Übersinnliche Abstraktion
Drei spirituelle Künstlerinnen und experimentelle Filme im Lenbachhaus/Kunstbau
In dem kleinen Museumshop im Kunstbau kann man ab sofort Heilerde kaufen. „Aion A – Schweizer Heilgestein“ist der offizielle Name. Man ist ja viel gewohnt von Museumsshops und hat sich angewöhnt, das mitunter absurde Sammelsurium stillschweigend in Kauf zu nehmen – aber Heilerde ist neu. Ob und wie seltsam man das findet, hat einerseits mit einem selbst zu tun. Andererseits sagt es auch eine Menge über die Rezeption der Kunst von Emma Kunz aus. Sie war Künstlerin und Naturheilerin und hatte kein Problem damit, dass das eine in das andere schwappte und sich so gegenseitig befruchtete. Sie dichtete, entdeckte das Heilgestein, half Menschen dabei, gesund zu werden und fing mit 46 Jahren an, ihre großformatigen, komplex geometrischen Visionen auf Millimeterpapier zu zeichnen. Was sie zeichnete, gab ihr das Pendel vor. Sie sah sich als Forscherin und Mittlerin zwischen den Menschen und den verborgenen Gesetzmäßigkeiten der Natur. 1953 publizierte sie zwei Bücher, in denen sie ihre Zeichenmethode erklärte, aber ihre Arbeiten blieben weitgehend unbemerkt. Vor allem die Kunstszene wusste nicht, was sie mit den farbenprächtigen Zeichnungen anfangen sollte. Emma Kunz war das einigermaßen egal, wohl auch weil sie wusste: „Mein Bildwerk ist für das 21. Jahrhundert bestimmt.“Die Ausstellung Weltempfänger im Kunstbau beschäftigt sich gleich mit drei Frauen, die unabhängig voneinander eine jeweils eigene, abstrakte, mit Bedeutung aufgeladene Bildsprache entwickelten, um Naturgesetze, Geistiges und Übersinnliches sichtbar zu machen: Georgiana Houghton (1814–1884) in England,
Hilma af Klint (1862–1944) in Schweden und Emma Kunz (1892–1963) in der Schweiz. Und das bereits lange, bevor Kandinsky über das Abstrakte in der Kunst schrieb. Af Klint hatte die Königliche Kunstakademie besucht und war zu Beginn traditionelle Landschafts- und Porträtmalerin. Ab 1906 malte sie abstrakt und versuchte, philosophische Ideen und religiöse Erfahrungen durch Form und Farbe auszudrücken. Auch Georgiana Houghton absolvierte – gemeinsam mit ihrer Schwester Zilla – eine künstlerische Ausbildung, über die aber nichts Näheres bekannt ist. Als die Schwester starb, hörte Houghton auf zu malen und fing erst wieder an, als sie ihr in spiritistischen Sitzungen wieder begegnete. Beeindruckt von dieser Erfahrung ließ sie sich als Medium ausbilden und nahm Kontakt mit anderen Geistern auf, die schließlich anfingen, ihr beim Malen die Hand zu führen: abstrakte Bögen, Wellen, Wirbel in mehreren Schichten und immer wieder mikroskopisch kleine Punkte und Linien. Auf die Rückseite ihrer spirituellen Arbeiten schrieb sie den Namen und eine kurze Beschreibung des jeweiligen Geistes. Mit viel Aufwand organisierte Houghton selbst eine Ausstellung, die aber von der Kunstwelt nicht oder mit Unverständnis wahrgenommen wurde. Kein Wunder, die Bilder waren so anders als alles, was man kannte, dass man nicht wusste, in welche Kunst-Schublade man sie stecken sollte. Es gab ganz einfach noch keine Schublade für Abstraktes, ja noch nicht einmal einen Namen, geschweige denn eine Theorie. Ergänzend werden kaum bekannte Filme von den Brüdern James und John Whitney und Harry Smith vorgestellt. Die US-Amerikaner drehten – von verschiedenen okkulten und esoterischen Bewegungen inspiriert – ab den 1940er Jahren abstrakte Experimentalfilme. Das sind Zeugnisse einer ähnlichen Herangehensweise, die ebenso zu einer neuartigen Bildsprache führte, wenn auch in einem anderen Medium.