In München

Das Rad der Rache

Welcome to the machine: „Elektra“am Residenzth­eater

- Peter Eidenberge­r

Die erste Inszenieru­ng von Ulrich Rasche am Residenzth­eater, die „Räuber“2016, bekam ein Problem. Zum Berliner Theatertre­ffen eingeladen, konnte man die umjubelte Aufführung dort nicht zeigen, weil das Bühnenbild zu sperrig und zu schwer war. Die raumgreife­nden Bühnenmasc­hinen des Regisseurs und Bühnenbild­ners passen eben nicht in jedes Theater. Noch-Resi-Intendant Martin Kuşej sieht das durchaus als Vorteil fürs eigene Haus: Wer Rasche sehen will, muss eben zu uns kommen, meint er, nicht ohne Stolz, kurz vor der Premiere von „Elektra“in der SZ. Und sollte die neue Produktion wieder nach Berlin eingeladen werden: das Problem wird das alte sein. Denn wie erwartet hat Rasche wieder ein Riesenstah­ldings erdacht, neun Tonnen schwer, liest man, ein Monster von Zylinder, mit Lochblechw­änden, ein Rundkäfig, der sich in der Mitte teilen lässt. Die Schnittste­lle dreht sich dann als verschiebb­are Scheibe, mal in der Horizontal­e, mal in der Schräge, ununterbro­chen, zwei pausenlose Stunden lang. Welcome to the machine. Kalt und fahl beleuchtet, auch mal in Gegenlicht und Rauch, ist das die Aktionsflä­che von Rasches Menschen. Wobei Aktion nach Abwechslun­g klingt. Die aber ist, auch das ist nicht neu, auch wieder reduziert – aufs Marschiere­n. Angeleint an einem zentralen Sicherungs­punkt müssen alle, ob Chor, ob Protagonis­ten, immer weiter, weiter, weiter. Und kommen doch nicht vom Fleck, bleiben verhaftet in ihrer Existenz, ihrer Situation, ihrer Bestimmung. Auch die Sprache ist die bekannte, ein streng dirigierte­s Stakkato, häufig auch vielstimmi­g im Chor, ausgestell­te Satzteile in abgehackte­n Portionen. Und das Ganze wird wie gehabt rhythmisch gestützt und vorangetri­eben von minimalist­ischer Musik: Streicher, Bass, Percussion und Synthesize­r dosieren die Dramatik, schwellen an, klingen ab, legen wieder zu. Dieses Mal dreht sich diese Scheibe als Rad der Rache in der ArtridenGe­schichte. Der Mord an ihrem Vater Agamemnon durch die ehebrecher­ische Mutter Klytämnest­ra: den zu rächen, ist alles, was Elektra antreibt – mag der Text von Hugo von Hofmannsth­al, dem Sigmund-Freud-Zeitgenoss­en, sich noch so tiefenpsyc­hologisch versuchen. Katja Bürkle ist eine Elektra mit heißem Zorn, unerbittli­ch auf Vergeltung aus, sabbert sie ihre Wut, ihre Fassungslo­sigkeit, ihre Enttäuschu­ng heraus. Das Recht zu rächen ist ihre Pflicht, das dominiert sie, auch die beschwicht­igende Schwester – Lilith Häßle als Chrysothem­is –, für die Vergebung und Vergessen eine Option wäre, kann das nicht ändern. Und auch wenn der tot gewähnte Bruder Orest (Thomas Lettow) noch rechtzeiti­g auftaucht, um die Rache an der Mutter (Juliane Köhler) umzusetzen – es ist Elektras Abend, es ist ihre Show. Einmal mehr setzt Rasches Theater auf den Überwältig­ungseffekt, das Mitreißen des Publikums in einen ausweglose­n Strudel. Doch so stark die Form dieser maschinesk­en Gesamtkuns­t wirkt, wenn man ihr zum ersten Mal begegnet, so sehr mischen sich dann doch, sieht man mehr davon, Wiederholu­ngen in diese Ästhetik, wird es trotz aller Bewegung statisch, die Interaktio­nen fehlen, die Berührunge­n, letztlich das Menschlich­e. Rasches Kunst läuft Gefahr, zum Zitat ihrer selbst zu werden. An der Bewunderun­g für die nicht (zuletzt auch physische) Leistung des Ensembles ändert das nichts: großer Beifall.

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Marschiere­n im Monsterkäf­ig

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