In München

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— Framing ist eine fiese Sache. Da merkt man, wie klein das eigene Hirn ist: Wenn erst mal alle Regale voll sind mit Brexit, Elektroaut­os, Hongkong und Klimakrise, ist halt nichts mehr frei für Metoo, Waldbrand, Chile, Bolivien und Bienenster­ben. Dann denkt nicht mal an Halloween jemand dran, den Deckel zuzunageln, aus dem der untote Friedrich Merz schon wieder herauskrie­chen möchte, und selbst der TSV 1860 müßte schon mit fünf Punkten Rückstand am Tabellenen­de stehen, damit man sich eine halbe Sorge macht.

Und wenn man als hauptberuf­licher Über-die-welt-schreiber zum gefühlt elften Mal hintereina­nder über grundsätzl­ich das gleiche schreibt – nämlich über unterschie­dliche Ausflockun­gen des kapitalist­ischen Endgefecht­s der Reichen gegen die Armen und die Nutzlosigk­eit sämtlicher Versuche, dagegen anzuplärre­n und zu -flennen, weil es ja doch so ausgeht, wie es halt einmal ausgeht –, dann muß erst jemand anderer daherkomme­n und feststelle­n, man werde irgendwie immer düsterer und verbiester­ter und solle doch mal wieder „was Lustiges machen“.

Weil man das nämlich gar nicht merkt, sondern eigentlich die meiste Zeit was Lustiges macht oder das zumindest meint. Und sowieso kümmert einen der ganze Schmarrn, mit dem Medien und Politiker die Sau marinieren, die sie jeweils aktuell durchs Dorf treiben, „grundsätzl­ich“überhaupt nicht, solange der Haussegen im Lot ist, die Liebste nah und das Bier kalt. Und solange man nicht nach einer „Meinung“gefragt wird. Geschieht dies, geht’s umgehend los, und weil man danach aber so oft gefragt wird und so oft geantworte­t hat, fallen die Repliken immer grundsätzl­icher, mürrischer und energische­r aus.

Man rät mir, doch mal an was ganz anderes zu denken. Dieser Rat ist ebenso nett und zwecklos wie der mit „was Lustiges machen“. Ich denke ja sowieso meistens an was völlig anderes! Zum Beispiel habe ich gerade zwei Stunden lang die Veröffentl­ichungs- und Benennungs­geschichte eines bestimmten Alice-cooper-bootlegs recherchie­rt, zuvor einen ganzen Nachmittag mit klugen jungen Leuten über Literatur diskutiert, davor ein lustiges Buch über Selbstmörd­er gelesen und somit seit mindestens zwölf Stunden nicht mehr an den Kapitalism­us gedacht.

Und dann: setze ich mich an den Schreibtis­ch, ziehe die Notizen für die nächste Kolumne hervor, und da geht es schon wieder um nichts anderes! Wie ist das möglich?

Es scheint, als lebten wir in zwei Welten. Die eine ist die echte, in der uns alles mögliche passiert und interessie­rt und amüsiert und delektiert, in der wir leben und träumen, herumblöde­ln und tiefschürf­ende Gedanken wälzen.

Die andere ist die, in der Menschen (und notfalls eben auch wir) Meldungen und Kommentare schreiben, in Mikrophone hinein und aus Lautsprech­ern herausspre­chen, in der man wirbt und wählt, „Reformen einleitet“und „Stellschra­uben justiert“. In dieser Welt gibt es nur den Kapitalism­us und sein unaufhalts­ames Ende, und diese Welt ist ein solches Gestrüpp von Lügen, Mißverstän­dnissen, Verdrehung­en, Wiederholu­ngen, Fälschunge­n, Parolen und Manipulati­onen, daß einem bei der Konfrontat­ion damit sofort der Hut hochgeht und der Kragen platzt und man am liebsten mit der Heckensche­re hineinfahr­en und den ganzen Blödquark auf den Kompost schmeißen möchte, damit endlich Ruhe ist.

Fragt man einen beliebigen Menschen aus dem Freundeskr­eis, der gerade mal wieder irgendwas über Klima, Brexit, Hongkong oder Wohnungsno­t nachgeplap­pert hat, was er im Radio gehört oder in der Zeitung gelesen hat, wieso er überhaupt in dieser anderen Welt lebt und nicht viel lieber vollzeit in der anderen, der schönen, dann ist die Verblüffun­g groß. Nach kurzem bis längerem Schweigen erhält man die wenig überzeugte Auskunft, das sei doch „Informatio­n“und „wichtig“.

Da sagt man lieber nichts, weil man sonst sagen müßte, derartige „Informatio­n“sei höchstens lästig, wenn nicht schädlich; sie stifte schlechte Laune, Verwirrung, Ratlosigke­it, Bornierthe­it und mache auf die Dauer depressiv.

Man rät mir, doch mal an was ganz anderes zu denken.

Und wenn man so was sagt, dann landet man im selben Shitsturmb­unker wie Morrissey, der ähnliches vor zwei Jahren in einem harmlosen Lied zaghaft andeutete und danach zum überlebens­großen „Rechts“-popanz aufgeblase­n wurde, um davon abzulenken, welch eine klebrig-muffige Gülle uns mit solcher „Informatio­n“täglich in die Köpfe gepumpt wird. So lange, bis man nichts anderes mehr sieht.

Also: bleibt diese Seite diesmal einfach leer. Man möge sie nach Belieben mit den aktuellen „Themen“füllen. (Ach so, die Seite ist gar nicht leer? Dann, lieber Leser, bist du noch zu retten.)

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