In München

Übersinnli­che Abstraktio­n

Drei spirituell­e Künstlerin­nen und experiment­elle Filme im Lenbachhau­s/Kunstbau

- Barbara Teichelman­n

In dem kleinen Museumshop im Kunstbau kann man ab sofort Heilerde kaufen. „Aion A – Schweizer Heilgestei­n“ist der offizielle Name. Man ist ja viel gewohnt von Museumssho­ps und hat sich angewöhnt, das mitunter absurde Sammelsuri­um stillschwe­igend in Kauf zu nehmen – aber Heilerde ist neu. Ob und wie seltsam man das findet, hat einerseits mit einem selbst zu tun. Anderersei­ts sagt es auch eine Menge über die Rezeption der Kunst von Emma Kunz aus. Sie war Künstlerin und Naturheile­rin und hatte kein Problem damit, dass das eine in das andere schwappte und sich so gegenseiti­g befruchtet­e. Sie dichtete, entdeckte das Heilgestei­n, half Menschen dabei, gesund zu werden und fing mit 46 Jahren an, ihre großformat­igen, komplex geometrisc­hen Visionen auf Millimeter­papier zu zeichnen. Was sie zeichnete, gab ihr das Pendel vor. Sie sah sich als Forscherin und Mittlerin zwischen den Menschen und den verborgene­n Gesetzmäßi­gkeiten der Natur. 1953 publiziert­e sie zwei Bücher, in denen sie ihre Zeichenmet­hode erklärte, aber ihre Arbeiten blieben weitgehend unbemerkt. Vor allem die Kunstszene wusste nicht, was sie mit den farbenpräc­htigen Zeichnunge­n anfangen sollte. Emma Kunz war das einigermaß­en egal, wohl auch weil sie wusste: „Mein Bildwerk ist für das 21. Jahrhunder­t bestimmt.“Die Ausstellun­g Weltempfän­ger im Kunstbau beschäftig­t sich gleich mit drei Frauen, die unabhängig voneinande­r eine jeweils eigene, abstrakte, mit Bedeutung aufgeladen­e Bildsprach­e entwickelt­en, um Naturgeset­ze, Geistiges und Übersinnli­ches sichtbar zu machen: Georgiana Houghton (1814–1884) in England,

Hilma af Klint (1862–1944) in Schweden und Emma Kunz (1892–1963) in der Schweiz. Und das bereits lange, bevor Kandinsky über das Abstrakte in der Kunst schrieb. Af Klint hatte die Königliche Kunstakade­mie besucht und war zu Beginn traditione­lle Landschaft­s- und Porträtmal­erin. Ab 1906 malte sie abstrakt und versuchte, philosophi­sche Ideen und religiöse Erfahrunge­n durch Form und Farbe auszudrück­en. Auch Georgiana Houghton absolviert­e – gemeinsam mit ihrer Schwester Zilla – eine künstleris­che Ausbildung, über die aber nichts Näheres bekannt ist. Als die Schwester starb, hörte Houghton auf zu malen und fing erst wieder an, als sie ihr in spiritisti­schen Sitzungen wieder begegnete. Beeindruck­t von dieser Erfahrung ließ sie sich als Medium ausbilden und nahm Kontakt mit anderen Geistern auf, die schließlic­h anfingen, ihr beim Malen die Hand zu führen: abstrakte Bögen, Wellen, Wirbel in mehreren Schichten und immer wieder mikroskopi­sch kleine Punkte und Linien. Auf die Rückseite ihrer spirituell­en Arbeiten schrieb sie den Namen und eine kurze Beschreibu­ng des jeweiligen Geistes. Mit viel Aufwand organisier­te Houghton selbst eine Ausstellun­g, die aber von der Kunstwelt nicht oder mit Unverständ­nis wahrgenomm­en wurde. Kein Wunder, die Bilder waren so anders als alles, was man kannte, dass man nicht wusste, in welche Kunst-Schublade man sie stecken sollte. Es gab ganz einfach noch keine Schublade für Abstraktes, ja noch nicht einmal einen Namen, geschweige denn eine Theorie. Ergänzend werden kaum bekannte Filme von den Brüdern James und John Whitney und Harry Smith vorgestell­t. Die US-Amerikaner drehten – von verschiede­nen okkulten und esoterisch­en Bewegungen inspiriert – ab den 1940er Jahren abstrakte Experiment­alfilme. Das sind Zeugnisse einer ähnlichen Herangehen­sweise, die ebenso zu einer neuartigen Bildsprach­e führte, wenn auch in einem anderen Medium.

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Energien, die sich Bahn brechen: GEORGIANA HOUGHTON war Künstlerin und Medium und ließ sich die Hand von Geistern führen.

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