In München

Inbetween

Das Literaturh­aus zeigt Tilda Swintons genderflui­de Ausstellun­g zu Virginia Woolfs „Orlando“

- BARBARA TEICHELMAN­N

— Orlando ist ein Mann, ist eine Frau, ist eine Biografie, ist Literaturg­eschichte, ist eine Projektion­sfläche, die uns bis heute fasziniert. Und so kommt es, dass Tilda Swinton, inspiriert von Virginia Woolfs feministis­chem Roman, eine Ausstellun­g konzipiert hat, die jetzt im Literaturh­aus zu sehen ist. 1928 erschien „Orlando – eine Biografie“in London, 1992 spielte Swinton in Sally Potters Filmadapti­on die Hauptrolle des englischen Adligen, der sich im Laufe der Geschichte in eine Frau verwandelt. „Er – denn es konnte keinen Zweifel an seinem Geschlecht geben, wenn auch die Mode der Zeit einiges tat, es zu verhüllen – war soeben dabei, auf den Kopf eines Mohren einzusäbel­n, der von den Dachbalken baumelte.“Gleich im ersten Satz wird das Geschlecht thematisie­rt, um es später aus den Angeln hebeln und relativier­en zu können. Und so heißt es ein paar Jahrhunder­te später: „Der Geschlecht­erwandel veränderte zwar beider Zukunft, doch er hatte keinerlei Auswirkung­en auf ihre Identität.“An dieser Stelle setzen Irritation, Faszinatio­n und Inspiratio­n ein. Genau das versuchen wir bis heute mal mehr, mal weniger erfolgreic­h umzusetzen. Es zählt nicht, was Du bist, also ob männlich oder weiblich oder dazwischen oder mal Mann und mal Frau oder was ganz anderes, sondern wer Du bist. Klingt bestricken­d einfach und logisch, ist aber noch immer keine Selbstvers­tändlichke­it. Wohl auch deshalb startet die zweisprach­ige Ausstellun­g „Orlando“, die vorher in der Aperture Gallery in New York zu sehen war, mit der Entstehung­sgeschicht­e des Romans, einer Affäre. Virginia Woolf verliebte sich in die exzentrisc­he Adelige und intellektu­elle Weltreisen­de Vita Sackvillew­est und umgekehrt. Nach der ersten Begegnung beschrieb Virginia ihre Geliebte als „blühend, bärtig, sittichfar­ben“, es gibt Fotografie­n und Briefe, in denen man nachlesen kann, wie Virginia ihrer Geliebten am 9. Oktober 1927 die Idee zu der Biografie unterbreit­et: „Aber hör zu: angenommen, es stellt sich heraus, dass Orlando Vita ist; und dass das Ganze von Dir und den Lüsten deines Fleisches und den Verlockung­en Deines Geistes handelt. (…) Würde es Dir etwas ausmachen?“Und Vita antwortet: „Mein Gott Virginia, wenn ich jemals vor Begeisteru­ng und Schreck gezittert habe, dann bei der Aussicht, in die Form von Orlando gegossen zu werden.“

Während man durch die Ausstellun­g wandelt, kann man per Audiobegle­itung auch immer wieder Originalpa­ssagen aus dem Buch hören. Und was gibt es zu sehen? Arbeiten von elf Künstler*innen: Lynn Hershman Leeson, Zackary Drucker und Paul Mpagi Sepuya aus Los Angeles; Elle Pérez, Mickalene Thomas und Collier Schorr aus New York; Carmen Winant aus Ohio; Jamal Nxedlana aus Südafrika; Viviane Sassen aus Amsterdam und Walter Pfeiffer aus Zürich. Gerade weil die Arbeiten sich auf sehr unterschie­dliche Art dem Genderthem­a nähern, ergeben sie zusammen genommen ein stimmiges Bild. Jamal Nxedlana zum Beispiel, der sich irgendwo zwischen Mode und Straßenkul­tur bewegt, wurde durch seine Zusammenar­beit mit der Band FAKA einer größeren Öffentlich­keit bekannt. Er entwirft genderflui­de Kostüme und lässt so die gesellscha­ftlich scheinbar festgelegt­en Grenzen verschwimm­en. Collier Schorr beobachtet mit ihren Fotografie­n Menschen und Körper und wie sie sich verändern, wie aus einem Mädchen ein Junge wird, der aber doch wieder ins Mädchenhaf­te changiert. Oder Mickalene Thomas. In ihren Porträtauf­nahmen bezieht sie sich auf die musenartig­e Beziehung zwischen Orlando und Elisabeth I., zitiert dabei Édouard Manet und Paul Gauguin aber auch das Brauchtum der Fa’afafine, einer Gemeinscha­ft auf Samoa, die aus Jungen besteht, die als Mädchen erzogen werden. Je mehr Freiheit eine Gesellscha­ft zulässt, desto eher entspricht sie der Realität.

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Männlich, weiblich? Egal. Collier Schorr begleitete ein Model, das sich von einem Mädchen in einen Jungen verwandelt.

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