlerweile haben wir einen.
Helmut Maier: Und eine, die ausgebildete Hauswirtschafterin ist.
Paula Hüttig: Das ist aber Zufall. Wir haben die Leute nach der Person angestellt, und nicht nach der Ausbildung. Früher wollten wir gar keinen echten Koch haben. Ich habe auch nicht Köchin gelernt. Die wenigen, die wir über die Jahre hatten, stellten uns dann schon mal das Geschirr zum Spülen hin. Weil sie es eben aus den Strukturen, aus denen sie kamen, so gewohnt waren.
Helmut Maier: Und sie kannten es auch nicht, dass man nur zwölf Portionen Fleisch macht – weil das angeblich unökonomisch ist. Oder ihnen schweben sehr komplizierte Sachen vor, die man in so einer kleinen Küche wie der unseren mit eigentlich nicht besonders viel Personal gar nicht machen kann.
Paula Hüttig: Vieles hat sich eben so ergeben. Eine Zeitlang standen nur Frauen in der Küche – aber auch das war Zufall. Später kamen auch wieder Männer dazu. Aber wir haben schon darauf geschaut, dass wir dort keinen gelernten Koch reinstellen. Jetzt haben
wir zwar einen, aber das funktioniert eben gut.
Bei Null anfangen kann man ja wahrscheinlich nicht. Ich denke, man muss wohl schon Leidenschaft fürs Kochen mitbringen. Gerichte müssen ja schon wiederholbar sein.
Paula Hüttig: Wir machen das so: Wenn jemand in die Küche will und wir ihn auch haben wollen, übernimmt er oder sie normalerweise bei uns zunächst einmal abends die Ausgabeküche. Da ist dann bereits alles vorbereitet. Dann muss man nur mal ab und an ein Gericht braten oder anrichten. So fangen sie bei uns an. Nach einem Jahr oder so geht es dann damit los, dass sie anfangen, bei uns mitzukochen – als Dritte in der Schicht. So werden sie nach und nach eingearbeitet.
Helmut Maier: Wir haben ja auch Aushilfen. Wenn ihnen die Arbeit bei uns gefällt und die Chemie stimmt, dann machen wir mit ihnen auch eine Ausbildung, und sie gehören dann fest dazu.
Paula Hüttig: Wir können nicht im rechtlichen Sinn ausbilden. Aber wer bei uns drei Jahre arbeitet, kann dann eine externe Prüfung machen und wird dann gelernter Koch.
Wie wird man denn eigentlich vom Polizisten, wie Sie, Helmut, einer waren und vom gelernten Kirchenmaler zum Wein-Fachmann und Veranstalter Ihrer vielen kulturellen Aktivitäten?
Helmut Maier: Wir haben viele etwas ungewöhnliche Biografien im Team. Auf jeden Fall auch viele akademische Biografien. Ich bin mit der zehnten Klasse vom Gymnasium runter und zur Polizei gegangen, weil mein Freund dort schon seit einem halben Jahr war. Ich wollte das Gute und Edle in der Welt vertreten.
Tatsächlich?
Helmut Maier: Was ich nicht geahnt hatte: Dass ich dann auf der Landstraße stehe und im fränkischen Hinterland auf die RAF warten musste. Oder beim Atomkraftwerk den Tourismus der Protestierenden begleiten sollte.
Vom Regen in die Traufe?
Helmut Maier: Genau. Ich habe dann schon gemerkt, dass das nichts für mich wird. Deswegen bin ich dann ins Kriminalamt gewechselt – allerdings in die Programmierung. Früh war ich dann schon Mitglied in der Grünen-Partei – als doppelter Grüner sozusagen. Die Stimmung in der Arbeit war sehr liberal, eigentlich wie in einem Rechenzentrum bei der AOK.
Und in zivil?
Helmut Maier: Auf jeden Fall. Ich hatte auch damals schon Kollegen, die gegen den Mikrozensus waren. Wir haben uns gesagt: Wir wissen was wir machen oder könnten und sind deswegen dagegen. Irgendwann hatte mich das nicht mehr so fasziniert und ich wollt weg gehen – ins Handwerk. Das waren eben so alternative Zeiten in der Subkultur. Spontan entschied ich mich, Kirchenmaler zu werden, weil der Freund meiner Schwester das war.
Was heißt das eigentlich – Kirchenmaler? Viel restaurieren?
Helmut Maier: Kirchenmaler ist eine Ausprägung des Malerberufs in Bayern, weil es hier halt so viele Kirchen gibt. Man muss Kirchen kalken, runterstreichen, aber auch Altäre restaurieren, was ich dann auch gelernt hatte. Allerdings bin ich dann in die harte Realität des Kirchenmalers geraten: Das ganze Jahr über unterwegs in Schnee und Kälte auf der Baustelle! Und das mit teilweise nicht ganz freundlich gesonnenen Kollegen. So gut, wie ich mir das vorgestellt hatte, war das also auch nicht. Dann hat mir eine Bekannte, die ich von den Grünen kannte gesagt, dass sie beim Ruffini gerade jemanden suchen, weil es dort zu der Zeit einen Wechsel gab. Schnell stand fest: Das mache ich jetzt einfach! Schon beim Reinkommen hat’s mir gut gefallen – auch weil so ein nettes Mädchen in der Bäckerei hinter der Theke stand.
Das hilft.
Helmut Maier: Ich habe dann einen Probedienst angefangen. Und dann bin ich geblieben. Kulturelle Interessen hatte ich schon immer – etwa über den Jazz und natürlich über meine Kirchentätigkeit auch in der Malerei. Außerdem war ich Italien-begeistert. Also ging’s in die Wein-Gruppe – dann kann ich nach Italien fahren! In der WeinGruppe wurde ich dann auch aufgenommen. So geht das bei uns.
Kommen solche Wege auch heute noch bei Ihnen vor? Dass jemand plötzlich am Tresen steht und nach einer Möglichkeit fragt, bei Ihnen im Kollektiv mitzumachen?
Paula Hüttig: Das geschieht schon immer wieder. Erst zuletzt kam jemand zu uns, der in seiner Firma kündigen wollte – und jetzt ist er Gesellschafter bei uns.
Helmut Maier: Wer zu uns passt, hat immer gute Chancen. Wir mussten noch nie neue Kollegen über Anzeigen suchen.
Paula Hüttig: Viele, die heute für uns arbeiten, sind zum Beispiel Kinder und Enkel von Stammgästen. Davon gibt es etliche bei uns. Ich finde das schön. Weil ihre Eltern dann ja natürlich auch wieder kommen und sehen, dass ihre Leute sich gut benehmen und gut zu uns passen.
Eine gewisse Offenheit fürs selbstverwaltete, mitbestimmte Arbeiten wird ja wohl bei Ihnen vorausgesetzt: Aber wissen Ihre neuen Mitarbeiter auch heute noch einigermaßen genau, auf was sie sich bei Ihnen einlassen?
Paula Hüttig: Die meisten Neuen gehen bei uns einen langen Weg. Sie fangen meist als Aushilfen an. Dann werden sie Festangestellte, danach Gesellschafter-Anwärter und wenn sie dann noch wollen, auch Gesellschafter. Das ist eine Zeit, in der man sich schon recht gut kennenlernt.
Helmut Maier: Sobald sie Gesellschafter-Anwärter sind, gehen sie auch auf unsere Sitzungen. Und jeder bekommt dann auch rasch zusätzliche Aufgaben etwa in unseren Ressorts – indem man etwa Auswertungen macht, aufs Kassenbuch schaut oder sich in der Kulturtruppe einbringt.
Die Zahl der Sitzungen haben Sie aber doch ein wenig reduziert über die Jahre?
Paula Hüttig: Früher gab’s die alle zwei Wochen.
Gab’s denn wirklich immer so viel zu besprechen?
Paula Hüttig: (lacht) Und wie. Die gingen oft von mittags bis acht Uhr abends. Montags haben wir ja eh zu. Das dauerte oft ewig. Es gab keine Sitzungsleitung. Jeder durfte damals sagen, was er wollte. Und das wurde gnadenlos bis zum Ende diskutiert. Schon längst sind wir viel organisierter – und wissen genau, wie man unsere Sitzungen gut vorbereitet und so strukturiert, so dass wir schneller zum guten Ergebnis kommen.
Helmut Maier: Zum Glück. Überspitzt ausgedrückt: Die große Sitzung interessiert es nicht, welche Mohnsorten in unserer Backstube auf die Semmeln kommen.
Paula Hüttig: Früher haben wir das mit allen besprochen. Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir das nicht neben der Arbeit auch noch über wirklich alles diskutieren können. Nach einer Supervision, die von außen kam und mit jedem einzelnen intensive Gespräche führte, haben wir jetzt ein System, das toll funktioniert, Spaß macht und sich bewährt hat.