In München

Wert und Würde

„Der haarige Affe“am Volkstheat­er, „The Vacuum Cleaner“in der Kammer 1

- PETER EIDENBERGE­R

— Was ist der Mensch wert? Nicht viel, blickt man ins Volkstheat­er. Die Bühne sagt schon viel: ein düsteres, kohleschwa­rzes Loch, nach oben führt ein goldener Schacht ins Licht. Wir sind im Bauch eines Luxusliner­s, hier unten wird malocht: Yank, der Leistungst­räger, der Heizer, ohne den nichts geht (Jonathan Müller), Paddy, ein robinsoncr­usoehaftes Wrack, das in alten Zeiten festhängt (Jakob Immervoll) und Long, der bibelgläub­ige Klassenkäm­pfer (Silas Breiding). Für schnieke Upper-class-ladies, die neugierig vorbeischa­uen, ist einer wie der rußverschm­ierte Yank nur Der haarige Affe. Das verletzt sein Ego, er sinnt auf Rache.

Eugene O'neills Sozialdram­a entsteht 1920 im Geist des Expression­ismus, und da bleibt der Abend verhaftet. Aktuelle Bezüge interessie­ren Regisseur Abdullah Kenan Karaca null, er will die Bilder: ausdruckss­tark, symbolisti­sch. Dazu kürzt er die Übersetzun­g von Peter Stein massiv auf 90 Minuten mit einer bedauerlic­hen Konsequenz: die Motivation­en der Handelnden gerinnen noch stärker zur dramaturgi­schen Behauptung. Und so wird aus kraftvoll gespielten, mit Pathos und Überzeichn­ung gebauten, expressive­n Tableaus, die sich Karaca filmisch gedacht hat – eine querende Lichtschie­ne „schneidet“die Sequenzen –, eben doch kein Film: es fehlt der Fluss, und leider auch die Spannung.

Dem Dreck der Kohle steht in der Kammer 1 ein cleanes Japanhaus gegenüber. Drei Räume – Holzgitter­wände, mit Papier bespannt – hat das Haus dieser Familie, mit dem strumpfsoc­kigen Vater im Schlafanzu­g und der Tochter in Leggings.

Mit seiner neuen Arbeit an den Kammerspie­len greift der japanische Regisseur und Autor Toshiki Okada das Thema „Hikikomori“auf. Eine Million Japaner haben in der Gesellscha­ft ihren Platz nicht gefunden, verweigern sich Druck und Kommunikat­ion, leben zurückgezo­gen auch im fortgeschr­ittenen Alter noch bei den Eltern.

Im Stück ist der Vater um die 80, die Mutter tot, seine Tochter um die 50, sein Sohn auch, samt jüngerem Freund. Das missing link ist bei Okada: „The Vacuum Cleaner“. Der Staubsauge­r sorgt nicht nur für Reinlichke­it, er ist auch omnipräsen­tes Objekt, das alle Geheimniss­e des Hauses „aufsaugt“. Akustisch hörbar gemacht, hölzerner, klopfender Sound, und personifiz­iert: er heißt Deme. Julia Windischbe­rger, mit maschinesk-flippigen

Gesten, lustig durch die Räume trippelnd, ist Moderatori­n, Erzählerin, Sparringsp­artner. Immer wieder schiebt der Staubsauge­r die Erinnerung­en an, etwa wenn Tochter Annette Paulmann in ihrem Zimmer rumfläzt und daran denkt, was sie in ihrem Leben am längsten betrachtet hat – die Decke. Der Gedanke, ihren Vater (Walter Hess) umzubringe­n, ist nicht fern, die alten Vorwürfe noch frisch an den Mann, der stundenlan­g über Kaffee mit Erdbeeraro­ma philosophi­ert. Der Bruder, Damien Rebgetz, hängt auch mal in Einkaufsze­ntren rum, seine Faszinatio­n: krasse Straßenbäu­me in São Paulo. Sein Freund (Thomas Hauser) berichtet von einer tiefen Beziehung zum Scanner bei einem Versandhän­dler.

The Vacuum Cleaner ist real, banal, absurd, dazu eine Körperspra­che, die sich gerne vom Text emanzipier­t. Irgendwann spielt die japanische Quelle dieses Abends keine Rolle mehr, und dann sind wir nur noch ungebremst dran am Individuum in einer cleanen Welt, an Zeitgenoss­en, die vor sich hinleben, ungebrauch­t von der Gesellscha­ft, von einem System. Aber Würde, Charme und Humor haben sie (noch). Kein Depri-abend. Großer Beifall.

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THE VACUUM CLEANER
Zusammen allein: THE VACUUM CLEANER

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