Was ist der hässlichste Teil deines Körpers?
... fragt auf dem 1968er Meisterwerk We’re only in it for the money Roy Estrada, Bassist und Mitbegründer der Mothers Of Invention, mit denen Frank Zappa seine Karriere startete. Kurz wollen wir vergessen, dass Estrada, der zudem Little Feat gründete, in Captain Beefhearts Magic Band mitwirkte und mit Van Dyke Parks oder Ry Cooder spielte, wegen Kindesmissbrauch im Gefängnis sitzt. Auch die tollsten Künstler können nämlich Arschlöcher sein. Und nein, liebe Rechtsanwälte, ich habe damit keinen bestimmten Künstler gemeint. Nicht einmal Roy Estrada, der bestimmt selbst ein Opfer seiner Neigungen ist und dem ich trotzdem einen der schönsten Doo WopGesänge meiner Plattensammlung danke, die eingangs formulierte Frage nämlich „What’s the ugliest part of your body?“Von Zappa und Co begleitet beantwortet er sie sodann selbst: „Einige sagen, deine Nase. Einige sagen, deine Zehen. Ich denke, es ist dein Verstand.“Sieht man den Verstand nun aber als Körperteil, kommt die Frage auf: Wie groß soll sein Anteil in der täglichen Körperpflege sein? Oder wollen wir ihn verschmutzen lassen, bis Krankheitserreger sich ansiedeln und unter anderem Wahlergebnisse begünstigen, die trotz des Holocausts und weiterer Verbrechen eines Nazi-Deutschlands rechte Gesinnungen wieder diskutierbar erscheinen lassen wollen? Ich denke, nein. Wie reinigt man aber seinen Verstand? Ich bevorzuge dazu ausgiebige Musikbäder. Gemäß einem bekannten Werbeslogan: an meinen Körper lasse ich nur Wasser und CD. Wobei Schallplatten, MP3, Tonbandaufnahmen und Schellackplatten mindestens genauso gut reinigen. Einmal abgesehen davon, dass das konzertante Bad das wirkungsvollste ist. Wichtig bei allen Bädern sind indes die richtigen Zutaten. Viele Tonträgerinnen und Konzerte enthalten nämlich Giftstoffe, die Verschmutzungen sogar fördern. Nicht anders ist zu erklären, warum Menschen Eintrittskarten für die Kölner Philharmonie kauften, um dort den auftretenden Künstler für das auszubuhen, was die Veranstaltung vorab versprochen hatte: eine Gegenüberstellung von alter und neuer Musik, die der iranische Cembalospieler Mahan Esfahani mit dem Alte MusikEnsemble Concerto Köln schon ein Jahr zuvor auf dem großartigen Album Time Present and Time Past Kopf stehen ließ. Musik von C.P.E. und J.S. Bach trifft hier auf einen bombastischen Henryk Mikołaj Górecki oder einen wunderbar nervenden Steve Reich. Dessen hier auf Cembalo gespielte viertel-stündige „Piano Phase For Two Pianos“kann einem schon das romantische Candlelight-Dinner vergeigen bzw. verklimpern. Wer sich am 16. Februar 2016 in der Kölner Philharmonie also erst bei der Darbietung der Reich-Komposition um zärtlichen Körperkontakt mit dem Nachbarn bemühte, hätte sich den Besuch sparen können. Darum aber einen der weltweit besten Cembalisten wie dort geschehen anzupöbeln, er soll gefälligst deutsch sprechen, ist selbst in einer ohnehin unterirdischen Philharmonie wie die unter dem Rhein befindliche unterirdisch. Klar kann man das als fremdenfeindlich begreifen. Feindlich gegen eine fremde Kultur sogar, die viele stärkende Zutaten für die tägliche Verstands-Pflege enthält. Im Fall des Kölnkonzerts haben wir es allerdings mit besonders verschmutzten Gästen zu tun, die bereits zu blöd waren, vorab zu lesen, für welches Konzert sie noch dazu nicht wenig Geld ausgaben. Mit deren Logik könnte man auch in einem Helene Fischer-Konzert entsetzt aufschreien, weil die Frau anscheinend nur Schlager singt. Und nein, liebe Helene Fischer, ich habe nichts gegen Schlager. Ein Freund, den ich hier nur nicht namentlich nenne, weil Michael Kröger von der Band Goya Royal sich sonst in einem falschen Kontext zitiert fände, meinte sogar auf einem ihrer Konzerte, dass sie live besser sei als AC/DC. Für eine umfassende Verstands-pflege ziehe ich trotzdem andere Musikerinnen vor. Etwa die Monika Roscher Bigband, die vor ihrem Auftritt auf der Zappanale, einem Festival für Zappa-Fans, gar nicht ahnte, wie zappaesk ihre Musik auf einige Hörer wirkt. Andererseits machte es ihren Sound auch nicht gleich zur Kirchenmusik, als die Monika Roscher Bigband in St. Petersburg in einer von innen ausgebrannten Kirche auftrat. Trotzdem gibt es keinen passenderen Ort für diese sich stets selbst-verbrennende und neu aus der Asche aufsteigende Musik der Gitarristin, Komponistin und Dirigentin Monika Roscher, die auf ihren beiden bei Enja erschienenen Alben Failure in Wonderland und Of Monsters and Birds einen Klangkosmos schafft, zu dessen Beschreibung die Wochenzeitschrift „Die Zeit“mehrere Zeilen lang hilflos Genre-Benennungen listete. Ich füge der Liste nun einen Ausdruck hinzu: porentief reinigend und umfassend schützend. Und bewusst unterstelle ich der Komponistin keine gewöhnliche Klangwelt sondern einen Sternenreichen Klangkosmos, der noch dazu über mehrere Sonnen verfügt. Die meisten dieser Sonnen wirken erhellend in ihrem Orchester mit, das mal von den Bläsern, mal von Elektronika angetrieben wird. Dann perlen wieder Klaviertöne auf, oder Roscher selbst schmiert ein Gitarrensolo ins Geschehen, das Jimi Hendrix, Jeff Beck und Frank Zappa noch einmal in Peter Burschs Gitarrenschule schickt. Ich selbst bin übrigens nie über Band 1 von Burschs Lehrbuch für Noten-unkundige Gitarristen gekommen. Aber so, wie man nicht kochen können muss, um zu schmecken, dass eine Suppe versalzen ist, können umgekehrt auch Blockflötenkursabbrecher das Genie von Roscher erahnen, wenn sie dem Gitarrensolo lauschen, mit dem sie ihr wunderschönes „Future3“zerschreddert. So viele Gänse kann man gar nicht rupfen, wie ich dabei Gänsehaut bekomme. Deswegen werde ich das auch am 17. Dezember auf einem Zappa-Abend in der Favoritbar auflegen, der eben nicht nur monotheistisch dessen Musik feiert, sondern auch artverwandte. Damit will ich dann einen Abend abrunden, den der Zappaloge Jim Cohen spannend mit seinem Vortrag über Zappa und die Präsidenten einläutet. Ob er auch darauf zu sprechen kommt, dass Tina Turner auf Frank Zappas Overnite Sensation mitsingt, aber nicht genannt wird, weil deren damaliger Gatte Ike Turner das nicht wollte, weiß ich nicht. Ike wollte übrigens auch nicht, dass Zappa sie besser bezahlte als er. Weswegen Zappa den Chor damals ungewöhnlich preisgünstig empfand. Andererseits wirkte Eric Clapton schon umsonst auf einer Zappa-Platte mit. Auf „We’re only in it for the money“ist seine neben denen von Rod Stewart und Tim Buckley eine der Stimmen in „Are You Hung Up?“. Ein Frage, auf die ich nach solchem Hörgenuss frisch gereinigt antworte: „Aber sowas von!“