Destroyer
„Destroyer“von Karyn Kusama
Rotgeränderte Augen, leerer Blick, blutleere, zersprungene Lippen, die Sonne scheint, aber sie schmerzt. Erin Bell, police detective in L.A., ist ein Wrack. Sie spricht in einem Flüsterton, als wäre sie der Schatten eines Gespenstes. Sie schlurft und taumelt zombielike durch ein Los Angeles, das sich nicht als Stadt der Schutzengel zeigt, sondern als Vorhölle der Gestrauchelten: NiemandslandStraßen, Drogenhöhlen, Tummelplatz des Verbrechens. Nicole Kidman zählt zu den wenigen Weltstars, die ihre Rollen mit ausdrücklichem Willen zu Wagnis, Herausforderung und Vielfalt aussuchen. Wir kennen sie als Fantasy-Queen und Mädchen von Nebenan, als Ikone cooler Eleganz, Traumbild für Lust&Laster, und als strahlende Heldin genialer Regie-Provokateure wie Lars von Trier oder Stanley Kubrick. Hier aber, in Karyn Kusamas CopDrama verkörpert sie mit faszinierender Hingabe und Verwandlungslust die abgewrackte Kommissarin Erin Bell, eine Figur, an der es nicht den geringsten Aspekt von Glanz oder Charisma gibt. Vor 17 Jahren wurde Erin Bell in eine Undercover-Mission geschickt, die gründlich scheiterte. Nun holt die Vergangenheit sie wieder ein: der teuflische Boss jener Bankräuber-Bande, die sie damals infiltrieren sollte, sendet ihr ein Lebenszeichen und sie startet ihren Rachefeldzug gegen ihn mit einem elementaren Furor, wie ihn Scorseses Taxidriver haben konnte. Karyn Kusama hat für die atmosphärisch dichten Schilderungen und auch den Erzählstil von „Destroyer“an den rauhen Thrillern der 1970er-Jahre Maß genommen. Bad Cops nennt man Gesetzeshüter, die ihrerseits die Gesetze mit Füßen treten. Zumeist sind es – von Dirty Harry bis Bad Lieutenant – durchgeknallte Machos. Nicole Kidman präsentiert ihre Erin Bell als eigenwillig und packend konturierte weibliche Variante. Erin kann gerade so gewalttätig und zynisch sein wie die Bad-Cop-Männer, aber ihr Antrieb ist pure Verzweiflung. Die Männer suchen nach Rechtfertigungen, baden in Selbstmitleid, pumpen sich auf, Erin jedoch stellt sich ihrer Schuld – und das schlechte Gewissen frisst ihre letzten verflackernden Lebensenergien. Sie träumt von dem einen Lebensaugenblick, in dem sie ihrer Tochter eine fürsorgliche Mama war. In der raffiniert aus Rückblenden und Gegenwart geflochtenen Story bleibt nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint. Hinter dem Rachefeldzug entdecken wir, dass Erin eigentlich Ermittlungen gegen sich selbst in Gang setzt. Hinter der Action-Logik des Plots offenbart sich die Traumlogik der Bilder, und hier, im Aufblättern der traumatischen Bildergalerie entfaltet „Destroyer“seine stärkste Sogkraft. Plötzlich entwickelt sich das seelisches Drama, das uns mitten ins verzweifelte Herz der Dinge hineinnimmt. An der finalen Stelle, an der in einem reinen Action-Movie die Showdown-Ballerei stattfindet, zeigt uns Karyn Kusama das herzzerreißend schöne Gespräch zwischen Erin und ihrer widerspenstigen 16-jährigen Tochter. Tränen blitzen auf und Erins Flüsterstimme verliert ihren gespenstischen Widerhall.