Sieg der Menschlichkeit
„The Kindness of Strangers – Kleine Wunder unter Fremden“von Lone Scherfig
In zynischen Zeiten, wenn die Welt scheinbar im Chaos versinkt, braucht es solche von Humanismus und Wärme geprägten Filme, die noch an das Gute im Menschen glauben. Das lebensbejahende Manhattan-märchen der ehemaligen dänischen Dogma-filmerin Lone Scherfig macht Hoffnung.
Als Clara (Zoe Kazan) feststellt, dass ihr Ehemann, Polizist Richard (Esben Smed), nicht nur sie, sondern auch die Kinder verprügelt, nimmt sie all ihren Mut zusammen, lädt ihre beiden kleinen Söhne Anthony und Jude eines Morgens ins Auto und flieht kurzentschlossen mit ihnen nach New York.
Doch der glitzernde Big Apple hat seine kalten Schattenseiten. Nachdem ihr Schwiegervater (David Dencik) sie abgewiesen hat, hält Clara sich und die Kinder mit herausgestellten Essensresten auf Hotelfluren über Wasser. Obdachlos geworden schlafen die drei erst im Auto, dann, als ihr Wagen abgeschleppt wird, in zugigen Hinterhöfen. Tagsüber wärmen sich die Gestrandeten in Bibliotheken auf. Die Furcht von Clara und ihren Söhnen vor dem gewalttätigen Vater, ihre Angst und Beklemmung sind immer wieder spürbar. In der Suppenküche begegnen sie der überarbeiteten Krankenschwester Alice (Andrea Riseborough), bevor sie versteckt unter dem Klavier von Timofeys (Bill Nighy) russischem Restaurant „Winter Palace“landen. Dort managt Außenseiter Marc (Tahar Rahim), ein eher menschenscheuer Ex-häftling, das Lokal.
Und hier trifft Clara schließlich auf Hilfsbereitschaft und Mitgefühl von Fremden, deren Leben ebenfalls aus den Fugen geraten ist. Das „Winter Palace“avanciert zum Ort der unerwarteten Begegnungen, zur Wärmestube dieses Films, in dem das Rettende für die Schicksalsgemeinschaft wächst. Der britische Schauspieler Bill Nighy sorgt dabei souverän für trockenen Humor.
Die treibende Kraft bei diesem großartigen Ensemblefilm mit seinen souverän verschachtelten Episoden sind weniger dramaturgische Zufälle als die Menschlichkeit und gegenseitige Anteilnahme der Figuren. Weil jede und jeder irgendwann solidarisch hilft, anderen die Hand reicht, lächelnd auf jemanden zugeht, lösen sich Dramen ohne sentimentale Rührseligkeit. Dabei sind Scherfigs Protagonisten keine Helden. Aber sie lernen sich selbst wieder zu vertrauen.
Wie in ihrem Erstling, der Tragikomödie „Italienisch für Anfänger“, besticht die Inszenierung nicht zuletzt durch ihre Dialoge. Denn Scherfig besitzt ein besonderes Talent, Gespräche ganz natürlich wirken zu lassen. Nach und nach erfährt der Zuschauer so die Geschichte hinter jedem einzelnen Drama.
Gleichzeitig fängt die Kamera Bilder ein von der senkrecht steilen Architektur Manhattans, von hoch oben und von ganz unten. Und so vermittelt Scherfigs New York das Gefühl, wie schnell sich jemand in der riesigen Metropole verlieren kann, wie leicht es ist abzustürzen. Doch am Ende erweist sich dieser Moloch als ein Universum, in dem Zuwendung, Mitgefühl und die Liebe über Härte, Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit triumphieren.