Michel Houellebecq
Serotonin
(Dumont)
Er ist die übel qualmende Dampflok des Literaturbetriebs, ein Provokateur und Sprücheklopfer, der sich immer mal gerne mit steilen Thesen etwa zum Trumpeltier ins Gespräch bringt. Und Michel Houllececq hat einen Riecher für Themen, die bei ihm in Romanform auftauchen, die eben noch die Schlagzeilen beherrschten. Klar, in „Serotonin“kommt auch so etwas wie ein verzweifelter Regionalaufstand vor, wie man ihn von den gefürchteten Gelbwestenprotesten kennt. Was im allgemeinen Wirbel manchmal übersehen wird: Der Mann ist ein exzellenter, feinfühliger, trotz aller Sex-und-Fäkal-Wucht seiner Schilderungen geradezu altmodisch romantischer Schreiber. Und so kann man sich gerne mal wieder am neuen Roman abarbeiten. Man könnte die Nase rümpfen über bittere Altherren-Frauenverachtung. Und natürlich könnte man auch Überdruss empfinden über die Larmoyance, mit der schon wieder ein Pariser Akademiker (im Buch) mit Alkoholexzessen und Medikamentenmissbrauch sein Restleben ungebremst gegen die Wand fährt. Aber eigentlich verkennt das Vieles: Im Kern erzählt „Serotonin“vom Wunsch zu verschwinden und endlich all das zu betäuben, was den NostalgieFixer bis zum bitteren Ende keine Ruhe lässt. Es ist die quälend schmerzhafte Erinnerung an eine Zeit, in der vielleicht noch ein anderes, glückliches, liebendes Leben möglich gewesen wäre. Michel Houellebecq, der alte Schwerenöter, ist mal wieder „auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. In der Literaturgeschichte hat sich derlei zarte, sehnsüchtige Forschungsarbeit bewährt.