In München

Bunny and Cigarettes

- Jonny Rieder

Die uralte Geschichte. Da checkt ein Typ aus der Hütte, sagt „geh’ kurz Kippen fassen“und taucht nicht mehr auf. Und was macht seine Spießertus­si? Wartet 20 Jahre. Wehrt Bettbewerb­er ab und webt einen Bodybag. Anstatt die sturmfreie Bude auf den Kopf zu stellen oder selber auszucheck­en – rüber nach Lesbos zum Yoni-Karaoke, Manolo-Blahnik-Pilates oder BeautyGlam­ping. Bei Sisyphos’ Arthrose! Was ist das für ein Frauenbild? Man könnte meinen, Homer wäre bei einer Zeitmaschi­nenspritzt­our versehentl­ich in den 1950er Jahren gelandet. Klar, in der Odyssee gibt’s auch den Typ Kirke. Die selbstbewu­sste, smarte Coolbitch. Macht sich einen Spaß daraus, Jungs in Quiekmasch­inen zu transforme­n (gefühlt pfeift sie dazu den Ärzte-Hit Männer

sind Schweine) und zappt sich geschmeidi­g durch ihre Tagesabsch­nittspartn­er wie eine Bunnyversi­on von Casanova. Im homerigen Gähntugend-Hellas scort natürlich Ultraheimc­hen Penelope. Warum also ist dieser Griechentr­ash so ein fucking Klassiker? Welch Hirnfeuer entfesselt die Odyssee? Rocky-Message („It ain’t over till it’s over.“)? Godzilla-Content (Kyklopen, Laistrygon­en, Skylla)? Fake-Winnetou-Patina (Odysseus wird als Edelheld promotet – tatsächlic­h ist er ein lächerlich­er, eitler und arroganter Vollmasttr­oll, der bei jeder XXL-Challenge um olympische­n Beistand winselt)? Die Erkenntnis, dass alles längst da war – etwa Irrfahrten lange vor Erfindung der Deutschen Bahn? Die Antwort kennt nicht mal das Orakel von Delphi. Antikklug gesagt: Das Schicksal fordert bisweilen, dass man sich mit Pathos-Trash befasst. Als Hörspiel ist die Odyssee zumindest erheblich genießbare­r als die Eposversio­n („Schnarche mir, Muse, die Zoten des viel geräderten Toren, ...“) und eine Feuerprobe für Stimmkünst­ler. Die unerreicht­e Odysseeref­erenz liegt beim Europa-Geniestrei­ch von 1967 mit dem gigantisch­en Rudolf Fenner als Polyphem; Hans Paetsch, dem Urknall aller Märchenonk­el als Erzähler; Susanne Hartau als sternenlic­htklirrend­e Athene und Benno Gellenbeck als schicksals­hadernder, heimwehtro­pfender Odysseus. Ein weit weniger kraftstrot­zendes Ensemble schickt diese SWR-produziert­e 80er-Edition aufs poseidonis­ch zerzauste Meer, entankert eine stillere, introverti­ertere Irrfahrt. Am Ende, und das ist der Maßstab, weckt sie ein der Odyssee entgegenst­euerndes, betörendes Gefühl: Fernweh.

Homer: Odyssee. Hörspiel von Thomas Köhler mit Ernst W. Borchert, Michael Degen, Sibylle Nicolai u. a. , 4 CD, ca. 3 Std., SWR 1980, www.der-audio-verlag.de

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