Schneeflockig leicht
Was für eine Schau: „Drei Männer im Schnee“am Gärtnerplatztheater
Ist es nicht ein Risiko, diesen Stoff zu machen? „Drei Männer im Schnee“, die Verwechslungskomödie mit dem sozialkritischen Touch, die jeder kennt, weil sie jährlich zu Weihnachten aus dem Fernseharchiv geholt wird, und zu der Erich Kästner selbst das Drehbuch geschrieben hat, nach seinem eigenen Roman von 1934? Am Gärtnerplatztheater kommt man gar nicht erst auf die Idee, einen TVHit auszuschlachten oder „weiterzuverwerten“. Der Anspruch ist: Neues, Eigenes, und also wirklich eine „Welturaufführung“. Kästner war nicht nur Humorist, er war Zeitkritiker, Satiriker, und so überrascht es nicht, dass man Thomas Pigor, Träger zahlreicher Kabarettpreise, als Librettist beauftragt hat: ein Glücksgriff. Pigor entstaubt, modernisiert die Geschlechterrollen und gibt der Liebe auch homophil eine Chance. Er bindet die Zeit ein, rund um den Jahreswechsel 1932/33. Nazis treten auf, aber sie sind Nebensache. Noch. Die Story ist die alte. Millionär Tobler hat Lust auf ein Sozialexperiment, als „Gewinner“eines Preisausschreibens der eigenen Firma geht er als einfacher Herr Schulze ins Grand Hotel. Inkognito angekündigt, verwechselt man ihn mit einem anderen Gewinner, dem arbeitslosen Werbetexter Hagedorn, und hält nun diesen für den Millionär. Tobler wird ins letzte Loch einquartiert und die Hotelleitung triezt ihn, den Underdog, fortan mit niederen Tätigkeiten. Rund um Witz und Ironie des Textes stricken vier Komponisten ein allerliebstes Musikpanorama: Pigor selbst und sein langjähriger Wegbegleiter Benedikt Eichhorn, der Jazzer Konrad Koselleck und Max-Raabe-Pianist Christoph Israel. „Revueoperette“ nennen sie ihr Werk, und das macht mächtig Laune beim Zuhören: 20erJahre-Salonmusik, Charleston, Tango, bisschen Swing, bisschen Schrammeln, dann wieder Ufa-Sound der 30er Jahre – Chapeau! Andreas Kowalewitz und das Gärtner-Orchester zeigen sich bestens aufgelegt, auch wenn sie – bisschen Wermut – der Schmiss ein paar Mal überwältigt, was (so klingt’s im Parkett) den Texten dann nicht so gut tut. Der Schauwert ist enorm. Ob Weihnachtsfeier (mit Kinderchor), Hotelfoyer, Eisbahn (Bühne: Rainer Sinell): die Kostümabteilung (Dagmar Morell) tobt sich quer durch die Schichten aus, gerne einen sympathischen Tick drüber: Berliner Angestelltengrau, Knickerbocker, Schiebermütze, Mondänes und Alpines im Hotel und beim Silvesterball, und die frühe Sportmode beim umjubelten Skikurs-Stepp-Ballett (Choreografie: Adam Cooper). Und: Schneemann und Schneefrau. Von ein paar Längen nach der Pause abgesehen: Intendant Josef E. Köpplingers Regie packt die Chose mit schneeflockiger Leichtigkeit an, Komödie bleibt Komödie, Zeit- und Sozialkritik bleiben behutsam. Das Ensemble zeigt sich stimmlich von gewohnter, also bester Qualität, und spiellustig bis in die kleinsten Chargen. In den Hauptrollen: Erwin Windegger als kahlköpfiger Millionär (dass er als ziemlich chicer Herr Schulze gemobbt wird, muss man aber schon glauben wollen), Armin Kahl als bodenständiger Hagedorn, dem Geld lieber wäre als der ganze Grand-Hotel-Mumpitz, und Alexander Franzen, Toblers selbstbewusster Diener, der schließlich noch Gefühle findet: für Toni, den Skilehrer (Peter Neustifter). Julia Klotz ist als Fabrikantentochter lange mehr auf Karriere aus als auf Liebe, Dagmar Hellberg eine Hausdame, die ihre Lebenslust entdeckt, und Sigrid Hauser als nymphomane Frau Calabré: ein rauschender Abgrund an Aufdringlichkeit. Nach zweidreiviertel Stunden: Jubel.