Das Rad der Rache
Welcome to the machine: „Elektra“am Residenztheater
Die erste Inszenierung von Ulrich Rasche am Residenztheater, die „Räuber“2016, bekam ein Problem. Zum Berliner Theatertreffen eingeladen, konnte man die umjubelte Aufführung dort nicht zeigen, weil das Bühnenbild zu sperrig und zu schwer war. Die raumgreifenden Bühnenmaschinen des Regisseurs und Bühnenbildners passen eben nicht in jedes Theater. Noch-Resi-Intendant Martin Kuşej sieht das durchaus als Vorteil fürs eigene Haus: Wer Rasche sehen will, muss eben zu uns kommen, meint er, nicht ohne Stolz, kurz vor der Premiere von „Elektra“in der SZ. Und sollte die neue Produktion wieder nach Berlin eingeladen werden: das Problem wird das alte sein. Denn wie erwartet hat Rasche wieder ein Riesenstahldings erdacht, neun Tonnen schwer, liest man, ein Monster von Zylinder, mit Lochblechwänden, ein Rundkäfig, der sich in der Mitte teilen lässt. Die Schnittstelle dreht sich dann als verschiebbare Scheibe, mal in der Horizontale, mal in der Schräge, ununterbrochen, zwei pausenlose Stunden lang. Welcome to the machine. Kalt und fahl beleuchtet, auch mal in Gegenlicht und Rauch, ist das die Aktionsfläche von Rasches Menschen. Wobei Aktion nach Abwechslung klingt. Die aber ist, auch das ist nicht neu, auch wieder reduziert – aufs Marschieren. Angeleint an einem zentralen Sicherungspunkt müssen alle, ob Chor, ob Protagonisten, immer weiter, weiter, weiter. Und kommen doch nicht vom Fleck, bleiben verhaftet in ihrer Existenz, ihrer Situation, ihrer Bestimmung. Auch die Sprache ist die bekannte, ein streng dirigiertes Stakkato, häufig auch vielstimmig im Chor, ausgestellte Satzteile in abgehackten Portionen. Und das Ganze wird wie gehabt rhythmisch gestützt und vorangetrieben von minimalistischer Musik: Streicher, Bass, Percussion und Synthesizer dosieren die Dramatik, schwellen an, klingen ab, legen wieder zu. Dieses Mal dreht sich diese Scheibe als Rad der Rache in der ArtridenGeschichte. Der Mord an ihrem Vater Agamemnon durch die ehebrecherische Mutter Klytämnestra: den zu rächen, ist alles, was Elektra antreibt – mag der Text von Hugo von Hofmannsthal, dem Sigmund-Freud-Zeitgenossen, sich noch so tiefenpsychologisch versuchen. Katja Bürkle ist eine Elektra mit heißem Zorn, unerbittlich auf Vergeltung aus, sabbert sie ihre Wut, ihre Fassungslosigkeit, ihre Enttäuschung heraus. Das Recht zu rächen ist ihre Pflicht, das dominiert sie, auch die beschwichtigende Schwester – Lilith Häßle als Chrysothemis –, für die Vergebung und Vergessen eine Option wäre, kann das nicht ändern. Und auch wenn der tot gewähnte Bruder Orest (Thomas Lettow) noch rechtzeitig auftaucht, um die Rache an der Mutter (Juliane Köhler) umzusetzen – es ist Elektras Abend, es ist ihre Show. Einmal mehr setzt Rasches Theater auf den Überwältigungseffekt, das Mitreißen des Publikums in einen ausweglosen Strudel. Doch so stark die Form dieser maschinesken Gesamtkunst wirkt, wenn man ihr zum ersten Mal begegnet, so sehr mischen sich dann doch, sieht man mehr davon, Wiederholungen in diese Ästhetik, wird es trotz aller Bewegung statisch, die Interaktionen fehlen, die Berührungen, letztlich das Menschliche. Rasches Kunst läuft Gefahr, zum Zitat ihrer selbst zu werden. An der Bewunderung für die nicht (zuletzt auch physische) Leistung des Ensembles ändert das nichts: großer Beifall.