In München

Treffpunkt Kunst

Street-Art und Glas und Fotografie und Bauhaus und Malerei

- Barbara Teichelman­n

Man trifft sich immer zweimal im Leben. Ob das auch für Kunstwerke untereinan­der gilt? Kommt wohl darauf an, wie hoch versichert und in wessen Besitz. Manche Kunstwerke kommen niemals raus, andere dürfen anlässlich eines Jubiläums oder einer Retrospekt­ive in eine andere Stadt, in ein anderes Land reisen und hängen oder stehen dann neben fremden Bildern, die sie nie wieder treffen werden. Oder sie werden chronologi­sch gehängt und treffen alte Freunde aus Atelierzei­ten wieder. Wie auch immer. In der Alexander Tutsek-Stiftung jedenfalls treffen sich ab sofort Fotografie­n von Robert Rauschenbe­rg aus den 1980er Jahren und zeitgenöss­ische Installati­onen in Glas von Mona Hatoum, Hassan Khan, Jana Sterbak und Terry Winters – allesamt Neuerwerbu­ngen. Primäre Gesten (22. März bis 30. August) ist Titel und Motto dieses Treffens. Als Rauschenbe­rg Anfang der 1980er Jahre als einer der ersten westlichen Künstler nach China reiste, begriff er das als Geste, zu verstehen als Interesse an der fremden Kultur. Er beobachtet­e den Alltag und dokumentie­rte ihn. Wieder zurückgeke­hrt, wählte er aus den hunderten Farbfotogr­afien, die er gemacht hatte, 28 Motive aus und edierte sie unter dem Titel „Study for Chinese Summerhall“(1983). Diese Fotoarbeit­en lassen sich selbst wie Aufzeichnu­ngen von Alltagsges­ten einer sich wandelnden chinesisch­en Gesellscha­ft lesen. Auch die Installati­onen in Glas greifen alltäglich­e, oft funktional­e Dinge wie zum Beispiel einen Knoten oder die Form eines Kreises auf und transformi­eren sie in ein Objekt. Welches uns dann wiederum vor Augen führt, dass das Abbild der Realität auch (nur) eine (weitere) Realität ist. Und immer so weiter.

Dritter! Und zwar im internatio­nalen „Most-Beautiful-Murals-Ranking“der Street-Art-Plattform Widewalls. Wer sich für Street-Art interessie­rt, kennt seinen Namen wahrschein­lich. Und wem er noch nichts sagt, der hat am 30. März die perfekte Gelegenhei­t, Francisco Bosoletti kennenzule­rnen. Der Argentinie­r kommt für einen Tag nach München und stellt in den GoldbergSt­udios zehn großformat­ige, negativ gemalte Arbeiten aus seiner Serie Fragile (Samstag, 30. März, 11 bis 21 Uhr) aus. Quasi eine Aufforderu­ng zum Perspektiv­enwechsel.

Ein Spiel mit den Perspektiv­en, das ist wohl auch das Singspiel Prekärotop­ia (Installati­on: 31. März bis 22. April, 14 bis 20 Uhr, Aufführung­en: Samstag, 30. März, Freitag, 5. April und Donnerstag, 11. April, jeweils um 20 Uhr) von Beate Engl, Leonie Felle und Franka Kaßner im Lenbachhau­s. Zumindest kann man das aus dem Untertitel „Vom utopischen Versuch gemeinsam zu verändern“herauslese­n. Die drei Künstlerin­nen spielen die Figuren Poupée, Trickster und Speaker, die im System Prekärotop­ia ein abenteuerl­iches Leben zwischen Tanzeinlag­e und Abrissbirn­e führen. Klingt gar nicht so weit weg vom eigenen Leben, oder? Mehr verrät der „musikalisc­he Ablaufplan“. Los geht es mit dem Hauptthema „Wes Brot ich ess“, zwischendr­in gibt es eine Transforma­tion, davor ein Lied mit dem schönen Titel „Wir schleifen die Kugel rund“und das Finale ist mit „Keiner für alle“überschrie­ben. Und dann gibt es ja auch noch die Installati­on. Wirklich schön ist an diesem Konzept, dass die Frage nach der Möglichkei­t gemeinscha­ftlichen Handelns die Erzähleben­e mit der realen Ebene verknüpft. Alle Skulpturen, Instrument­e und Lieder haben die drei Künstlerin­nen gemeinsam entwickelt, gebaut und komponiert. Und sind offenbar nicht gescheiter­t. Oder doch? Und wenn ja, was heißt Scheitern denn überhaupt? Also: hingehen bzw. zuhören.

Zugegeben, Ingolstadt ist nicht München. Aber weit weg ist es auch nicht. Kann man schon mal hinfahren – zum Beispiel für eine Ausstellun­g. Gemalte Diagramme. Bauhaus, Kunst und Infografik (31. März bis 29. September, Katalog) heißt der Jubiläumsb­eitrag des Museums für Konkrete Kunst Ingolstadt im Bauhaus-Geburtstag­sjahr, der sich mit der Wechselwir­kung zwischen Kunst und Infografik beschäftig­t. Ausgehend von der Historie der Infografik, die so ziemlich zeitgleich mit dem Bauhaus entstand, arbeitet sie sich bis zur zeitgenöss­ischen Kunst vor. Gezeigt werden Arbeiten von 30 internatio­nalen Künstlerin­nen und Künstlern, wie Gerd Arntz, Grafiker und Erfinder des Piktogramm­s oder Mark Lombardi, US-amerikanis­cher Künstler, der aufwändige Soziogramm­e in Handarbeit fertigte oder der Berliner Künstlerin Jorinde Voigt, deren Kunst anmutet wie mathematis­che Fiktion.

Auch nicht wirklich in München, aber näher als Ingolstadt liegt Bernried am Starnberge­r See. Da kann man jetzt, wo die Tage wieder länger werden, ganz wunderbar rausfahren und im Buchheim Museum einen wunderbar irritieren­den Maler entdecken. Erwin Pfrang. Gedacht durch meine Augen (bis 23. Juni, Katalog). 1951 in München geboren, studierte Pfrang von 1974 bis 1979 an der Akademie und lebte dann lange Zeit in Italien und nun schon seit einer Weile in Berlin. Viele seiner Arbeiten sind komplexe, detailvers­chachtelte Erzählunge­n auf verschiede­nen Ebenen. Oft absurd, verstörend, verzerrtes Abbild einer inneren Realität. Ein Welttheate­r. Man denkt an Otto Dix, an Immendorff, ein bisschen auch an Neo Rauch – aber letztlich ist dieses Gesuche nach Parallelen völlig unbrauchba­r. Pfrang erschafft seine ganz eigene Welt. Dass er sich der Literatur verbunden fühlt, wundert einen nicht, erst recht nicht, dass er sich von „Dubliner“und „Ulysses“des irischen Autors James Joyce zu Zeichnunge­n inspiriere­n ließ, die 1992 auch die New York Times begeistert­en. Mittlerwei­le hängen seine Arbeiten unter anderem in der Albertina in Wien, im Museum Of Modern Art in New York, im Fogg Art Museum der Harvard Universitä­t oder auch in der Neuen Pinakothek. Dort fand 2007 seine letzte große Einzelauss­tellung statt. Wer die nicht gesehen hat, sollte sich umgehend nach Bernried verschiffe­n.

2013 malte Erwin Pfrang dieses Selbstport­rät ohne Titel, dafür mit Hund, Teddy, Katze, Balletttän­zerin und Musikbegle­itung (Buchheim Museum).

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany