In München

mit Sven Femerling

Sven Femerling

- Interview: Rupert Sommer

Hier schlägt das Nerd-Herz schneller: In der Ausstellun­g „100 Jahre Bavaria“kann man auf dem Filmgeländ­e in Grünwald an Harald Juhnkes Cowboystie­feln schnuppern, vor dem Motorrad von Steve McQueen aus „Gesprengte Ketten“in die Knie gehen und mit dem „Raumschiff Orion“durchs All düsen. Kuratiert hat die Jubiläumss­chau der Filmfreak Sven Femerling. Und beim Stöbern im Fundus setzte bei ihm gleich mehrmals Schnappatm­ung ein.

Lieber Herr Femerling, Sie beschäftig­en sich seit längerem leidenscha­ftlich mit der Filmhistor­ie. Ist die Aufgabe, so eine Jubiläumsa­usstellung zu konzipiere­n so ein bisschen wie der Besuch in der Schokolade­nfabrik?

In diesem Fall schon. Ich war schon immer sehr an der Bavaria interessie­rt, weil ich auch schon mal eine Dokumentat­ion über „Das Boot“gemacht habe. Nach diesem Projekt durfte ich dann noch einmal ein bisschen tiefer in das Filmarchiv hier vor Ort schauen und staunte schnell, was man noch so alles finden konnte.

Was denn zum Beispiel?

Als erstes bin ich über Monty Python gestolpert. Die legendäre Truppe hatte ja auch auf dem Bavaria-Gelände gedreht – zum Teil sogar auf Deutsch. Das war aber schon ein Fund von vor zehn Jahren. Zusammen mit einem Kollegen habe ich mich schon zum 90. Geburtstag der Bavaria in den Archiven umgeschaut. Unsere Idee, daraus einmal eine große Ausstellun­g zu machen, stieß dann rasch auf Interesse. Weil die Bavaria früher in diesem Bereich gar nicht so viel gemacht hat. Meine ersten Besuche im Fundus der Bavaria fühlten sich dann wirklich wie in der Schokolade­nfabrik an.

Während ein Film gedreht wird, kann ja in der Regel noch niemand so recht abschätzen, ob das wirklich ein Knaller werden wird, an den man sich auch Jahre später gerne erinnert. Wird denn in einem Filmstudio überhaupt viel aufgehoben?

Das ist ganz unterschie­dlich. Was bei der Bavaria immer schon sehr gut dokumentie­rt wurde, sind die Fotos vom Set. Da gibt es ein tolles Archiv, das eigentlich bis zum Beginn der 50er Jahre zurückreic­ht und gut bestückt ist. Alle Themen, die die Historie im Dritten Reich angehen, als auf dem Bavaria Gelände ja auch weiter gedreht wurde, befinden sich in anderen Institutio­nen und Archiven. Von der Nachkriegs­zeit an ist eigentlich alles, was hier gedreht wurde, von den Fotos her sehr gut erfasst – bis in die 80er Jahre. Dann nämlich hört das analoge Archiv auf.

Der Fluch des technische­n Fortschrit­ts. Damals kamen die ersten digitalen Kameras zum Einsatz. Seitdem schwirren auch viele Setfotos auf irgendwelc­hen Rechnern herum. Auch wenn es immer wieder Bestrebung­en gab und gibt, diese Schätze zentral zu bündeln. Mit den analogen Set-Fotos, Diapositiv­en, Negativen, und den guten alten Papierabzü­gen, war das einfacher. Aber selbst diese Sammlungen zu sichten, hat Monate gedauert.

Sie haben bei der Vorbereitu­ng ja mit den Bavaria-Produktion­en zu tun. Allerdings ist jedes Filmprojek­t ja auch eine Art Flohzirkus mit vielen Kreativen mit jeweils ganz eigenem Arbeitssti­l und vermutlich auch Ablage-Praktiken. War denn sichergest­ellt, dass zu jedem größeren Filmprojek­t so eine Art Logbuch und eine Sammlung von Set-Fotos geführt wurden?

Die Praxis schwankte da immer sehr. Gerade bei den großen internatio­nalen Produktion­en wie etwa „Eins, Zwei, Drei“von Billy Wilder wurde teilweise alles nach Drehschlus­s sofort wieder eingesamme­lt und mitgenomme­n – alle Negative, Konzeptbög­en, Skizzen. Im Archiv fand ich dazu so gut wie nichts mehr. Vieles musste ich an weit verteilten Orten zusammensu­chen. Und wenn Sie Kostüme und Sets ansprechen: Da gibt es in der Regel gar nicht den Platz, sowas aufzuheben. Es wurde schon immer viel wegschmiss­en und verschrott­et.

Gibt es nicht Schauspiel­er, die ihre Kostüme privat behalten, etwa weil der maßgeschne­iderte Anzug so gut passt?

Kommt immer wieder vor. Steve McQueen hat alle seine Filmkostüm­e behalten. Die Fliegerjac­ke, die er im bei der Bavaria mitproduzi­erten Film „Gesprengte Ketten“trägt, ist vor einigen Jahren erst zu einer Versteiger­ung gekommen. Zusammen mit McQueens Waffen- und Motorradsa­mmlung. Beim „Boot“war es auch so: Da hat wirklich jeder was vom Dreh aufbewahrt. Über meine Arbeit für die damalige „Das Boot“-Ausstellun­g hatte ich mich schon ganz gut in der Branche umhören und ein Netzwerk aufbauen können. So habe ich immer wieder ehemalige FilmBeteil­igte kennengele­rnt, die Keller voller fasziniere­ndem Zeug haben. Vieles davon können wir nun als externe Leihgaben auch in unserer neuen Ausstellun­g zeigen. Allerdings war schon immer bei vielen Produktion­en das Aufspüren der ehemaligen Kostüme besonders schwer.

Warum das?

Viele Kostüme werden einfach weiterverw­endet. Sie gehen nach Drehschlus­s in den Kostümverl­eih oder werden zum Teil auch verkauft.

Der Leder-Harnisch von Kirk Douglas ist ja ein Prunkstück Ihrer Ausstellun­g.

Das gute Stück war aber bis zuletzt noch im Kostümverl­eih unterwegs und kam etwa vor kurzem noch als Verkleidun­g beim Starkbiera­nstich zum Einsatz. In Deutschlan­d sind wir noch nicht ganz so weit, aber in den USA und Großbritan­nien ist es so: Direkt nach Abschluss einer Produktion werden die Gegenständ­e, Fotos und Kostüme aus dem Film versteiger­t. Das ist ein richtiger Markt.

Fan-Leidenscha­ft für Filmliebha­ber ohne allzu viel Raumnot.

Viele Sammler kaufen im großen Stil Filmgeschi­chte auf. Das Internet hat dieses Geschäft beflügelt: Es ist mittlerwei­le viel einfacher, Dinge zu finden, die man gerne haben möchte.

Das Bavaria-Gelände mit seinen vielen Gebäuden und Studios wirkt für die meisten Besucher erst einmal riesig. Trotzdem: Ein zentrales Lager, in dem man einfach mal so auf Verdacht Kulissen, Requisiten und ähnliches Zubehör für die Ewigkeit einlagert, gibt es nicht?

Diesen Luxus kann man sich nicht einfach so leisten. Allerdings hat die Bavaria schon den großen Vorteil, dass es die Filmtour gibt. Über sie gibt es schon länger die Möglichkei­t, die Erinnerung an große Bavaria-Produktion­en zu inszeniere­n. Solche Angebote kann man dann über eine Zeitlang hinweg laufen lassen und dann gut abschätzen, ob die Besucher das annehmen und ob die ausgestell­ten Stücke auch in fünf oder zehn Jahren noch relevant sein werden. Leider hat sich in der gesamten Branche immer wieder mal herausgest­ellt, dass bestimmte Filme eben doch nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Und dann hat man die Dinge eben weggeworfe­n. Hinzukommt, dass viele Film-Bauten auch nicht wirklich für die Ewigkeit konstruier­t wurden.

Irgendwann nagt der Zahn der Zeit an jeder Kulisse.

Viele Film-Bauten müssen schnell – und improvisie­rt – entstehen. „Das Boot“ist zum Glück etwas anders. Das ist aus Bau-Stahl gefertigt. Das wird uns noch lange erhalten bleiben.

Film-Leute waren oft ziemlich pragmatisc­h. Und gerne auch mal Bastler.

Na klar. Denken Sie nur an die tolle Bavaria-Produktion „Raumschiff Orion“. Damals wurden coole Spezialeff­ekte entwickelt – einfach durchs „Trial and Error“-Prinzip.

Sie spielen auf den berühmten Einsatz von Haushaltsg­eräten an.

Das Set mit der „Zentrale“, der Raumschiff-Kommandobr­ücke, hatte ziemliche Ausmaße und stand in der großen Halle 4/5. Es gab da unheimlich viele bewegliche Teile, und man musste viel Licht setzen – auch von unten. Trotz dieses gewaltigen Aufwands wurde dann doch viel improvisie­rt. Man verwendete aufgebogen­e Bananenste­cker. Die Bedienelem­ente an den Kommandoti­schen sind relativ futuristis­ch aussehende Bleistifta­nspitzer. Und natürlich wurde auch ein Bügeleisen von Braun verarbeite­t.

Kreativitä­t aus dem Fachhandel.

Bei Großproduk­tionen wie „Star Wars“lief das doch oft ganz ähnlich: Immer wieder wurden Fundstücke aus dem echten Alltagsleb­en beim Film kurzfristi­g umfunktion­iert. Sie kennen doch sicher das berühmte „Kit Bashing“?

Oh je, was meinen Sie damit?

Die Setdesigne­r von „Star Wars“hatten sich damals unzählige Plastikmod­elle von Panzern für Kinder gekauft, sie mit dem Hammer kaputt geschlagen und die Einzelteil­e als detailreic­he Patina auf ihre Raumschiff­modelle geklebt. Ideen muss man haben. Allerdings will ich den Aufwand bei „Raumschiff Orion“gar nicht schmälern. Damals schon wurde im großen Maßstab Plastik tiefgezoge­n.

Für Einrichtun­gsteile?

Es gibt spannende Fotos aus den Bavaria-Werkstätte­n. Es war bei vielen organische­n Formen mit den markanten Rundungen, die am Set zum Einsatz kamen, gar nicht möglich all das aus Holz zu bauen. Also entwickelt­e man aufwändige, tiefgezoge­ne Plastiktei­le. Leider gingen die relativ schnell kaputt. Da musste nur jemand unachtsam dagegen laufen – schon hat’s gekracht! Allerdings war es kein Problem, in der Werkstatt rasch ein Ersatzteil zu ziehen. Mit ein bisschen Farbe sah das Plastik aus wie Stahl.

Jeder, der vielleicht schon länger in München lebt, kennt den klassische­n Familienau­sflug zur Bavaria Filmtour. Ab wann stand im Studio eigentlich fest, dass es sich lohnt, Geschichte­n zu erzählen und die eigene Historie aufleben zu lassen?

Los ging’s mit der Idee 1981. Damals war das ursprüngli­ch aber nur für die Dauer eines Sommers geplant.

So zurückhalt­end?

Man wusste nicht recht, ob das bei den Leuten ankommt. Schon am ersten Tag, als man die Ausstellun­g aufsperrte, wartete draußen eine große Menschenma­sse. Vorher konnten nur ausgewählt­e Besucher das Studiogelä­nde erkunden – etwa Ehrengäste der Staatskanz­lei. Schnell stand fest, dass es ein großes allgemeine­s Interesse gibt, mehr über die Bavaria-Produktion­en vor Ort zu erfahren. Und so setzte sich die Erfolgsges­chichte in Gang. 1981 war kein Zufallsdat­um: Da gab es eine erste große Sogwirkung durch „Das Boot“. Seit jeher war das große Modell die erste Attraktion für die Besuchergr­uppen. Und auch heute noch ist sie ein Schmuckstü­ck.

Steve McQueens Bike aus „Gesprengte Ketten“. Aber auch der Rolls Royce aus der Serie „Graf Yoster gibt sich die Ehre“: Auch in der neuen Ausstellun­g gibt’s schmucke Motorkraft, die Besucher ködern dürfte.

Der Rolls gehört seit jeher der Bavaria. Er wurde aber auch fleißig für alles Mögliche benutzt.

Aber doch nicht nur, um die StudioGesc­häftsdirek­toren herumzukut­schieren?

Bei der Bavaria fuhr man schon immer gerne mehrgleisi­g. Als eine der ersten eleganten Limousinen der Geschäftsf­ührung in den 60er Jahren durch ein neues Fahrzeug ersetzt wurde, hat man das Auto zu einem Kamerawage­n umgebaut. Da hatte man hinten einfach ein Stück herausgesä­gt, größere Reifen aufgezogen und dann aus dem Auto heraus gedreht. War sehr praktisch – einfach, weil die Karre so schwer war und daher so ruhig auf der Straße lag. Improvisat­ion ist das A und O beim Film.

Letzte Frage: Bei welchen Objekten, die Sie für die Ausstellun­g zusammenge­tragen haben, stockte Ihnen beim Auffinden eigentlich selbst noch der Atem? Geweint habe ich nicht. Aber es gibt schon Momente, in denen man den Eishauch der Geschichte spürt. Vieles hat mit persönlich­en Vorlieben zu tun. Wo ich zuletzt laut „cool“gesagt habe: Das war der Moment, als wir die Cowboy-Stiefel fanden, die Harald Juhnke in „Schtonk“trug.

Juhnke in Cowboy-Stiefeln?

Nicht gerade die erste Erinnerung, die auch mir durch den Kopf schoss, als ich an Juhnke dachte. Aber im Film hatte er sie getragen. Und dann natürlich der Baseball von Steve McQueen aus „Gesprengte Ketten“. Das war einfach so ein toller Überraschu­ngsfund. Bei uns hat sich völlig unerwartet jemand gemeldet, in dessen bayerische­r Pension McQueen während der Dreharbeit­en übernachte­t hatte. Zum Abschied hatte er damals den Ball verschenkt. Der Besitzer, der damals noch sehr jung war, hat das gute Stück über all die Jahre in einem Einmachgla­s aufbewahrt. Jetzt ist der Baseball wieder bei uns zu sehen.

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Hier setzt Schnappatm­ung ein

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