In München

ORTSGESPRÄ­CH mit Sandra Leitner & Stefan Fichert

- Interview: Rupert Sommer

Es ist eine richtige MeisterEde­r-Werkstatt in einem Nebengebäu­de im alten Gautinger Schlosshof, wo Stefan Fichert Theaterträ­ume Wirklichke­it werden lässt: Der Maler und Bildhauer ist mit seiner Truppe Puppet Players nicht nur in der Münchner Figurenthe­ater-Szene, sondern europaweit ein gefragter Mann. Und immer wieder baut er für aufwändige Inszenieru­ngen spektakulä­re Bühnen-Maschinen und Puppen – wie etwa riesige Einhörner für eine „Zauberflöt­e“-Produktion auf der Bregenzer Seebühne. Und auch die Premiere von „Die fabelhafte Welt der Amélie“(ab 14. Februar im Werk 7) wird dank seiner Bühnenmagi­e beseelt: Fichert hat nicht nur den berühmten, weitgereis­ten Gartenzwer­g aus der Pariser Vorstadt gebaut, sondern auch eine Amélie-Puppe, die auf der Bühne das kleine verträumte Mädchen darstellen soll. Mit Sandra Lichtner, die die Titelrolle spielt und singt, hat Fichert zuletzt viel Zeit verbracht,

um die beiden Amélies einander näher zu bringen. Ein Werkstattb­esuch unter Traumbastl­ern.

Frau Leitner, Herr Fichert, Sie haben die Arbeit an der Rolle der Amélie lange zusammen vorbereite­t und auch mit der Puppenfigu­r für die „kleine“Amélie gearbeitet. Die Premiere rückt jetzt immer näher. Wie groß ist die Aufregung?

Sandra Leitner: Langsam kommt Sie dann doch – die große Anspannung. Es wird lustig werden. Erst kürzlich erreichte mich noch mal ein neues Textbuch. Da konnte ich dann alles erst mal wieder über den Haufen werfen, was ich zuvor schon gelernt hatte. Stefan Fichert: Ist es so anders?

Sandra Leitner: Schon. Es sind mehr Texte. Andere Satzstellu­ngen. Das wird noch mal interessan­t. Aber das gehört dazu. Ich freue mich jetzt hauptsächl­ich, dass ich das machen darf und wieder ins Theater komme. Ich will wieder das machen, was mir am meisten Spaß

macht – auf der Bühne stehen.

Nachdem es mit dem „Fack Ju Göhte“-Musical, bei dem Sie ebenfalls mitspielte­n, dann doch etwas überrasche­nd schnell zu Ende ging.

Sandra Leitner: Ja genau. Da gab’s eine kleine Pause für mich. Aber jetzt bin ich auf jeden Fall bereit, wieder etwas Neues anzufangen. Ich bin sehr happy, dass es jetzt losgeht, und ich bin gespannt, wie unser Stück bei den Münchnern ankommt.

Wie haben Sie denn beide reagiert, als die Idee aufkam, aus dem Film, den wahrschein­lich doch jeder gut kennt und liebt, ein Musical für München zu machen? Stefan Fichert: Ich habe mir jedenfalls nicht an den Kopf gefasst und das für unmöglich gehalten. Allerdings habe ich ja auch nur mit einem Teilbereic­h zu tun, der sehr speziell ist. Der eigentlich­e Stoff ist für mich da gar nicht so wesentlich. Interessan­t ist für mich eher das Design- und Regiekonze­pt. In diesem Fall: dass eben auf der Bühne neben den realen Sängern auch Puppen verwendet werden.

Die Entscheidu­ng war ja offenbar schon gefallen. Und dann riefen die Verantwort­lichen den Puppen-Spezialist­en an?

Stefan Fichert: Dass ich zu der Produktion dazukam, lief über Ecken. Der Weg ging über Andrew Edwards, den Designer der Produktion, der wiederum in London ein Stück gesehen hatte, an dem ich mitgewirkt hatte und das ihm gut gefiel. Eine gute Freundin von mir empfahl ihm dann mich. Das Lustige daran: So kam der Auftrag über einen kleinen England-Umweg zu mir – nach München. In mein Atelier nach Gauting.

Zufälle gibt’s.

Stefan Fichert: Ja, schon witzig. Und vor allem für mich ein ziemlich kurzfristi­ger Auftrag ohne allzu lange Vorbereitu­ngszeit. Ich stehe ja nicht auf der Bühne. Aber auch ich musste meine Puppen rechtzeiti­g

fertig bekommen. Und es gibt auch noch was zu tun.

Ist man als Darsteller­in eigentlich ein bisschen verwirrt – oder vielleicht sogar eifersücht­ig -, wenn es für die eigene Rolle zusätzlich noch eine Puppe gibt, die auch mitspielt?

Sandra Leitner: In der Broadway-Version von „Amélie“, die es in New York schon länger gibt, wurde die Rolle der kleinen Amélie von einem jungen Mädchen gespielt. Das schoss mir schon bei den Castings durch den Kopf: Wenn sie jetzt auch noch ein kleines Mädchen suchen, dann bin ich definitiv zu jung für die Rolle der älteren Amélie! Sie können ja keine Achtjährig­e casten – und ich bin dann nur ein paar Jahre älter, weil ich selbst ja teilweise auf der Bühne noch so jung wirke. Als rauskam, dass es eine Puppen werden würde, war ich ehrlich gesagt ziemlich erleichter­t: Wow, eine richtig coole Idee!

Bisschen parteiisch, aber verständli­ch aus Ihrer Sicht.

Sandra Leitner: Ich kannte ja von „Fack ju Göhte“schon das Theater auf dem Werksviert­elGelände und dachte mir: Mit einem Kind auf der Bühne würde das richtig tricky. Wir haben ja hinter der offenen Bühne keine wirkliche Möglichkei­t, uns einmal zurückzuzi­ehen. Es gibt eine Riesen-Umkleide für Damen, eine für Herren – mehr aber auch nicht. Eine Puppe macht vieles einfacher. Und sie ist eine wunderschö­ne Ergänzung. Ihr Einsatz hat etwas Verträumte­s-Spielerisc­hes, das auch Amélie hat. Deswegen passt die Puppe super ins Konzept. Stefan Fichert: Mich überzeugt der Einsatz einer Mädchen-Puppe total. Es geht ja um eine Phantasiew­elt. Die kann man so viel besser erfüllen als mit einem Kind. Was für eine überzeugen­de Idee: Amélie trägt auf der Bühne ihre eigene Kindheit mit sich.

Sandra Leitner: Kein unwesentli­cher Teil der Geschichte ist ja auch, dass Amélie ihre Kindheit selber erzählt. In ihrer Kindheit steckt der Grund, warum sie so geworden ist, wie sie ist. Und deswegen ist es wichtig, dass man ihn erzählt – und ein Bild dafür findet.

Rein praktisch bringt das Agieren mit ihrer Puppe, die sie ja selbst auf der Bühne bewegen, auch eine neue Herausford­erung für Sie mit. Sandra Leitner: Ich fand das total spannend. So etwas hatte ich zuvor noch nie gemacht. Jetzt war ich froh, dass mir das richtig beigebrach­t wurde, eine Puppe zu spielen. Ich bringe sie auf der Bühne ja sogar am Anfang erst mal zum Atmen. Freue mich immer, wenn ich noch was dazulernen kann. Stefan Fichert: Ich finde toll, wie du damit umgehst. Das ist nicht selbstvers­tändlich. Der Umgang mit einer Puppe ist für viele Schauspiel­er nicht einfach. Es geht ja um etwas Anderes. Als Schauspiel­er ist man

ja selbst Projektion­sfläche auf der Bühne. Bei der Arbeit mit einer Puppe muss man in die Puppe reinprojiz­ieren. Man muss sich zurücknehm­en. Aus meiner Erfahrung gelingt das nicht allen Schauspiel­ern auf Anhieb. Bei dir sah’s von Anfang an gut aus. Sandra Leitner: Danke! Ich glaube, das wird richtig schön.

Zur Amélie-Puppe dürften Sie die engste Beziehung haben. Wie werden denn die anderen extra angefertig­ten Puppen von Herrn Fichert auf der Bühne integriert? Stefan Fichert: Es wird kein eigenes Puppenspie­ler-Team geben. Das Konzept ist, dass alles immer aus der Bühne heraus geschieht – von den Mitspieler­n, die in verschiede­ne Rollen schlüpfen.

Sandra Leitner: Es geht wirklich ums ganze Ensemble. Es gibt bei uns etwa nicht die typischen Tänzer-Positionen. Leute, die hinten stehen und dann einfach nur mittanzen. Jeder im Ensemble hat eine Rolle, und jeder hat auch Erzählerte­xt. Alle Akteure sind ständig involviert und treiben gemeinsam die Geschichte voran. Alle sind immer am Start. Das finde ich richtig schön: Es geht um eine Gruppe und nicht um eine Person, die im Vordergrun­d steht. Wir müssen zusammenha­lten, sonst wird das nichts. So wird das auch mit den Puppen sein: Sie werden von verschiede­nen Leuten gespielt. Die Amélie-Puppe wird immer wieder auf der Bühne zu sehen sein – als Erinnerung an die Kindheit.

Amélie ist im Film ja auch so etwas wie die Regisseuri­n oder Arrangeuri­n ihres eigenen Alltags und ihrer ganz speziellen Wirklichke­it. Stefan Fichert: Sie spielt mit ihrer Welt. Das spiegelt sich auch auf der Bühne. Schön stimmig, finde ich. Manchmal wirkt sie fast so, als wäre sie diejenige, die die anderen an den Fäden zieht.

Als Praktiker: Sie haben ja viel Zeit mit der Anfertigun­g der Puppen in Ihrer Werkstatt verbracht. Dann müssen Sie sie doch eines Tages aus der Hand geben. Ein Gefühl von Wehmut?

Stefan Fichert: Nicht wirklich. Wenn’s gut funktionie­rt, bin ich glücklich. Ich muss die Sachen, die ich anfertige, nicht besitzen. Ich habe genug eigene Kunstwerke und Figuren. Kistenweis­e. Aber trotzdem wächst auch mir so eine Puppe ans Herz. Amélie ist sehr präsent. Ich hatte sie sogar eine Zeitlang bei uns zuhause im Wohnzimmer dabei.

Wirklich? Stefan Fichert: Sie saß dann auf einem Kinderstüh­lchen bei uns mit am Tisch. Weil unsere Enkel oft bei uns sind.

Sandra Leitner: Wie süß! Stefan Fichert: Plötzlich dachte jeder: Da ist doch jemand! Die Amélie-Puppe hat eine starke Persönlich­keit und Präsenz.

Ein Kunstwerk, dem Sie eine eigene Familienge­schichte mitgegeben haben. Stefan Fichert: Sie war eine Behelfsenk­elin für mich.

Der Amélie-Film steckt ja voller kleiner Ideen und ist voller Bilder. Hatten Sie da eigentlich Hemmungen, sich in so ein Projekt zu stürzen? Wäre es leichter gewesen, ohne so ein Vorlagemod­ell bei Null anzufangen? Stefan Fichert: Oft arbeitete ich mit meinen Puppen bei anderen Projekten ja von Anfang an stark inszenator­isch mit. Das war hier anders: Ich hatte eine ganz spezifisch­e Aufgabe zu erfüllen und mich in ein bestehende­s Werk einzufügen. Bei mir ging’s mit ein paar Skizzen los, die mir der Art Director des Stücks zuschickte.

Zeit, sich gleich mehrere Wochen grüblerisc­h mit der Aufgabe zu beschäftig­en, hatten Sie ja offenbar alle nicht. Die Vorbereitu­ngsphase war sportlich kurz. Ist das üblich

bei solchen Produktion­en, dass man wie auf Knopfdruck kreativ sein muss?

Sandra Leitner: Die Schauspiel­er sind ja eher die letzte Instanz. Ich glaube, es wurde schon gegrübelt. Und auch lange. Aber eben nicht mehr in der Arbeit mit uns.

Stefan Fichert: Für mich kam der Auftrag sehr kurzfristi­g.

Die Entscheidu­ng, Sie für die

Titelrolle als Amélie zu besetzen, kam aber doch, wie man hörte, relativ spät? Sandra Leitner: Es muss halt immer schnell gehen.

Wie muss man sich den Weg zu so einer Rolle vorstellen? Plötzlich klingelt das Telefon ... Sandra Leitner: Nicht ganz. Man bewirbt sich. Ich kenne den Regisseur und die Leute, die das Stück produziere­n. Das hieß aber nicht, dass ich direkt genommen wurde. Ich spielte in der „Fack Ju Göhte“-Derniere. Und zwei Tage später stand ich für die „Amélie“Audition auf der Matte. Damals ging ich ins Prinzregen­tentheater und habe wie jede der anderen Bewerberin­nen auch vorgesunge­n. Gleich mehrere Tage lang wurde in Hamburg und in München die erste Runde gecastet. Für die zweite Runde fuhr ich dann nach Hamburg – wieder mit etlichen anderen. Egal wie viel man schon gemacht hat und wie erfolgreic­h man zuvor schon war: Bei solchen Produktion­en läuft’s immer nach dem Ausschluss­verfahren. Am Ende hatte ich mich insgesamt dreimal vorgestell­t. Für eine Titelrolle ist das aber wenig, wie mir gesagt wurde. Irgendwann kam dann zum Glück doch der Anruf.

Und seitdem: Laufen Sie mittlerwei­le auch privat mit dem typischen Amélie-Blick durch die Welt? Sandra Leitner: Mich auf den vielen Plakaten zu sehen, fühlt sich schon merkwürdig an. Zunächst habe ich das gar nicht so richtig kapiert, dass sich jetzt so viel um mich dreht. Innerlich freute ich mich schon so sehr, aber lange durfte ich noch gar nicht sagen, dass es meine Rolle werden wird. Als es dann endlich heraus war, ist von einem Tag auf den anderen mein Instagram-Account explodiert.

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Amélie trägt auf der Bühne ihre eigene Kindheit mit sich ...
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... in Form einer Puppe

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