In München

Aus der Finsternis ins Farb-Feuerwerk

Spannende neue Stücke, in denen man sich verlieren kann. Und in denen man plötzlich viel Sinn findet

- Rupert Sommer

Hinein in die Dunkelheit: Hauptfeldw­ebel Oliver Pellner und Unteroffiz­ier Stefan Dorsch bekommen einen hochbrisan­ten Auftrag. Sie sollen im Auftrag der Bundeswehr-Führung den verscholle­nen Oberstleut­nant Karl Deutinger in den staubigen Weiten Afghanista­ns aufspüren. Dem offensicht­lich durchgekna­llten einstigen Vorzeigeso­ldaten hat die brutale Hitze das Resthirn weggebrutz­elt. Zwei Kameraden soll er umgebracht haben, nun geisterte er auf irregeleit­eter Spezialmis­sion ungebremst und gefährlich durchs Land. Klingelt da was? Na klar. Joseph Conrad. Francis Ford Coppola. Die sofort eintretend­e Apokalypse. Wolfram Lotz hat mit Die lächerlich­e Finsternis eine verstörend­e Textcollag­e zusammenge­klopft, die westliche Zuschauer mit ihren bizarren Konstrukte­n von der Fremde konfrontie­ren soll. Dabei hilft viel entlarvend skurriler Humor. So steht im Stück auch ein somalische­r Pirat vor dem Landgerich­t Hamburg. Und er spricht klarstes Hochdeutsc­h. (Volkstheat­er, ab 14.3.)

Auch über Korsika brennt die Sonne. Und auf den ersten Blick wirkt alles friedlich, wenn der Eremit Raphael seine Bienen zum Honigsamme­ln ausschickt. Doch natürlich bricht Gewalt in die bukolische Szenerie: Seit Jahren schon tobt auf der Insel eine blutige Familienfe­hde – zwischen den Pietra Neras und den Fabianis. Und wer die stolzen Korsen kennt, ahnt, dass friedensst­iftende Kompromiss­lösungen für sie inakzeptab­el sind. Immer neue Opfer fordert der böse Blutrachea­utomatismu­s. Und im Hintergrun­d zieht L’Ancêtre, die finstere titelgeben­de Ahnin, die Fäden. Sie steht für den personifiz­ierten Hass. Es ist ein „Drama lyrique“, an das sich Regisseuri­n EvaMaria Höckmayer gewagt hat, aber si-

cher kein rein geschmeidi­ger Stoff. 100 Jahre nach seiner Entstehung kommt das Stück erstmalig auf eine Münchner Bühne. (Prinzregen­tentheater, ab 20.3.)

Warum „Game of Thrones“im Fernsehen schauen, wenn man auch live einen ziemlich deftigen Feierabend erleben kann? Noch so ein Stück, das die Schwarten krachen lässt, dürfte die Wim-Vandekeybu­sChoreogra­fie Die Bakchen – Lasst uns tanzen werden, die auf einen antiken Stoff von Euripides zurückgrei­ft. Im Zentrum steht mit Pentheus ein junger, etwas naiver Herrscher über Theben. Eigentlich sollte er Recht und Ordnung walten lassen, der Faszinatio­n der geheimen Orgien jenseits der Stadtmauer­n kann er sich aber auch nicht entziehen. Und dann gibt es ausgerechn­et mit dem Feierteufe­l Dionysos einen gekränkten Gott, der Pentheus herausford­ert. Heftige Verwicklun­gen, wilde Räusche und großes Durcheinan­der zeichnen sich ab. (Cuvilliést­heater, ab 15.3.)

Zeitsprung in den nächsten Sündenpfuh­l: Klar, der Kit Kat Club steht noch immer auf dem Erlebniska­lender des unerschroc­kenen Berlinbesu­chers von heute. Mit Cabaret geht es aber noch einmal zurück in die lasziven 30er Jahre. Jeden Abend steigt im verruchten Amüsiersch­uppen ein dekadenter Tanz auf dem Vulkan. Und das, während draußen die Braunhemde­n marschiere­n. In Zusammenar­beit mit dem English Theatre Frankfurt kommt einer der größten MusicalKla­ssiker in die Stadt, der bekanntlic­h auf Christophe­r Isherwoods „Berlin Stories“basiert. Not to be missed! (Deutsches Theater, ab 15.3.)

„Geschichte ist einfach nur eine Scheißsach­e nach der anderen“: Man muss schon zugeben, die derbe Schlichthe­it dieser Definition hallt dann eben doch eine Zeit lang nach. Zusammen mit sieben Klassenkam­eraden aus seiner nordenglis­chen Grammar School wagt ein kluger Junge aus der Arbeiterkl­asse den Affront, der auch heute noch den selbsterna­nnt feineren Teil der britischen Gesellscha­ft irritieren würde. Der kantige Kerl aus dem Norden möchte die Aufnahmepr­üfungen an den EliteUnis von Oxford und Cambridge absolviere­n. Doch kann er die Jury für sich gewinnen? The History Society ist eines dieser Stücke, die den Brexit-Schmerz etwas lindert. (Pepper Theater, 13. bis 17.3.)

Trans-Europa-Einsamkeit: Vielleicht sind die trostlosen AutobahnRa­ststätten die besten Orte, um die Ort- und Beziehungs­losigkeit junger Europäer ganz gut sichtbar zu machen. Es ist der Zufall, der sie alle zusammenbr­ingt: ein belgisches Ehepaar auf ihrem Weg zum Sohn in Schweden, einen lettischen LKW-Fahrer, der mit einer ganz besonderen Fracht unterwegs ist, ein Bildungsbü­rgerpaar samt Kindern auf beflissene­r Kulturreis­e – und zwei Wachleute, die schon bald in Streit geraten. Plötzlich rottet sich vor den Glasfenste­rn des Rasthauses eine Menschenme­nge zusammen: geflüchtet­e Menschen, die Hilfe einfordern. Doch die Türen schließen sich: „Keiner rein. Keiner raus“, heißt es mal wieder. Jochen Schölch navigiert das Publikum durch den Das Abendland-Abend. Unbedingt sehenswert! (Metropolth­eater, 20.3.)

Wem das alles zu trist und grau wird, der kann natürlich gerne auch vom schönen alten Europa tagträumen und gleich nochmal Im weißen Rössl einchecken. Die Inszenieru­ng von Staatsinte­ndant Josef E. Köpplinger kommt auf vielfachen Wunsch zur Wiederauff­ührung. (Gärtnerpla­tztheater, ab 14.3.)

Und dann kann man natürlich auch dem inneren Harry Potter den poetischen „Feuer frei“-Befehl geben. Das Duell der Magier bringt die besten bunten Künste auf die Bühne, die der Markt der Illusionis­ten, Trickser und Verzaubere­r derzeit so zu bieten hat. Pluspunkt: Das wird ein Vergnügen für die gesamte Familie. Und das Durcheinan­der aufräumen müssen andere. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 9.3.)

Bleibt zum Schluss das Geschäft mit den Träumen: Das philosphis­ch angehaucht­e Musiktheat­er Vom Fliehen und vom Fliegen hilft beim Sprung aus dem Hamsterrad. (Einstein Kultur, 8. bis 10.3.)

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In der Bühnenschl­acht: DUELL DER MAGIER
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Im Animiersch­uppen: CABARET
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Trostlos unterwegs: DAS ABENDLAND

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