Oh Mama!
„Lara“von Jan-Ole Gerster
— Jan-Ole Gersters faszinierender Mix aus Charakterportrait und Schicksalsspiel hat einiges gemeinsam mit seinem Debütfilm, dem Indie-Überraschungshit „Oh Boy!“(2012): die schauspielerische Brillanz, die raffinierte Balance von Tragik und Witz, die kompakte Erzählzeit eines Tages. Der Stoff freilich ist riskanter. Bei „Oh Boy“war es ein junger Mann (Tom Schilling), der einen Tag lang durch seine Sinn- und Existenzkrisen driftete, in „Lara“geht es um die Lebensbilanz einer von Bitterkeit, Verzweiflung und Einsamkeit gezeichneten Frau namens Lara Jenkins (genial: Corinna Harfouch).
Lara versteht sich mit niemandem, ätzt gegen jeden, auch gegen ihren Sohn Viktor (Tom Schilling), mit dem sie einmal im Garten der Oma zusammensitzt. Von fern sieht es wie eine hübsche, melancholische Herbstidylle aus, aber es ist die Arena eines krassen Mutter-Sohn-Duells. Jedes Wort, das Lara an ihren Sprössling richtet, ist ein Giftpfeil, der ihn lähmen und sein Selbstbewusstsein als Künstler untergraben soll.
Sie will ihn nach ihrem Bild formen, er will sich ihrem Bann entziehen. Viktor hat sein erstes Klavierkonzert komponiert, abends soll es zur Uraufführung kommen. Lara hat sich einen Blick in die Partitur erschlichen und nennt das Werk „gefällig“, ein vernichtendes Urteil, denn „gefällig“heißt: Deine Komposition ist anbiedernder Kitsch. Viktor gibt sich gleichgültig, aber die Mutterattacke trifft ihn doch. Während Lara über den Tag hinweg mit allerlei kuriosen Situationen konfrontiert wird, offenbart sich Schritt für Schritt ihre existentielle Tragik. Es ist wie bei der Öffnung geheimer Türen in einem verwunschenen Schloss: immer wieder tauchen Echos und Schreckgespenster ihrer Schicksalskatastrophen auf. In jungen Jahren wollte sie eine große, berühmte Pianistin werden. Offenbar reichte ihr Talent nicht, vielleicht waren es auch unglückliche Umstände, die ihre Künstlerkarriere verhinderten, jedenfalls landete sie als Beamtin in der Stadtverwaltung und investierte ihren übrig gebliebenen maßlosen Ehrgeiz in die Ausbildung des Sohnes zum Klaviervirtuosen. „Eislaufmütter“nennt man Mütter, die ihre Ambitionen selbst nicht verwirklichen konnten und nun ihre Kinder zum Werkzeug ihres Ehrgeizes machen. Lara ist solch eine tyrannische Mutterfigur. Ihre vampirartige Übergriffigkeit geht manchmal so weit, dass man beinahe beginnt, sie zu hassen, aber Corinna Harfouch gelingt es meisterlich, dieses „beinahe“in der Schwebe zu halten, und Jan-Ole Gerster setzt alles daran, seine Heldin nicht einfach zum Schreckensbild auszumalen, sondern ihrem Charakter in verblüffenden Storywendungen reichhaltige Facetten zu schenken.
Biographische Fußnote: Corinna Harfouch, heute eine hoch verehrte, viel geliebte, mit zahlreichen Auszeichnungen bedachte Schauspielerin, scheiterte einst bei der Aufnahmeprüfung zur Schauspielschule. Sie erlernte erstmal den Beruf der Krankenschwester, um dann doch ihrer Bestimmung zu folgen und den Parnass der Darstellungskunst zu erklimmen.