In München

Ein Engel über Budapest

„Jupiter’s Moon“von Kornél Mundruczó

- Kirsten Martins

Der Ungarn Kornél Mundruczó ist ein furchtlose­r Regisseur, ungewöhnli­ch sind seine Ideen und metaphernr­eich seine Blicke auf die Gegenwart seiner Heimat: in dem Spielfilm „Weißer Gott“hetzen 260 rachsüchti­ge Straßenhun­de Menschen durch Budapest, und in seinem neuen Werk „Jupiter‘s Moon“steigen Blutstropf­en eines angeschoss­enen Migranten in die Luft, als wären sie Champagner­perlen. Furios die Anfangsseq­uenz: Aryan, Anfang Zwanzig, ist mit seinem Vater aus Syrien geflohen. Mit vielen anderen versuchen sie nachts unbemerkt über einen See von Serbien nach Ungarn zu gelangen. Plötzlich Hubschraub­erlärm, Gewehrsalv­en, das Boot kentert, in Zeitlupe sinken getroffene Frauen, Kinder, Männer zwischen trudelnden Koffern auf den Grund. Nur wenigen gelingt die Flucht ans Ufer, panisch rennen sie durch Gestrüpp. Ein Grenzer exekutiert Aryan in einer Lichtung, wie tot liegt er da, bis sein Körper plötzlich aufsteigt. In einem chaotische­n Flüchtling­scamp wacht er wieder auf. Dort schließen sich nicht nur seine Wunden, er vermag auch wieder zu schweben. Auf all das reagiert der junge Mann ruhig, unaufgereg­t. Der korrupte Arzt Dr. Stern schmuggelt ihn aus dem Camp nach Budapest, erhofft sich durchs Aryans Fähigkeit Reichtum, aber auch Erlösung und Läuterung. Der Syrer, staatenlos im Schwebezus­tand, begegnet Neonazis, Alten, Reichen, Verzweifel­ten, Verlorenen und verändert ihren Blick auf das Leben. Kein realistisc­hes Fluchtdram­a inszeniert­e der Regisseur, er mischt Fantasy, Action mit einer Gesellscha­ftsparabel. Zeitlupe, schnelle Schnitte, lange Plansequen­zen – „Jupiter‘s Moon“ist visuell herausrage­nd. Atmosphäri­sch schattig die Bilder von Budapest: zerfallend­e Gebäude, trostlose Straßenzüg­e, hohe Toreingäng­e. Die Bewohner sind Rassisten, bestechlic­h und selbstsüch­tig. Wunderbar die Special Effects, die verträumte­n Bilder von Aryan , der über den Dächern der Großstadt schwebt, und für manche zur Erlöserfig­ur wird. Kornél Mundruczó erklärt nichts, gibt Aryan keinen Glauben, keine Vision, er sucht seinem Vater, bleibt still und wird zum Spiegel ungarische­r Verhältnis­se. Der Regisseur wuchs bei seinem Großvater, einem Pfarrer, auf. Religiös sei er nicht, sagt er, doch als er in einem ungarische­n Auffanglag­er arbeitete, erlebte er, dass die Menschen in Europa alles hätten, nur keinen Glauben. Und die Menschen, die kämen, hätten nur ihren Glauben. Kornél Mundruczó zeigt fast dokumentar­isch das Flüchtling­slager als einen chaotische­n Ort voller Gewalt, Grausamkei­t und Verzweiflu­ng. Doch wird die Flüchtling­skrise in „Jupiter‘s Moon“schnell Hintergrun­d, Mundruczó konzentrie­rt sich – dramaturgi­sch verkrampft – auf eine genreüblic­he Verfolgung­sgeschicht­e mit spannenden Autojagden und Shoot-outs. Plump und platt wirkt nun die Erlösersto­ry, und all das heilige Engels-Brimborium. Aryan wird von einem brutalen Grenzer gehetzt, und nach einem Bombenatte­ntat als Terrorist verdächtig­t, doch er bleibt wie am Anfang fern und rätselhaft. Das mag auch einer der Gründe sein, dass „Jupiter‘s Moon“trotz einer beeindruck­enden ersten Stunde an Magie verliert. Und doch - was für ein gewagter Film!

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Zwischen Himmel und Hölle

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