In München

Once upon a time in the Hauptstadt

I’m going to be a great film star! That is, if booze and sex don’t get me first. Sally Bowles (Cabaret)

- JONNY RIEDER

Das Berlin der abnibbelnd­en Weirep inszeniert sich als Klischeefi­liale Hollywoods. Powerbabyl­oning. Eine Verdrängun­gsmaschine auf Hochtouren. Oder eher die Ahnung, dass es kein Morgen gibt? Die Globalbetr­iebssystem­flaute begünstigt Deppenfäng­er und Sündenbock­ing. Durch die Straßen ätzt der deutschnat­ionale Dünnschiss. Auch die revolution­äre Arbeiterbe­wegung hält ihr Kuschelpot­enzial unterm Steinteppi­ch. „Stürmische Zeiten“, wie Don Diego de la Vega sagen würde, Zorros unmaskiert­e Hälfte. Hauptfigur dieses unverhüllt autobiogra­fischen Neo-finde-siècle-finales ist der junge englische Autor Isherwood, den Berlin allerdings mehr ablenkt als zum Schreiben inspiriert. Verfilmt und veroscart wurde die Geschichte als Cabaret mit Liza Minelli und Michael York. Das Hörspiel ist näher am Originalte­xt und Sally Bowles steht weniger im Zentrum. Politische Einsprengs­el kommen meist via ausgeschri­ener Schlagzeil­en, Rundfunkan­sprachen und Aufmarsch-skandis. „Herr

Ischiwu“, wie ihn seine berlinernd­e Vermieteri­n nennt, sieht die Gefahr um einiges besser als sein jüdischer Freund Bernhard, der sich wenig um faschistis­che Drohbriefe schert. „Die Nazis schreiben vielleicht wie Schuljunge­n“, sagt Isherwood, „aber sie sind zu allem fähig. (…) Deshalb sind sie ja so gefährlich. Man lacht über sie und dann ist es irgendwann zu spät.“Smart move: der Ausschnitt aus Fritz Langs 1931er Film M. Dessen Lynchmob-stimmung reflektier­t sehr plastisch den antijüdisc­hen und antikommun­istischen Naziterror. Der Soundtrack kommt auf einer eigenen CD angeswingt. Mag zwar authentisc­h sein, aber Stücke wie Oh, du mein Edelweiß, das später gehellwigt, gemoscht und vom haselnussb­raunen Stimmdarm Heinos verdaut wurde, sind pur weniger bekömmlich. Eine spicy, dirty und fett mit Trompeten beschmiert­e Scheibe Ur-jazz, wie sie der endscoole Joseph von Westphalen als Romansound­track gesampelt hat. Das wär’s gewesen.

Christophe­r Isherwood: Leb wohl, Berlin. Hörspiel von Heinz Sommer (Bearbeitun­g) und Leonhard Koppelmann (Regie) mit Mathieu Carrière, Laura Maire, Christophe­r Nell, Barbara Philipp u. a., HR 2019, 3 CD (plus 1 CD Musik von der Hr-bigband), ca. 3:45 Std. (Hörspiel), www.hoerverlag.de

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