Das Leben feiern
„Glück ist was für Weicheier“von Anca Miruna Lăzărescu
Als Cheerleader wäre die zwölfjährige Jessica wahrlich nicht geeignet. Mit ihren kurzen Haaren wird der unbeholfen wirkende Pummel sogar oft für einen Jungen gehalten und in der Schule gemobbt, gar bösartig als „Neutrum“beschimpft. Eine Außenseiterin. Dazu leidet sie noch unter Zwangsneurosen, klopft immer an die Tür, bevor sie einen Raum betritt, hält manche Zahlen für Unglücksbringer und zerrt und zieht ständig an ihren Kniestrümpfen. Ein leicht durchgeknallter Psychologe soll da Abhilfe schaffen. Jessica aber achtet weniger auf eigene Befindlichkeiten, sondern kümmert sich rührend um die ältere und super hübsche Schwester Sabrina, die wegen einer Lungenkrankheit dem Tod geweiht ist. Und der immer nach dem Guten suchende Vater Stefan, Bademeister im Schwimmbad, kann den Tod seiner Frau nicht verwinden und liest dennoch sterbenden Patienten in einem Hospiz vor. Während sich der Zustand von Sabrina verschlechtert, nehmen Jessicas Ticks rapide zu. In einem alten Buch entdecken die Schwestern einen Tipp, wie die Krankheit vielleicht „geheilt“werden kann. Dazu müsste sich jemand zum „Beischlaf“bereit erklären, damit das Siechtum auf ihn überspringt. Wie sie diesen skurrilen Sex-Deal in die Tat umsetzen und ein „Opfer“finden, das wird zur Tragikomödie mit großem Lach- und Heulpotenzial. In ihrer zweiten langen Regiearbeit nach „Die Reise mit Vater“erzählt Anca Miruna Lăzărescu, Absolventin der HFF München, vom leisen Abschiednehmen, Hoffen, Bangen und auch Scheitern, wobei manchmal der Logikfaden wie der stringente Handlungsstrang verloren gehen. Dafür entschädigen absurde Momente und makabre Szenen: Da versteht der Sterbehelfer partout nicht, warum einer der Betreuten vor dem Exitus unbedingt noch einen Mixer bestellen will, oder – gerade als Stefan eine Spritztour im Auto als befreiend empfindet – ihm wumms ein Hirsch vor den Kühler läuft und mausetot alle Viere von sich streckt. Dass die diffizile Gratwanderung dennoch klappt, liegt an den drei wunderbaren Schauspielern – Martin Wuttke als männliches und naives Sensibelchen, der den Alltag kaum wuppen kann, Emilia Bernsdorf, die sich mit Mut gegen ihre Krankheit auflehnt und ungerührt Horrorfilme reinzieht, und als Hauptfigur Ella Frey, die ihr Innerstes nach Außen kehrt (oft durch Slow-Motion unterstrichen), sich demütigen lässt, immer wieder aufrappelt – bis sie irgendwann mal einem dämlichen Jungen wütend an die Gurgel geht. Sie ist das pochende Herz des Films, zwischen Kindheit und Erwachsenwerden, stark und verletzbar. Dem Tabuthema Tod wird in der Mischung aus Traurigkeit, Melancholie und Lebensmut die Schwere genommen, Leben und Tod bilden eine Symbiose, Verlust und Trauer schmerzen, aber Aufgeben ist nicht. Kämpfen bis zum letzten Atemzug. Diese Familiengeschichte mit Menschen, die das Schicksal rüttelt und schüttelt, bewegt. Feinsinnig, wie sie trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen das Leben feiern. Diese Drei sind keine Weicheier, sie hätten ihr Glück trotzdem verdient.