Trip to...?
„Die lächerliche Finsternis“auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters
Akademietheater Wien, Thaliatheater Hamburg, Deutsches Theater Berlin: alle haben sich schon darum gerissen, das Stück des 1981 geborenen Wolfram Lotz zu machen. Das eigentlich als Hörspiel konzipiert ist, und trotzdem wurde es 2015 in der Kritikerumfrage von Theater heute zum deutschsprachigen Stück des Jahres gewählt. „Die lächerliche Finsternis“hat ihren Titel ein bisschen von Joseph Conrad. Lotz hat sich sein „Herz der Finsternis“geschnappt – diesen Trip tief in den Urwald Afrikas (und tief ins Gestrüpp weißer Weltsicht), der schon Vorlage für Francis Coppolas Vietnamkrieg-Elegie „Apocalypse now“ war – und nähert sich darin großen Themen wie kleinen Dramen menschlicher Koexistenz, mit Poesie, mit Ironie. Stringentes Erzählen, schlüssige Dramaturgie braucht er dazu nicht. Lotz träumt von einem unmöglichen Theater. „Das unmögliche Theater ist möglich... aber lasst uns nicht glauben, es könnte gelingen“, zitiert das Programmheft. Diesen Widersinn aufzulösen, macht sich Regisseur Lukian Guttenbrunner ans Werk, wild entschlossen muss man sagen: am Ende ist die Bühne ein Schlachtfeld. Zu Beginn ist sie blütenweiß. Pascal Fligg eröffnet mit dem Monolog eines Piraten, der immerhin Piraterie studiert hat, studieren musste, weil er als Somalier vom Fischfang nicht leben konnte: der Rest der Welt hatte das Meer leergefischt. Eine erste Spur des kritischen Blicks von Lotz wird gelegt, weil das Spiel mit Irritationen beginnt: Fligg hetzt in perfektem Deutsch durch seine Stellungnahme vor Gericht. Und auch sonst ist er nicht so somalisch, wie sich der gemeine Mitteleuropäer den Afrikaner so vorstellt. Überhaupt ist vieles anders, als man es sich so vorstellt. Der Hauptfeldwebel – jetzt sind wir bei der groben Handlungslinie: zwei Soldaten suchen einen Deserteur und Mörder – ist eine Frau: Pola Jane O’Mara, bestimmt bis abschätzig, die Hände chronisch in den Hosentaschen vergraben. Ihren Adlaten spielt Jakob Immervoll, zu den kurzen Safarihosen trägt er Kniestrümpfe, ein akkurat gescheiteltes Jüngelchen zwischen blöd und neugierig. Lotz schickt sie auf eine seltsame Reise: auf dem Fluß Hindukusch in den afghanischen Urwald – gibt’s zwar nicht, aber es könnte ja sein. Lotz’ Sprache ist süffig, allein die Zeit, ihr auch zu folgen, gibt’s selten. Die Regie macht den Oliver Kahn: weiter, weiter, immer weiter. Und so strudelt der Abend mit einem Affenzahn durch all die Themen und Typen. Der weiße Raum wird parallel dazu Chaos: man reißt sich durch die Rückwand, malt expressiv mit dem Edding, spotzt aus der Farbtube. Und seziert auch mal Gurken: feinsinnig oder brachial. Aus einer Kiste bricht ein italienischer Blauhelmsoldat hervor, auch eine Frau, in schickem Beige, Sonnenbrille im Haar, aus einer anderen Box kriecht ein Händler, mit dem Trauma, einer Markise wegen am Tod seiner Familie schuld zu sein (beides spielt Agnes Decker, wie später auch noch den Papagei). Die zwei Soldaten, die noch einem Reverend mit sehr eigenem Frauenbild (auch Pascal Fligg, ein gnadenvoller englishman) begegnen und das Exotische in Form einer Frucht interpretieren (auch wenn’s nur eine banale Zwiebel ist), treffen schließlich auf den Deserteur, der Tod der beiden Kameraden klärt sich auf: als Konsequenz einer zynischen, mathematischen Überlegung. Starker und langer Beifall nach gut 90 Minuten. Trotzdem: die Tiefe, die Relevanz, die Lotz anreißt, wird an diesem Abend doch reichlich locker umhüpft. Und dann landet man – ja wo?