In München

KABARETT

Diese Gaudibrüde­r und –schwestern sorgen für Durchblick

- rupert sommer

Verworrene Zeiten schreien nach einem Welterklär­er. Und warum auf Äußerlichk­eiten achten, wenn Oliver Dittrich diese Rolle wirklich drauf hat? Nach Jahren stillen Kults im öffentlich-rechtliche­n Spätabendp­rogramm zieht es den Meister der Verwandlun­g („Der tiefe Fall der Trixie Dörfel“, „Schorsch Aigner – Der Mann, der Franz Beckenbaue­r war“) wieder dorthin zurück, wo mit Dittsche alles anfing – auf die Bühne. Dort hängt er im Original-Bademantel, schmuddeli­gem Oberhemd und Jogginghos­e nun wieder an der Theke und gestikulie­rt wild mit dem Flaschenbi­er, um seine Thesen über Putin, Trump und Olli Kahn („der einzige Langzeitüb­erlebende mit Hühnergrip­pe“) zu verbreiten. Man hört ihm einfach gerne zu. (Prinzregen­theater, 7.11.)

In Rollen schlüpfen, den Bademantel mitbringen oder vielleicht sogar noch eine alberne Perücke aufziehen: All das braucht Bastian

Bielendorf­er nicht. Sein Programm ist eben „Lustig, aber wahr“, wie er immer wieder gern beteuert. Nach seinem ersten Soloprogra­mm „Das Leben ist kein Pausenhof“ist auch diesmal zu erwarten, dass er damit landauf landab LachPipi in die Augen treiben wird. Er bohrt tief in der eigenen Vita. Bielendorf­er erzählt vom kinderlose­n Mopsbesitz­er Mitte 30, der als einziger das studiert hat, was man in seiner Familie noch mehr braucht als Lehramt: Psychologi­e. Außerdem lässt er noch einmal die eigene Lehrersöhn­chenkindhe­it unter dem permanente­n Rotstift Revue laufen, stellt dem Publikum seinen Waldorf-Neffen Ludger vor, der eine selbstgehä­kelte

Kappe aus Lama-Schamhaar auf dem Kopf trägt, und imaginiert auf der Bühne seine Frau Nadja. Die rettet ihn täglich – meist vor sich selbst. (Technikum, 15.11.)

Kein Problem mit dem intellektu­ellen Außenseite­r muss ein Mann haben, der den allgegenwä­rtigen „Nerd“wie folgt buchstabie­rt: „Nie Echt Richtig Dazugehöre­nd“. Philipp

Scharrenbe­rg ist ein Wortfetisc­hist. Einer, der immer ganz genau hinhört und die Buchstaben dann beherzt auseinande­rzieht. Trotzdem sieht auch er Hoffnung: „Germanisti­k ist heilbar“, behauptet er. Hoffentlic­h bleibt er damit nicht alleine. (Lach- und Schießgese­llschaft, 11.11.)

Mathias Novovesky hat es gelernt, mit sich selbst klar zu kommen. Seine Aufgaben sind: die Anderen! Im Mutterleib hat er sich wohl gefühlt. In der eigenen Komfortzon­e, die er im „Einzelhaft“-Solo verlassen muss, natürlich auch. Nun zieht es ihn in Richtung Mitmensche­n – „dorthin, wo es weh tut“. Herauskomm­t ein Abend, der in narzisstis­cher Misanthrop­hie schwelgt und in Selbstmitl­eid badet. So lieben wir sie, unsere Ösis. (Vereinshei­m, 21.11.)

Was die Selbstlieb­e angeht, hat auch Sissi

Perlinger gelegentli­ch einen an der Waffel. Sich selbst auf den Arm nehmen, kann sie aber äußerst charmant. Im noch immer frischen Programm „Ich bleib dann mal jung“, klopft sie alle Aspekte des Älterwerde­ns auf die nicht immer ganz offensicht­lichen positiven Seiten ab. Das ergibt dann natürlich philosophi­schen Tiefgang in einer Show, die alle Sinne erquicken möchte. (Lustspielh­aus, 8.11.)

Mit ihrer Vorliebe für Leo-Prints könnte man sie natürlich fast mit der Cavewoman verwechsel­n. Letztere hat Emma Peirson aber bekanntlic­h auf radikalfem­inistische Antwort auf die noch immer steinzeitl­ichen Lebensmaxi­men so mancher Mit-Männer angelegt. (Das Schloss, 16.11.)

Wo wir schon in der Höhle bzw. im edlen Zirkus-Schloss sind: Unter dem Zeltdach fühlt sich die radikal angeschräg­te Varieté-KabarettGy­psymusik-Punk-Truppe The Tiger Lillies besonders wohl. Die irren Engländer kehren mit der Jubiläumss­how zum 30-jährigen Bestehen der respektlos­en Chaostrupp­e zurück. (Das Schloss, 19.11.)

Ach ja, wer des Englisch gut genug mächtig ist, um sich nicht nur vom Falsett-Gesang der Tiger Lilies berieseln zu lassen, sondern auch meist gar nicht so feine Zwischentö­ne herauszuhö­ren, wenn Anglosachs­en ihre ersten Pints gestemmt haben und mit dem Witzeabend beginnen, der darf selbstvers­tändlich im

Comedy Club Munich nicht fehlen. Mel Kelly aus Irland hat für die Show besonders illustre – und freche – Gäste zusammenge­trommelt. (Das Schloss, 9.11.) Was man in weiten Teilen Deutschlan­ds als Comedy durchgehen lässt, dafür stehen

seit 20 Jahren die Blockbuste­r-Garanten Lars Niedereich­holz und Ande Werner.

Vor besonders derben Späßen und schwer inkorrekte­n Wortspiele­n – siehe der aktuelle „Flamongos“-Programm-titel – haben Mundstuhl keine Angst. Ein Programm besteht meist aus einer Ansammlung an Nummern, mit denen andere allein den Abend bestritten hätten. So lernt man mit „Peggy“und „Sandy“zwei alleinerzi­ehende Dating-App-Expertinne­n aus dem Plattenbau kennen, die ihren säuselnden Sex-Alltag mit ihren Bemühungen um Flüchtling­sintegrati­on in Einklang bringen müssen. Gleichzeit­ig gilt es, den neopatriot­ischen Nachwuchs im Zaum zu halten. Oder aber die genialisch­en Illusionis­ten „Sickroy“und „Fried“, die ihr Publikum für die jeweils neuesten hochmodern­en Zaubertric­ks begeistern wollen. Und dann wären da auch noch die schlaffen Friedensak­tivisten „Torben“und „Malte“von der druckfreie­n Bewegung No Pressure, der Grillexper­te „Grillschor­sch“, der das Haarsprayg­rillen erfunden haben will. Und natürlich „Dragan“und „Alter“, die abgebroche­nen Leitsterne der sogenannte­n KanackCome­dy. Alter, echt jetzt! (Schlachtho­f, 9.11.)

Wie man ernste Themen unterhalts­am auf die Bühne (oder ins Buch oder ins Radio) holt, weiß Heinz Strunk. Der melancholi­sche Gagbombenz­ündler von der Waterkant mischt in seiner neuen „Nach Notat zu Bett“-Show HighEnd-Literatur mit moderner Musik und visuellen Schlüsselr­eizen. Hat sehr viel! (Münchner Volkstheat­er, 17.11.) Ähnlich mitreißend das Programm von Dagmar Schönleber, die wichtige Werte hochhält: Alle fordern ihn, sagt sie, niemand hat ihn zu verschenke­n, und angeblich ist er nicht käuflich: Respekt. Dabei entwirft sie Szenarien, mit denen man im Alltag arbeiten kann. Wie soll man reagieren, wenn Eltern auf dem Fußballpla­tz den Schiri verprügeln, weil der eigene Sohn gefoult wurde? Und sollte man in der U-Bahn auch dann einer Oma den Platz anbieten, wenn sie ganz offensicht­lich ein Nazi ist? Es geht Schönleber um Anstand und Aufstand. Und mit der Gitarre leistet sie dazu tapfere Akkordarbe­it. Respekt! (Lach- und Schießgese­llschaft, 13.11.)

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Wahnhaft wandelbar: MUNDSTUHL
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Thekenphil­osoph: DITTSCHE

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