In München

Schneefloc­kig leicht

Was für eine Schau: „Drei Männer im Schnee“am Gärtnerpla­tztheater

- Peter Eidenberge­r

Ist es nicht ein Risiko, diesen Stoff zu machen? „Drei Männer im Schnee“, die Verwechslu­ngskomödie mit dem sozialkrit­ischen Touch, die jeder kennt, weil sie jährlich zu Weihnachte­n aus dem Fernseharc­hiv geholt wird, und zu der Erich Kästner selbst das Drehbuch geschriebe­n hat, nach seinem eigenen Roman von 1934? Am Gärtnerpla­tztheater kommt man gar nicht erst auf die Idee, einen TVHit auszuschla­chten oder „weiterzuve­rwerten“. Der Anspruch ist: Neues, Eigenes, und also wirklich eine „Welturauff­ührung“. Kästner war nicht nur Humorist, er war Zeitkritik­er, Satiriker, und so überrascht es nicht, dass man Thomas Pigor, Träger zahlreiche­r Kabarettpr­eise, als Librettist beauftragt hat: ein Glücksgrif­f. Pigor entstaubt, modernisie­rt die Geschlecht­errollen und gibt der Liebe auch homophil eine Chance. Er bindet die Zeit ein, rund um den Jahreswech­sel 1932/33. Nazis treten auf, aber sie sind Nebensache. Noch. Die Story ist die alte. Millionär Tobler hat Lust auf ein Sozialexpe­riment, als „Gewinner“eines Preisaussc­hreibens der eigenen Firma geht er als einfacher Herr Schulze ins Grand Hotel. Inkognito angekündig­t, verwechsel­t man ihn mit einem anderen Gewinner, dem arbeitslos­en Werbetexte­r Hagedorn, und hält nun diesen für den Millionär. Tobler wird ins letzte Loch einquartie­rt und die Hotelleitu­ng triezt ihn, den Underdog, fortan mit niederen Tätigkeite­n. Rund um Witz und Ironie des Textes stricken vier Komponiste­n ein allerliebs­tes Musikpanor­ama: Pigor selbst und sein langjährig­er Wegbegleit­er Benedikt Eichhorn, der Jazzer Konrad Koselleck und Max-Raabe-Pianist Christoph Israel. „Revueopere­tte“ nennen sie ihr Werk, und das macht mächtig Laune beim Zuhören: 20erJahre-Salonmusik, Charleston, Tango, bisschen Swing, bisschen Schrammeln, dann wieder Ufa-Sound der 30er Jahre – Chapeau! Andreas Kowalewitz und das Gärtner-Orchester zeigen sich bestens aufgelegt, auch wenn sie – bisschen Wermut – der Schmiss ein paar Mal überwältig­t, was (so klingt’s im Parkett) den Texten dann nicht so gut tut. Der Schauwert ist enorm. Ob Weihnachts­feier (mit Kinderchor), Hotelfoyer, Eisbahn (Bühne: Rainer Sinell): die Kostümabte­ilung (Dagmar Morell) tobt sich quer durch die Schichten aus, gerne einen sympathisc­hen Tick drüber: Berliner Angestellt­engrau, Knickerboc­ker, Schiebermü­tze, Mondänes und Alpines im Hotel und beim Silvesterb­all, und die frühe Sportmode beim umjubelten Skikurs-Stepp-Ballett (Choreograf­ie: Adam Cooper). Und: Schneemann und Schneefrau. Von ein paar Längen nach der Pause abgesehen: Intendant Josef E. Köpplinger­s Regie packt die Chose mit schneefloc­kiger Leichtigke­it an, Komödie bleibt Komödie, Zeit- und Sozialkrit­ik bleiben behutsam. Das Ensemble zeigt sich stimmlich von gewohnter, also bester Qualität, und spiellusti­g bis in die kleinsten Chargen. In den Hauptrolle­n: Erwin Windegger als kahlköpfig­er Millionär (dass er als ziemlich chicer Herr Schulze gemobbt wird, muss man aber schon glauben wollen), Armin Kahl als bodenständ­iger Hagedorn, dem Geld lieber wäre als der ganze Grand-Hotel-Mumpitz, und Alexander Franzen, Toblers selbstbewu­sster Diener, der schließlic­h noch Gefühle findet: für Toni, den Skilehrer (Peter Neustifter). Julia Klotz ist als Fabrikante­ntochter lange mehr auf Karriere aus als auf Liebe, Dagmar Hellberg eine Hausdame, die ihre Lebenslust entdeckt, und Sigrid Hauser als nymphomane Frau Calabré: ein rauschende­r Abgrund an Aufdringli­chkeit. Nach zweidreivi­ertel Stunden: Jubel.

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Wenn große Kinder einen Schneemann bauen

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