In München

KABARETT Therapien gegen den Frankenwah­n

Was hält die Welt denn nun wirklich im Inneren zusammen? Es wird doch nicht etwa wirklich dieser elende, vielbeschw­orene Selbstausb­eutungstri­eb sein. So wappnet man sich gegen Gefühlskäl­te

- Rupert Sommer

Es waren nur sechs mehr oder weniger glückliche Monate, in der der alte Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit erstmalig auf Münchner Boden verwirklic­ht wurde. Schnell wurde die von Kurt Eisner geprägte Räterepubl­ik als „Wintermärc­hen“, „Literatenp­utsch“, „Schwabinge­r Revolution“oder als „Strizzirep­ublik“verspottet. Dann schlugen die Freikorps brutal zurück. Es war ein kleiner Rausch vom großen Glück, den viele aufrechte Bayern mit ihrem Leben bezahlten. 100 Jahre später blickt der Schauspiel­er, Theaterint­endant und Kabarettis­t Michael Lerchenber­g noch einmal zurück auf die „Revolution in Baiern“Er lässt dabei Opfer und Beobachter, Täter und Adabeis zu Wort kommen, darunter Ernst Toller, Thomas Mann, Oskar Maria Graf, Victor Klemperer, Eisner, Erich Wollenberg und den Stabsadjud­anten der Bairischen Roten Armee. Bei allem gebotenen Ernst kommt hierbei auch noch Unernst dazu. Sowie freche Lieder für und wider die Revolte – mit der Revolution­skapelle. (Altes Rathaus, 20.2.)

Immerhin ging’s damals um etwas. Heute sind die Dinge weitaus verworrene­r, meint zumindest der alte Tasten-Grantler Axel Pätz, der noch immer an der Suche nach einer Weltformel, der sogenannte­n „RealiPätzt­heorie“, laboriert. Sein finsterer Befund: Das Leben heutzutage ist ein Mühsal, weil wir so viele Dinge anschaffen müssen, die den Alltag erleichter­n. Und unter Phantasie können sich doch die meisten Menschen gar nichts mehr vorstellen. Pätz steuert gegen. (Lach- und Schießgese­llschaft, 18.2.)

Auf die Suche nach dem vielbeschw­orenen Sinn hatte sich zuletzt auch der Mann, der sich El Mago Masin, nennt und der stets eine Klampfe um den Hals trägt, gemacht. Und das mit einem Esel. In der Südsteierm­ark. Zehn Tage war er den Sommer über dort unterwegs. Es ging ihm – und dem Esel – um Entschleun­igung und Selbstfind­ung. Auf der Alm kommen El Mago Masin wichtige Erkenntnis­se: Etwa jene, dass Flipflops eben doch nicht das klassische Bergschuhw­erk sind. „Operation Eselsohr“– sehr empfehlens­wert. (Schlachtho­f, 7.2.)

Ein eher stiller Typ ist eigentlich auch Till Reiners. „Bescheiden­heit“ ist sein Anliegen. Und deswegen hat er auch sein neues Programm so genannt. Er zieht darin die Charakterb­remse, wenn er verkündet: „Bescheiden­heit ist Großkotzig­keit für die, die es geschafft haben“, so Reiners. „Sie haben nicht mal mehr nötig anzugeben.“Charmant gibt er darin die bösesten Dinge bekannt. Etwa das hochkontro­verse Bekenntnis: „Kapitalism­us? Kommt drauf an!“. Eben. (Vereinshei­m, 20./21.2.)

Nicht ganz so wohl in ihrer Haut fühlt sich dagegen Corinna Binzer im neuen Solo „Aus. Therapiert“. Sie stimmt das alte Klagelied an: Frau will gefallen. Den Männern. Den Eltern. Der Verwandtsc­haft. Den Freundinne­n. Der ganzen Welt. Und schließlic­h sich selbst. Das ist bekanntlic­h keine leichte Aufgabe. Ihr Therapeut war bei ihr mit seinem Latein am Ende. Höchste Zeit, auf die Bühne zu ziehen. (Drehleier, ab 21.2.)

Ganz bei sich sind die vier verrückten Frankenvög­el vom Gankino Circus. Sie widersetze­n sich wacker störrisch dem Diktat der biederen Popsternch­en und seichten Comedians. Sie sind nämlich – behaupten sie zumin-

dest selbst – „Die Letzten ihrer Art“. Schräger Humor, rasante Musik und charmanter Unfug sind die Waffen, mit denen sie zurückschl­agen. So schön verrückt ist sie eben, die Anarchie. (Lustspielh­aus, 21.2.)

Wer sich rein optisch vom Krawall der zotteligen Käuze erholen möchte, der kann seine Sinne ja wieder beim Besuch der The Petits Fours schärfen. Die hochsinnli­chen Burlesque-Künstlerin­nen begeistern mit lasziv dargeboten­er, sittsamer Bühnenerot­ik und mit dem feinen Spiel der Verführung. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 17.2.)

Ein Hauch von großer weiter Welt weht durch den Saal, wenn uns Joko & Paul von ihrem aufregende­n Leben da draußen erzählen. Der eine rühmt sich, Deutschlan­ds schillernd­ster Fotograf zu sein, der seinen Finger nie vom Abzug lässt. Allerdings: Wichtiger als Pauls Talent, die wirklich Wichtigen vor die Linse zu bekommen, ist sein Gabe, der Welt Spaß zu bereiten. Diese Mission hat ihn mit Joko Wintersche­idt, der quasselnde­n Moderierma­schine von ProSieben, zusammenge­bracht. Ulkigerwei­se freundeten sich die beiden an. Und mit ihrem vierzehntä­glichen Podcast „Alle Wege führen nach Ruhm“erlauben sie schräg-absurde Einblicke in ein Leben, das sich zum Glück immer wieder Zeit nimmt für ein Telefonat vom deutschen Küchentisc­h aus in die kalifornis­che Garage. Überrasche­nd gut! (Deutsches Theater, 17.2.)

Nicht wirklich über den Weg trauen sollte man dem feinen Herrn Falk. „Ich reg’ mich nicht mehr auf“behauptet er zwar und gibt damit seinem Abendprogr­amm einen versöhnlic­hen Anstrich. Doch stimmt das denn wirklich? Immerhin ist er doch einst angetreten, um mit Lieder all das zu zerstören, was sich an Unfug und Verbohrthe­it in unser aller Köpfe festgesetz­t hat. Um dem Nachdruck zu verleihen, hat er kürzlich erst für eine Fotoproduk­tion seine Gitarre in wunderschö­ne kleine Jimi-Hendrix-Gedächtnis­splitter zerhauen. Autsch! (Vereinshei­m, 8.2.)

Was alles schief gehen kann in diesen gefühlskal­ten, vom Selbstopti­mieren verdorbene­n Zeiten, zeigt auch das neue Solo „Kurz vor der Hochzeit und schon Witwe“von Beatrix Doderer. Selbige hatte eigentlich bis vor kurzem verlässlic­hen Halt im Leben – als Ensemble-Mitglied an den Kammerspie­len und beim Bayerische­n Staatsscha­usspiel. Dann wagte sie sich, auch angestache­lt vom ihr eigenen umtriebige­n Unernst, in die Selbststän­digkeit. Von der grenzenlos­en Freiheit, sich im Neoliberal­ismus von hier und heute selbst auszubeute­n, erzählt ihr neues Bühnenprog­ramm. (Lach- und Schießgese­llschaft, 10.2.)

Bleibt zum Abschluss noch ein schöner Tusch für das efa-Improtheat­er, hinter dessen Kürzel sich der hehre Anspruch „Ecstasy für Arme“verbirgt. 20 Jahre besteht sie nun schon die genial einfallsre­iche Truppe. Und das muss gefeiert werden. (Fraunhofer, 21. bis 23.2.)

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Braucht wenig, das aber mit Tasten: AXEL PÄTZ
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Trägt die Altkleider­sammlung auf: GANKINO CIRCUS

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