Fuck the Benimmregeln!
Der Mann ist in Verruf geraten. Und es liegt nicht an MeToo-Enthüllungen, Plagiatsvorwürfen oder einer KutschenbonusmeilenAffäre. Der Name Knigge ist zum Synonym geworden für blaublutpädagogisches Guantanamo-Equipment: Besteckmikadobibeln, Grußkaspermanuals und Die-gute-Ehefrau-Fibeln für das 50er-Modell Trautes Heim: „Beklagen Sie sich nicht, wenn Ihr Ehemann spät heimkommt oder wenn er die ganze Nacht ausbleibt. Seien Sie glücklich, dass er zu Ihnen zurückkehrt und belohnen Sie ihn mit einem fröhlichen Blowjob oder, falls er zu ausgelaugt ist, warten Sie mit diesem Service gut gelaunt zu seinen Füßen bis zum nächsten Morgen. Denn ER ist der Chef.“Wüsste Old Kniggebaby, welch resopaltischwischende Pferdeapfeltorte ihm da untergejubelt wurde, er würde in seinem Sarg flatulenzieren, dass der Grabstein wackelt. Denn dieser läppische Gabel-hier-Löffel-dortwer-grüßt-wen-zuerstScheiß hat nichts mit Höflichkeit zu tun. Es dient der Ausgrenzung, dem Zementieren sozialer Unterschiede, der Disziplinierung und der Diskriminierung von Frauen: „Purche, dein Platz in der Gesellschaft ist unten, also zeige gefälligst jedem, dass du diesen Platz akzeptierst.“Der echte Adolph Knigge (1752-1796) war eher Freigeist und Aufklärer. Sein Regalbuster Vom Umgang mit Menschen von 1788 war ein alltagsphilosophisches Brevier, das helfen sollte, andere Menschen zu verstehen, sich in sie hineinzuversetzen. Anders als die Etikettenterrorschwarten, die sich auf Knigge beziehen, hinterfragt Knigge die Legitimität gesellschaftlicher Stellungen, die zu seiner Zeit noch willkürlicher verteilt wurden als heute: „Es ist traurig genug, daß der größte Teil des Menschengeschlechts durch Schwäche, Armut, Gewalt und andre Umstände gezwungen ist, dem kleinern zu Gebote zu stehn, und daß oft der Bessere den Winken des Schlechtern gehorchen muß.“Bei Knigge geht’s ums Eingemachte: Fairness, Achtsamkeit, Rücksicht, Respekt. Vor Menschen – nicht vor Ämtern oder Positionen. Klar wirkt einiges oldschool, anderes pauschal. Dennoch war Knigge um einiges moderner als der 1950er-Mainstream und als vieles heute. Adolph Freiherr Knigge: Vom Umgang mit Menschen. Gelesen von Christoph Maria Herbst, 2 CDs, ca. 2,5 Std., www.der-audio-verlag.de