THEATER
Von diesen Stücken sollte man sich auf Zack bringen lassen
Besonders finsteres Kapitel der oft dunklen deutschen Geschichte: Die Mitglieder der Band Khoi Khonnexion aus Kapstadt sehen sich als Nachfahren der Khoisan, der „ersten Menschen“, die in der vorkolonialen Zeit das gesamte südliche Afrika bewohnten. Auf dem Gebiet des heutigen Namibia fielen sie dem Völkermord durch deutsche Besatzer zum Opfer. Nun gilt es, zusammen mit der Hamburger Band Kante, im Stück Das Haus der
herabfallenden Knochen die widerständige Kraft von Märchen, Poesie und Folk Tales zu feiern. Letztere erzählen noch heute von den Geistern deutscher Soldaten in den Wüsten Namibias, aber auch von Telefonaten mit den Ahnen. (Kammerspiele, 12./13.11.)
Aus der Perspektive junger Menschen von heute blickt die Truppe Rimini Protokoll auf das 60-Jahre-Jubiläum der Kubanischen Revolution. Mit von der Partie ist hier ein Daniel, dessen Großvater Faustino Pérez nach dem Umsturz zum ersten Minister für Umverteilung wurde. Noch heute in Familienbesitz erhalten ist der Katalog einer Auktion, auf der nicht nur Strandvillen, sondern auch banale Haarspangen versteigert wurden. Granma. Posaunen aus
Havanna schlägt allerdings auch sehr nachdenkliche Töne an, wenn eine 31jährige Musikerin darüber reflektiert, dass ihr die Revolution zwar ihr Studium ermöglichte, von ihrem Professorinnengehalt kann sie aber auf Kuba nicht leben. (Kammerspiele, 21./23.11.)
Vielleicht nicht ganz so welterschütternd, aber mit 20 Jahren eben auch ein stolzes Jubiläum gelang dem langjährigen Theaterkritiker C. Bernd Sucher, der dieser Tage 20 Jahre Suchers
Welt feiern darf. Zusammen mit illustren Gästen wie Brigitte Hobmeier dreht der kleine Mann mit dem großen Wis
sen eine leidenschaftliche Zeitreise durch Theater, Film und Musik. (Prinzregententheater, 20.11.)
Nach vorn richten sich die Gedanken dagegen beim „Ayşe X“-Projekt, bei dem es dem Regisseur und Autor Emre Akal darum geht, künstlerisch ein „Staatstheater der Zukunft“zu entwerfen. Poetisch malt er sich das in dem neuen Stück Nur ihr wisst, ob wir es geschafft haben werden aus. Darin haben sich die Menschen nach dem allgemeinen Untergang wieder an den Anfang einer neuen Zeit gerettet. Sie treiben auf einem Meer an Plastikmüll vergangene Epochen dahin. (Hoch X, ab 21.11.)
In ein Pflegeheim in einer gar nicht so weit entfernten Zukunft blickt dagegen die „Woche der Vielen“-Produktion
Peak White – Wirr Sinkt Das Volk. Darin schlurfen alte weiße Männer verloren über die Gänge, nachdem die letzte Pflegerin ihren Dienst quittiert hat. (Marstall, 15.11.)
Vergangenheitsbewältigungsarbeit in eigener Sache spielt das Resi-Ensemble-Mitglied Mareike Beykirch in ihrem Androiden aus Mitteldeutschland-Solo durch. Dabei hat sie sich von dem französischen Schriftsteller Édouard Louis inspirieren lassen und rekonstruiert ihre eigene Welt-Raum-Mission, die sie einst
auf dem beschwerlichen Weg raus aus dem Vorharz quer durch Theaterdeutschland nach München brachte. (Marstall, 8.11.)
Schlag auf Schlag geht es im Haus von Neu-Intendant Andreas Beck dann mit der wilden „Menschensammlung“
Abfall, Bergland, Cäsar des viel zu früh verstorbenen Grazer Krafttheaterdichters Werner Schwab weiter. Barbara Horvath erweckt ein Panoptikum mehr oder weniger unsympathischer Typen zum Leben. Auch das eine starke Leistung, allein auf der Bühne. (Marstall, 18./19.11.)
Karen Breece, die in München zuletzt für ihre „Oradour“-Inzenierung gefeiert wurde, ist dagegen nicht allein. Zusammen mit einem Ensemble gehörloser Mitspieler reflektiert sie in Shout
Out Loud über das Laut-Sein und das Stumm-Werden, über das Hören und Nicht-Hören. Es geht ihr um eine neue Form der Verständigung. (Blitz Club, 17./18.11.)
Für spannendes Jugendtheater mit biblischem Überbau, steht die Produktion An der Arche um Acht. Unter diesem Motto haben sich zwei Pinguine mit einer Taube verabredet. Doch sie können doch unmöglich ihren Freund, den dritten Pinguin, im Regen stehen lassen. (Schauburg, ab 8.11.)
Rund um Copy-Paste-Diebstähle kreist die irre Tanz-Mashup-Produktion
Autoplay, die all das auf die Bühnen bringen möchte, was man gemeinhin an einem verregneten Nachmittag so in den Untiefen des World Wide Webs findet. (Schwere Reiter, 14. bis 16.11.)
Wiederfinden kann man auch den Zauber, der von Giacomo Puccinis wilder Räuberpistole Tosca ausgeht. Regisseur Stefano Poda hat dem Treiben rund um Erpressung, Liebe, Eifersucht und Folter neues Leben eingehaucht. (Gärtnerplatztheater, ab 14.11.) Schön ist die Welt behauptet die Operette von Franz Lehár ganz zurecht. Und dank der schmissigen Bearbeitung von Dominik Wilgenbus mit einem spiel- und sangesfreudigen Ensemble kann man darin auch die schlüpfrigen Passagen in Me-Too-Zeiten umschwänzeln. (Hofspielhaus, ab 14.11.)
Lot Vekemans dagegen konfrontiert sein Publikum im Stück
Schwester von erst einmal mit einem Rätsel. Wer genau ist gemeint? Es geht um Ismene, die Tochter des Ödipus und das jüngere Geschwister der Antigone. (Metropoltheater, ab 20.11.)
Perfekt zum Dagegenhalten geeignet ist das Amphitryon-Lustspiel von Heinrich von Kleist. Es erzählt vom Schockmoment, wenn alle Gewissheiten verloren gegangen sind und den Titelhelden nicht mal mehr die eigene Ehegattin Alkmene wiedererkennt. (Residenztheater, ab 21.11.)
Wie schnell auch scheinbar geordnete Verhältnisse aus dem Lot geraten, erzählt unsere „IN-MÜNCHEN“Mitarbeiterin Karina Schiwietz in ihrem tragikomischen Kammerspiel
Ausgel(i)ebt, in dem sie auch die Hauptrolle übernimmt. Darin lernt man ein Paar kennen, das sich auf ein Geburtstagsfest freut. Doch plötzlich steht ein Vertreter der Staatsmacht in der Tür und verfügt, dass der Wohnraum künftig mit einem Asylbewerber zu teilen sei. Verträgt die Beziehung so viel neue körperliche Nähe? Es beginnt ein perfides Spiel – bestimmt von Verletzungen, Verlockungen, Verrat und nackter Angst. (Kulturbühne Spagat, 15./20.11. und 6./8.12.)
An den großen Grantler erinnern der geniale Gaißacher Liedermacher Josef Kloiber, der Großneffe vom Krautn Sepp, und Martin Regnat, ein unglaublicher Ziacherer auf der Diatonischen. Für ihre literarisch-musikalische Revue Oscar Maria Grafical haben sie dessen Texte neu kombiniert und angeschärft. Vorgetragen werden sie von Georg Unterholzner im feinen dunklen Bairisch. (Fraunhofer, 13.11.)
Und zu guter Letzt hat sich das lange Warten von und mit Heiko Dietz gelohnt: Nachdem den Theatermacher einst ein Wasserschaden aus der alten Bühne vertrieben hatte, geht es mit
Theorie einer Verschwörung nun wieder los. Dietz rekonstruiert darin einen mysteriösen „Unfall“auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Hannover. Auf offiziellem Wege hat man dazu lange nichts erfahren. Nun musste dafür das neue Theater endlich eröffnen. (Theater Undsofort, Hinterbärenbadstraße 2/Pavillon, ab 7.11.)