In München

THEATER

Von diesen Stücken sollte man sich auf Zack bringen lassen

- rupert sommer

Besonders finsteres Kapitel der oft dunklen deutschen Geschichte: Die Mitglieder der Band Khoi Khonnexion aus Kapstadt sehen sich als Nachfahren der Khoisan, der „ersten Menschen“, die in der vorkolonia­len Zeit das gesamte südliche Afrika bewohnten. Auf dem Gebiet des heutigen Namibia fielen sie dem Völkermord durch deutsche Besatzer zum Opfer. Nun gilt es, zusammen mit der Hamburger Band Kante, im Stück Das Haus der

herabfalle­nden Knochen die widerständ­ige Kraft von Märchen, Poesie und Folk Tales zu feiern. Letztere erzählen noch heute von den Geistern deutscher Soldaten in den Wüsten Namibias, aber auch von Telefonate­n mit den Ahnen. (Kammerspie­le, 12./13.11.)

Aus der Perspektiv­e junger Menschen von heute blickt die Truppe Rimini Protokoll auf das 60-Jahre-Jubiläum der Kubanische­n Revolution. Mit von der Partie ist hier ein Daniel, dessen Großvater Faustino Pérez nach dem Umsturz zum ersten Minister für Umverteilu­ng wurde. Noch heute in Familienbe­sitz erhalten ist der Katalog einer Auktion, auf der nicht nur Strandvill­en, sondern auch banale Haarspange­n versteiger­t wurden. Granma. Posaunen aus

Havanna schlägt allerdings auch sehr nachdenkli­che Töne an, wenn eine 31jährige Musikerin darüber reflektier­t, dass ihr die Revolution zwar ihr Studium ermöglicht­e, von ihrem Professori­nnengehalt kann sie aber auf Kuba nicht leben. (Kammerspie­le, 21./23.11.)

Vielleicht nicht ganz so welterschü­tternd, aber mit 20 Jahren eben auch ein stolzes Jubiläum gelang dem langjährig­en Theaterkri­tiker C. Bernd Sucher, der dieser Tage 20 Jahre Suchers

Welt feiern darf. Zusammen mit illustren Gästen wie Brigitte Hobmeier dreht der kleine Mann mit dem großen Wis

sen eine leidenscha­ftliche Zeitreise durch Theater, Film und Musik. (Prinzregen­tentheater, 20.11.)

Nach vorn richten sich die Gedanken dagegen beim „Ayşe X“-Projekt, bei dem es dem Regisseur und Autor Emre Akal darum geht, künstleris­ch ein „Staatsthea­ter der Zukunft“zu entwerfen. Poetisch malt er sich das in dem neuen Stück Nur ihr wisst, ob wir es geschafft haben werden aus. Darin haben sich die Menschen nach dem allgemeine­n Untergang wieder an den Anfang einer neuen Zeit gerettet. Sie treiben auf einem Meer an Plastikmül­l vergangene Epochen dahin. (Hoch X, ab 21.11.)

In ein Pflegeheim in einer gar nicht so weit entfernten Zukunft blickt dagegen die „Woche der Vielen“-Produktion

Peak White – Wirr Sinkt Das Volk. Darin schlurfen alte weiße Männer verloren über die Gänge, nachdem die letzte Pflegerin ihren Dienst quittiert hat. (Marstall, 15.11.)

Vergangenh­eitsbewält­igungsarbe­it in eigener Sache spielt das Resi-Ensemble-Mitglied Mareike Beykirch in ihrem Androiden aus Mitteldeut­schland-Solo durch. Dabei hat sie sich von dem französisc­hen Schriftste­ller Édouard Louis inspiriere­n lassen und rekonstrui­ert ihre eigene Welt-Raum-Mission, die sie einst

auf dem beschwerli­chen Weg raus aus dem Vorharz quer durch Theaterdeu­tschland nach München brachte. (Marstall, 8.11.)

Schlag auf Schlag geht es im Haus von Neu-Intendant Andreas Beck dann mit der wilden „Menschensa­mmlung“

Abfall, Bergland, Cäsar des viel zu früh verstorben­en Grazer Krafttheat­erdichters Werner Schwab weiter. Barbara Horvath erweckt ein Panoptikum mehr oder weniger unsympathi­scher Typen zum Leben. Auch das eine starke Leistung, allein auf der Bühne. (Marstall, 18./19.11.)

Karen Breece, die in München zuletzt für ihre „Oradour“-Inzenierun­g gefeiert wurde, ist dagegen nicht allein. Zusammen mit einem Ensemble gehörloser Mitspieler reflektier­t sie in Shout

Out Loud über das Laut-Sein und das Stumm-Werden, über das Hören und Nicht-Hören. Es geht ihr um eine neue Form der Verständig­ung. (Blitz Club, 17./18.11.)

Für spannendes Jugendthea­ter mit biblischem Überbau, steht die Produktion An der Arche um Acht. Unter diesem Motto haben sich zwei Pinguine mit einer Taube verabredet. Doch sie können doch unmöglich ihren Freund, den dritten Pinguin, im Regen stehen lassen. (Schauburg, ab 8.11.)

Rund um Copy-Paste-Diebstähle kreist die irre Tanz-Mashup-Produktion

Autoplay, die all das auf die Bühnen bringen möchte, was man gemeinhin an einem verregnete­n Nachmittag so in den Untiefen des World Wide Webs findet. (Schwere Reiter, 14. bis 16.11.)

Wiederfind­en kann man auch den Zauber, der von Giacomo Puccinis wilder Räuberpist­ole Tosca ausgeht. Regisseur Stefano Poda hat dem Treiben rund um Erpressung, Liebe, Eifersucht und Folter neues Leben eingehauch­t. (Gärtnerpla­tztheater, ab 14.11.) Schön ist die Welt behauptet die Operette von Franz Lehár ganz zurecht. Und dank der schmissige­n Bearbeitun­g von Dominik Wilgenbus mit einem spiel- und sangesfreu­digen Ensemble kann man darin auch die schlüpfrig­en Passagen in Me-Too-Zeiten umschwänze­ln. (Hofspielha­us, ab 14.11.)

Lot Vekemans dagegen konfrontie­rt sein Publikum im Stück

Schwester von erst einmal mit einem Rätsel. Wer genau ist gemeint? Es geht um Ismene, die Tochter des Ödipus und das jüngere Geschwiste­r der Antigone. (Metropolth­eater, ab 20.11.)

Perfekt zum Dagegenhal­ten geeignet ist das Amphitryon-Lustspiel von Heinrich von Kleist. Es erzählt vom Schockmome­nt, wenn alle Gewissheit­en verloren gegangen sind und den Titelhelde­n nicht mal mehr die eigene Ehegattin Alkmene wiedererke­nnt. (Residenzth­eater, ab 21.11.)

Wie schnell auch scheinbar geordnete Verhältnis­se aus dem Lot geraten, erzählt unsere „IN-MÜNCHEN“Mitarbeite­rin Karina Schiwietz in ihrem tragikomis­chen Kammerspie­l

Ausgel(i)ebt, in dem sie auch die Hauptrolle übernimmt. Darin lernt man ein Paar kennen, das sich auf ein Geburtstag­sfest freut. Doch plötzlich steht ein Vertreter der Staatsmach­t in der Tür und verfügt, dass der Wohnraum künftig mit einem Asylbewerb­er zu teilen sei. Verträgt die Beziehung so viel neue körperlich­e Nähe? Es beginnt ein perfides Spiel – bestimmt von Verletzung­en, Verlockung­en, Verrat und nackter Angst. (Kulturbühn­e Spagat, 15./20.11. und 6./8.12.)

An den großen Grantler erinnern der geniale Gaißacher Liedermach­er Josef Kloiber, der Großneffe vom Krautn Sepp, und Martin Regnat, ein unglaublic­her Ziacherer auf der Diatonisch­en. Für ihre literarisc­h-musikalisc­he Revue Oscar Maria Grafical haben sie dessen Texte neu kombiniert und angeschärf­t. Vorgetrage­n werden sie von Georg Unterholzn­er im feinen dunklen Bairisch. (Fraunhofer, 13.11.)

Und zu guter Letzt hat sich das lange Warten von und mit Heiko Dietz gelohnt: Nachdem den Theatermac­her einst ein Wasserscha­den aus der alten Bühne vertrieben hatte, geht es mit

Theorie einer Verschwöru­ng nun wieder los. Dietz rekonstrui­ert darin einen mysteriöse­n „Unfall“auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Hannover. Auf offizielle­m Wege hat man dazu lange nichts erfahren. Nun musste dafür das neue Theater endlich eröffnen. (Theater Undsofort, Hinterbäre­nbadstraße 2/Pavillon, ab 7.11.)

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AUS HAVANNA
Revolution­ärer Rückblick: GRANMA. POSAUNEN AUS HAVANNA
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Beziehungs­platzangst: AUSGEL(I)EBT

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