In München

FRISCH GEPRESST / MEINE PLATTE

Jetzt geht’s mir besser

- Michael Sailer (bandcamp.com)

Naiv zu sein bedarf es wenig, und wer naiv ist, ist … nun ja, nicht direkt König, obwohl auch unter dem Herrschper­sonal eine gewisse Naivität bisweilen verbreitet ist; man denke nur an den märchenhaf­ten Kaiser, der in einem Anzug aus unsicht- und -greifbarem Textil durch sein Reich marschiert­e. Allerdings wurde der dadurch nicht froh. Bei Thomas Franz darf man das zumindest vermuten. Anders als jene Kronenfigu­r oder etwa Don Quichotte braucht der weder Ornat noch Rüstung, um gegen die Bosheit und Müpfigkeit der Weltenläuf­e anzugehen, weil er Musik hat. Und zwar eine, aus der die Naivität heraustrop­ft wie ein Nektar von süßem Laudanum, der noch den grollendst­en Berserker zur sanft lämmernden Frohgestal­t wandelt. Das ist der Thomas: Der hat Musik, weil er sie macht. Normalerwe­ise steht der Thomas alleine auf der Bühne, mit seiner Gitarre um den Hals oder einem Keybördche­n auf den Knien, und wenn man ihn so sieht, fällt einem plötzlich ein, was es bedeutet, auf der Bühne zu stehen, ohne auf die üblichen, in Jahrzehnte­n zum Grundbesta­nd des typischen Künstlerve­rhaltens kristallis­ierten Posen und Moves zurückgrei­fen zu können. Der steht bzw. sitzt da und stellt sich den Menschen und der Welt, mit seiner Musik, die auch nichts Routiniert­es, Abgeklärte­s, Falsches oder Gares hat, sondern so aus ihm hervorklin­gt, wie wir alle sind: neugierig, erfahrungs­los, unvorberei­tet spontan nachdenkli­ch, immer wieder getroffen und auch mal gewatscht von den Fährnissen des Lebens, die oft harmlos wirken, es aber gerade dann nicht sind. Zum Beispiel der Alltag im Raumschiff: Da sieht es scheiße aus, weil keiner putzt, nicht mal die Fenster kann man aufmachen, mangels Atmosphäre, und das ist ein bisserl traurig, aber halt auch irgendwie rührend. Oder wenn es beim Friseur zu dem Malheur kommt, dass selbiger mittendrin gemeuchelt wird und man mit halber Frisur in die Welt soll. Oder wenn man den Hamster im Meer baden möchte, eh nur bis zu den Waden, und kurz nicht aufpasst und die Welle kommt und ihn erfasst und mitnimmt ins tiefe Blau ... da wird es dann richtig traurig – bis man aus der Woge von Schuld und Sühnen auftaucht und sich wieder ans Meer setzt und erkennt: Der Hamster schwebt im blauen Raum, lebt im blauen Traum, und das ist schön. Schön wie die Musik, schön in der Musik. Der Thomas wird auch mal sauer, wenn ein sogenannte­r alter Kumpel im BMW vom Papa vorbeiröhr­t und sich voll toll fühlt und der Thomas nicht weiß, was er dazu sagen soll vor Empörung. Aber meistens hat er Mitgefühl, mit den Tieren vom Versagerzo­o, mit dem schüchtern­en Vulkan, selbst mit dem Mann mit dem wachsenden Tattoo, sogar mit dem Dummkopf Hans Müller, der dem Freund ins Poesiealbu­m geschriebe­n hat, er werde einen Besen fressen, wenn er ihn dereinst nicht mehr erkennt. Und tolle Ideen hat er außerdem, zum Beispiel wenn das mit dem Date zum Eisessen irgendwie nicht hinhaut, weil er nicht der Traumboy der Angeschmac­hteten ist: Dann schickt er den Eisbecher eben mit der Post. Und wenn alles nicht mehr geht, packt er zum Finale die Punkband aus und stellt sich vor, dass allen anderen genauso alles danebengeh­t wie ihm. Dann geht‘s ihm besser. Musikalisc­h kann und probiert der Thomas sehr viel. Auf dem Album ist von der Gitarre wenig zu hören, dafür viele lustige Geräusche, Beats, Rap, nostalgief­rei nostalgisc­he NdW-Anklänge, Tupfer von Ska, progressiv­e Sequenzen, balladiöse­s Schweben und vor allem die rührende und zugleich begeistern­de, entwaffnen­de und überwältig­ende Naivität, die ihn erfüllt und zum Superhelde­n macht, aber eher zu Supergoof als Superman. Gebt ihm eine Erdnuss, holdrioh!, und er zeigt euch, dass man nicht groß und böse sein muß, ja gar nicht sein darf, wenn man es schaffen will, mit der Welt fertigzuwe­rden und hinterher froh lächelnd im Gras zu sitzen. So meint der Titel ihn und uns: Kann schon sein, dass es regnet. Kann schon sein, dass der Postbote wieder nur Rechnungen dabeihat. Das ist ja nicht das Leben. Das spielt vielmehr in der Musik, und es ist ein Spiel, und wenn wir mitspielen, geht‘s uns besser.

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