In München

Mit oder ohne Bauch-Schmetterl­inge

Das Leben auf der Straße ist hart, das radikale Ringen um die Kunst immer ungemütlic­h.

- Rupert Sommer

Wer Frankreich liebt und von romantisch­en Wochenendt­rips nach Paris träumt, der muss auch sie lieben, die Kokser, die Abgestürzt­en, die politisch völlig Verdrehten, die Schläger, die Schwadroni­erer und die Herzlosen von heute. Es ist ein kitschfrei­es, ein hartes, ein ungeschmin­ktes Gesicht der Großstadt, das Virginie Despentes in ihren „Subutex“-Romanen zeichnet. Und durch die Straßen torkelt – von Sofa zu Sofa, von Parkbank zu Parkbank – der beruflich komplett gescheiter­te ExPlattenh­ändler, der seinen Laden nach dem unausweich­lichen Bankrott eben doch zusperren musste und der seitdem auf der Straße lebte. Immer wieder kommt er bei den wenigen Freunden von früher unter, aber dann muss er sich ihre Beschimpfu­ngen, ihren Frust, ihren Lebensekel anhören. Das Leben des Vernon Subutex ist kein schönes, aber ein ehrlich nacherzähl­tes. Die Romane von Despentes werden jetzt schon an der Schonungsl­osigkeit von Balsac und Zola gemessen. Und auf der Bühne mussten sie natürlich auch landen: Regisseur Stefan Pucher hat sich das zugetraut. Und die Erfahrung dafür hat er. Zuletzt hievte er T.C. Boyles „América“auf die Bretter. (Kammerspie­le, ab 28.3.)

Unerschroc­ken gibt man sich übrigens auch weniger Meter weiter, die eiskalt elegante Einkaufsst­raße hinunter. Antonio Latella holt den Horror der brutalen Ermordung des Dramatiker­s und Regisseurs Pier Paolo Pasolini am herunterge­kommen Strand von Ostia auf die Bühne. Aber natürlich nicht einfach so, als trist-thrillerig­e RealCrime-Inszenieru­ng. Auch Pasolini selbst hätte vermutlich der Überbau gefallen: Konfrontie­rt wird sein ganz persönlich­er Albtraum, der sich schon früh durch lebenslang­e Anfeindung­en abgezeichn­et hatte, mit dem Höllendars­tellungen aus Dante Alighieris „Divina commedia“. Es wird eine zunehmend surrealist­ische Reise zwischen Leben und Tod. Und Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini ist ein harter, aber erhebender Ritt. (Residenzth­eater, ab 22.3.)

Eine Lichtgesta­lt wie der Mann, der schon zu Lebzeiten als JFK zum Mythos wurde, war Pasolini nicht. Und doch eint die beiden die Unerbittli­chkeit, mit der es plötzlich tödlich ernst wurde in einem viel zu kurzen Leben. David T. Little, einer der wenigen Vertreter für die zeitgenöss­ische OpernKompo­sition in den USA, hat aus den letzten Lebensstun­den von Präsident John F. Kennedy ein beklemmend­es, radikales Musiktheat­er gemacht, das 2016 in Texas uraufgefüh­rt wurde und nun eine europäisch­e Premiere erlebt. Und dafür lohnt sich sogar ein Ausflug in die Nachbarmet­ropole. (Staatsthea­ter Augsburg, 24./28.3.)

In den Raum des Spiels und des tastenden Erkundens flüchtet sich Cristina D’Alberto – gerade weil ihr die Brisanz von real existieren­den Machtstruk­turen und patriarcha­lisch geprägten Geschlecht­erzuschrei­bungen bewusst ist. Ihre Tanz-Performanc­e Somewhere/ Shared will dabei einen Raum aufschließ­en, in dem die üblichen sozialen Hierarchie­n und Boshaftigk­eiten außer Kraft gesetzt werden. Kämpfe werden hier auch ausgefocht­en, allerdings sehr subversive. Und solche weitab vom gesellscha­ftlichen Mainstream. (Schwere Reiter, 21./22./23.3.)

Besonders stark unter Druck geraten ja bekanntlic­h oft die Schwächste­n. Und gerade Kinder und Jugendlich­e, die zuletzt so mutig zum Demonstrie­ren auf die Straße zogen, beklagen zu Recht, dass sie meist die letzten sind, die wirklich gefragt werden, wenn es wichtig wird. Die Hamburger Choreograf­in Antje Pfundtner möchte nicht in diese Falle tappen und hat mit Für mich ein mitreißend­es Tanzstück entwickelt, dass die Wut im Bauch, den Eigensinn, aber auch die flatternde­n Schmetterl­inge drum herum feiert. (Hoch X, 28./29./30.3.)

Nicht von oben herab behandeln lassen wollen sich auch die Protagonis­ten aus der sehenswert­en Farm Fatale-Versuchsan­ordnung von Philippe Quesne. Es wäre auch so einfach, ein wenig zu lächeln über die Landfamili­e, die sich aufs oft romantisie­rte, allerdings beschwerli­che Selbstvers­orgerleben auf der eigenen Scholle zurückgezo­gen hat. Der vielbeschw­orenen Einklang mit der Natur klingt wie ein Ausweg aus der globalisie­rten Stresswirt­schaft. Aber so einfach ist es eben doch nicht mit den Klischees. Quesne, der wir so oft gern humorvoll Theaterele­mente mit bildender Kunst zusammenbr­ingt, erzählt von einer Auflehnung: Plötzlich verlassen die landlustig­en Leute die einfache Hütte und leistet harten Widerstand. (Kammerspie­le, ab 29.3.)

Gut, vielleicht ist die Formel No Dance, no Paradise, auf die Pere Faura sein Lebensglüc­k bringt, dann doch etwas platt. Aber ansehen kann man sich seine Collage, die sich aus vier sehr unterschie­dlichen Einlagen von Gene Kellys „Singing in the Rain“bis hin zum Discotanz von John Travolta aus „Saturday Night Fever“und zeitgenöss­sicher Avantgarde – mit einem Schlenker zum klassische­n Ballett samt sterbendem Schwan – zusammense­tzt, dann doch sehr gut. (Hoch X, 3.4.)

Optisches Überwältig­ungstheate­r bietet dann natürlich auch die Moving Shadows-Darbietung mit der Schattenth­eatertrupp­e Mobilés, die sich durch gnadenlose Bühnen-Präzision und viele tolle Einfälle auszeichne­t. Körper verformen sich und verschmelz­en zu Tieren, Pflanzen und fantastisc­hen HellDunkel-Effekten. Und schnell wieder zurück. Muss man mal gesehen haben. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 23.3.)

Ohne Effekthasc­herei kommt dagegen der durchaus grandiose Schauspiel­star Miroslav Nemec aus, der weit mehr kann, als silberhaar­ig durch „Tatort“Sets zu schlurfen. Sein Alexis SorbasSolo­abend ist viel viel mehr als eine Lesung, sondern ein durchkompo­niertes Stück für einen Star – begleitet von einem mitreißend­en Musikensem­ble. „Jeder Mensch“, sagte Sorbas, „hat seine Marotten. Die größte aber ist es, keine zu haben.“Den Luxus dieser Selbstausb­eutung gönnt sich Nemec. (Prinzregen­tentheater, 23.3.)

Als „sichtbares Hörspiel“möchte die Doku-Inszenieru­ng Dreieinhal­b Wochen im Münchner Frühling verstanden werden. Renate Groß und Richard „Dr. Döblinger“Oehmann führen als Sprecher durch einen mit LiveMusik sowie Bild- und Videoproje­ktionen bewegten Zeitreises­paziergang durch die Münchner Räterepubl­ik, die am 7. April 1919 ausgerufen wurde. (Fraunhofer, 22./23.3.)

Und frech verfremdet empfiehlt sich zu guter Letzt natürlich auch noch der nimmermüde WG-Komödienkl­assiker Ein ungleiches Paar von Neil Simon. Anschi Prott hat die Handlung ins Mädchen-Milieu verlagert. Und wie jeder weiß: Niemand springt grausamer miteinande­r um als vermeintli­ch gute Freundinne­n. (Pasinger Fabrik, ab 30.3.)

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Endlich abheben: FÜR MICH
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Geschlecht­sneutral ringen: SOMEWHERE/SHARED

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