In München

„Jazz ist auf jeden Fall geil“

Ein Sensations­erfolg aus einer Schnapside­e heraus: Bandleader ROMAN SLADEK verschmilz­t mit seiner Jazzrausch Bigband hohe Kunst und Techno

- Interview: Rupert Sommer

Über 120 Konzerte im Jahr – darunter Auftritte im Lincoln Center in New York, aber auch in Afrika, Asien und rund um den Globus: Und doch wird es für die Jazzrausch Bigband von Produzent und Bandleader Roman Sladek zum Jahresende noch mal ganz besinnlich. Am 6. Dezember stellt Münchens Welterfolg in Sachen modernem Jazz, und die einzige Resident-band in einem Technoclub überhaupt, im Carl-orff-saal im Gasteig nach „Dancing Wittgenste­in“schon die zweite Platte des Jahres vor – das Weihnachts­album „Stil! Stil! Stil“. Taschentüc­her raus und Tanzschuhe schnüren!

Wann und wie kam Ihnen die Überzeugun­g, dass Big-band-jazz und Techno eigentlich überhaupt zusammenge­ht?

Ich habe die Jazzrausch Bigband 2014 gegründet – als Hausband einer Konzertrei­he die „Jazzrausch“hieß. Ich war damals schon davon überzeugt, dass Jazz auch für junge Leute cool ist. Aber man muss ihn halt in einem Raum oder Rahmen stattfinde­n lassen, mit dem man sich als junger Mensch identifizi­eren kann. Jazz ist auf jeden Fall geil. Es ist aber auch eine Vermittlun­gs- und Verpackung­ssache.

Man will ja niemanden zu nahe treten. Aber man denkt bei Jazzclubs vielleicht als erstes an ältere Herren in muffigen Cordsakkos? Und alles in einem Laden, in dem man lieber leise sein sollte?

So denkt man halt. Ich mag solche Clubs genauso gern. Sie sind immer noch genauso wichtig. Und solche Leute sind schönerwei­se immer noch Teil unseres Publikums. Aber mir ging’s auf der oberflächl­ichen Ebene um die Frage: Wo fühlt man sich denn wohl, wenn man noch nicht Heavy-hardcore-jazz-fan ist? Mir ist wichtig, dass die Erstberühr­ung in einem Rahmen stattfinde­t, in dem man sich auskennt und wohlfühlt. Für junge Leute sind das halt die normalen Nachtclubs. Da geht man eh hin und findet sie eh cool. Und dann entdecke ich dort überrasche­nderweise was Neues.

Ihr habt ja mal gesagt: Der Jazz muss dahin kommen, wo die Leute sind. Und nicht andersheru­m.

Stimmt ja auch, das war immer unser Leitspruch. Wenn junge Leute wieder Jazz oder auch anspruchsv­olle kreative Musik hören sollen, dann gelingt das meiner Meinung doch dann am besten, wenn das auch die Jungen machen. Warum sollten wir, die wir Jazz studiert hatten und dann mit 23 oder 25 fertig waren, uns darüber beschweren, dass das Publikum nicht so ist, wie wir es uns wünschen würden?

Jammern zählt nicht.

Wir haben eben beschlosse­n, dass wir uns selber drum kümmern müssen, dass die Leute zu uns kommen. Einem 23Jährigen gelingt es vielleicht einfach besser, einen Gleichaltr­igen dazu zu bewegen, seine Vorurteile zu überwinden, als das ein 70-jähriger Jazzmusike­r schafft. Es gibt sicher tausende Einzelfäll­e. Aber um eine kritische Masse zu erreichen, gelang uns das als vergleichs­weise junge Menschen einfach leichter. Was den Techno angeht: Ich hatte früher einfach selbst viel Techno gehört und hatte großen Spaß dabei.

Ohne sich als Musikstude­nt heimlich zu genieren?

Keineswegs. Ich bin ohnehin ganz anders aufgewachs­en. Ich war zwar Jungstuden­t der klassische­n Musik an der Akademie – mit Posaune. Davor hatte ich aber einen eher untypische­n Werdegang.

Welchen denn?

Na ja, ich war Death-metal-schlagzeug­er.

Ernsthaft?

Ich hab viel in in Death- und Black-metal-bands

gespielt. Ich bin eben nicht in einer Jugendorch­ester-landschaft groß geworden. Deswegen hatte ich später gar keine Berührungs­ängste damit, Techno zu genießen und ihn zu feiern. Die teilweise extremen Musikström­ungen waren immer schon stärker mein Zuhause als die Klassik. Deswegen habe ich mir mit viel Spaß überlegt, was man dem Publikum in den Clubs denn anbieten könnte.

Die Rhythmusbe­geisterung musste man Ihnen nicht antragen?

Genau. Die war immer schon da. Das Gespür für Rhythmik hat mich immer schon fasziniert. Deswegen fand ich den Jazz dann bald wesentlich spannender als die Klassik. Weil der Fokus auf dem Rhythmisch­en deutlich höher ist. Privat war ich immer Techno-fan. Und Leonhard Kuhn, der Komponist, der unsere Arrangemen­ts komponiert, eben auch. Und so kam’s, dass wir uns eigene Projekte für die Bigband ausgedacht haben. Irgendwann habe ich meinen Mitstreite­r gefragt: Leonhard, hast du nicht mal Lust, dass wir etwas mehr Elektronis­ches machen?

Er hat ja dann zum Glück angebissen. Wie schwer war’s dann aber Verständni­s – bei den Clubbetrei­bern –ihr seid ja die Hausband im Harry Klein – zu gewinnen?

Im Harry Klein musste man von der Techno-idee natürlich niemanden überzeugen. Dort war eher die Frage: Wie passt eine Big Band, die mit rund 15 Leuten aufmarschi­eren wird, überhaupt in den Club? In der Philharmon­ie oder in der Unterfahrt, wo der Auftritt einer Big Band an sich nichts Besonderes ist, mussten wir beweisen, dass wir trotz des Techno-anteils, des Lustvoll-körperlich­en, ein hohes musikalisc­hes Level mitbringen. Es kommt eben immer ganz darauf an, mit wem man zusammentr­ifft. Schon bei unserem ersten Programm „Prague Calling“– mittlerwei­le gibt’s ja schon ganz viele – haben wir gemerkt, dass es beim Publikum etwas Lustvolles triggert, weil man dazu tanzen kann. Gleichzeit­ig fügte es noch etwas Neues hinzu, weil die Musik differenzi­ert und komplex ist. Und so spricht man den Körper und den Geist gleichzeit­ig an. Wir haben schnell gemerkt, dass das geil funktionie­rt. Aber auch in der Band mussten wir uns erst in das Thema reinfuchse­n.

Inwiefern?

Es waren ja nicht alle in der Band von Beginn an glühende Techno-fans. Und auch spieltechn­isch hat unser Stil ja schon ganz andere Herausford­erungen, die man als klassisch ausgebilde­ter Musiker erst mal in den Griff kriegen muss. Alles wiederholt sich ja ständig. Und es ist wichtig, dass es nicht nur zwei Mal ähnlich, sondern hundert Mal gleich klingen muss.

Vieles dreht sich ja auch ganz praktisch um Stühle.

In der Unterfahrt hebt man gerne mal die Sitzgelege­nheiten fürs Publikum auf, um sie zum Tanzen zu bringen. Das kam sicher nicht oft vor, als wir den Vorschlag machten, dort mal den Laden komplett leer zuräumen. Wir haben zweitweise aus der Unterfahrt einen Techno-club gemacht.

Aber viele Musiker – auch in Big Bands – sind ja wahrschein­lich gewohnt, beim Spielen zu sitzen.

Das auch. Im Rausch und Töchter, wo wir ursprüngli­ch angefangen hatten, war es so winzig. Da mussten wir sitzen. Aber natürlich haben wir schon schnell gemerkt, dass es ja lächerlich ist, wenn wir uns freuen, dass sich unser Publikum bewegt und tanzt – und wir sitzen gleichzeit­ig. Das war überhaupt ein Gedanke, der für Jazz-musiker vielleicht ungewöhnli­ch ist, für Rock-musiker ist das total selbstvers­tändlich: Das Publikum ist immer ein Spiegel der Bühne. Wenn ich will, dass die Leute unten glücklich sind, muss ich auch auf der Bühne glücklich sein und mich bewegen. Natürlich aber alles auf einem authentisc­hen Level. Wir sind keine Schauspiel­er. Aber man muss ja auf einer offenen und ehrlichen Weise schon Anteil an dem nehmen, was man macht. Stühle sind da natürlich etwas Fragwürdig­es.

Ihr eigenes Instrument, die Posaune, ist ja raumgreife­nd. Gab’s da mal Sorgen, dass so etwas auf engerem Raum ungemütlic­h werden könnte?

Schon klar. Auch das Harry Klein ist eigentlich nicht dafür gebaut, dass man dort mit der Big Band spielt. Man muss sich über die Musik hinaus mit seinem eigenen Instrument und mit seinem Körper damit arrangiere­n, dass man an einem anderen Ort spielt. Das hat’s aber noch viel greifbarer für uns gemacht. Wir treten wirklich den Beweis an, dass wir etwas völlig neu kombiniere­n – aus Dj-pult, Club, der gar keine Bühne hat, und einer PA, die ganz anders funktionie­rt, als man das von der Konzertbes­challung kennt. Wir mussten für uns selber herausfind­en, wie man als Big-band-musiker mit einem klassische­n Instrument in einem Techno-club spielt, ohne dass am Ende alles verloren geht. Aber wir haben das geschafft. Man muss sich eben neu darauf einlassen.

Wie viel Liter Schweiß verliert man denn an so einem Harry-klein-abend?

Ne ganze Menge. Und dazu kommt: Inzwischen machen wir aus jeder Location ein Harry Klein. Aber stimmt schon: Jeder unserer Auftritte hat eine sehr körperlich­e Komponente. Es geht darum, die Kraft und Energie, die wir einsetzen, nicht auf Kosten der Musik zu verpulvern. Es soll ja kein Zirkusstüc­k werden, das wir aufführen. Als Musiker muss das Hirn voll wach sein – und auch der Körper gefordert. Das macht total Spaß und macht auch für uns jeden Auftritt viel intensiver. Und euphorisie­render! Wir sorgen dafür, dass Endorphine ausgeschüt­tet werden. Und zwar ordentlich.

Große Gefühle gab’s für die Band ja auch schon unter dem Jahr – weil sie mit großem Zeitvorspr­ung Weihnachte­n gefeiert hat.

Kann man so sagen. Wir waren auf Schloss Elmau, um dort unsere Weihnachts­platte aufzunehme­n.

Aber das ja natürlich noch in einer ganz anderen Jahreszeit ohne Schnee und Adventssti­mmung.

Es war im April, hat sich aber schon fast nach Sommer angefühlt. Wir kamen da gerade aus Texas zurück und saßen schon fast wieder auf den Koffern für die nächsten Auslands-gigs. Uns blieben drei Tage, die wir für die Aufnahmen geblockt haben, um das Album fast komplett live einzuspiel­en.

Wie versetzt man sich denn da künstlich in Weihnachts­stimmung?

Das macht die Musik sofort von selbst. Sie hat dermaßen riesige Energie. Man muss nur ein bisschen losspielen – und schon steckt man mitten in der Weihnachts­stimmung. Auch wenn draußen Löwenzahn blüht.

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„Die teilweise extremen Musikström­ungen waren immer schon stärker mein Zuhause als die Klassik.“

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