Wert und Würde
„Der haarige Affe“am Volkstheater, „The Vacuum Cleaner“in der Kammer 1
— Was ist der Mensch wert? Nicht viel, blickt man ins Volkstheater. Die Bühne sagt schon viel: ein düsteres, kohleschwarzes Loch, nach oben führt ein goldener Schacht ins Licht. Wir sind im Bauch eines Luxusliners, hier unten wird malocht: Yank, der Leistungsträger, der Heizer, ohne den nichts geht (Jonathan Müller), Paddy, ein robinsoncrusoehaftes Wrack, das in alten Zeiten festhängt (Jakob Immervoll) und Long, der bibelgläubige Klassenkämpfer (Silas Breiding). Für schnieke Upper-class-ladies, die neugierig vorbeischauen, ist einer wie der rußverschmierte Yank nur Der haarige Affe. Das verletzt sein Ego, er sinnt auf Rache.
Eugene O'neills Sozialdrama entsteht 1920 im Geist des Expressionismus, und da bleibt der Abend verhaftet. Aktuelle Bezüge interessieren Regisseur Abdullah Kenan Karaca null, er will die Bilder: ausdrucksstark, symbolistisch. Dazu kürzt er die Übersetzung von Peter Stein massiv auf 90 Minuten mit einer bedauerlichen Konsequenz: die Motivationen der Handelnden gerinnen noch stärker zur dramaturgischen Behauptung. Und so wird aus kraftvoll gespielten, mit Pathos und Überzeichnung gebauten, expressiven Tableaus, die sich Karaca filmisch gedacht hat – eine querende Lichtschiene „schneidet“die Sequenzen –, eben doch kein Film: es fehlt der Fluss, und leider auch die Spannung.
Dem Dreck der Kohle steht in der Kammer 1 ein cleanes Japanhaus gegenüber. Drei Räume – Holzgitterwände, mit Papier bespannt – hat das Haus dieser Familie, mit dem strumpfsockigen Vater im Schlafanzug und der Tochter in Leggings.
Mit seiner neuen Arbeit an den Kammerspielen greift der japanische Regisseur und Autor Toshiki Okada das Thema „Hikikomori“auf. Eine Million Japaner haben in der Gesellschaft ihren Platz nicht gefunden, verweigern sich Druck und Kommunikation, leben zurückgezogen auch im fortgeschrittenen Alter noch bei den Eltern.
Im Stück ist der Vater um die 80, die Mutter tot, seine Tochter um die 50, sein Sohn auch, samt jüngerem Freund. Das missing link ist bei Okada: „The Vacuum Cleaner“. Der Staubsauger sorgt nicht nur für Reinlichkeit, er ist auch omnipräsentes Objekt, das alle Geheimnisse des Hauses „aufsaugt“. Akustisch hörbar gemacht, hölzerner, klopfender Sound, und personifiziert: er heißt Deme. Julia Windischberger, mit maschinesk-flippigen
Gesten, lustig durch die Räume trippelnd, ist Moderatorin, Erzählerin, Sparringspartner. Immer wieder schiebt der Staubsauger die Erinnerungen an, etwa wenn Tochter Annette Paulmann in ihrem Zimmer rumfläzt und daran denkt, was sie in ihrem Leben am längsten betrachtet hat – die Decke. Der Gedanke, ihren Vater (Walter Hess) umzubringen, ist nicht fern, die alten Vorwürfe noch frisch an den Mann, der stundenlang über Kaffee mit Erdbeeraroma philosophiert. Der Bruder, Damien Rebgetz, hängt auch mal in Einkaufszentren rum, seine Faszination: krasse Straßenbäume in São Paulo. Sein Freund (Thomas Hauser) berichtet von einer tiefen Beziehung zum Scanner bei einem Versandhändler.
The Vacuum Cleaner ist real, banal, absurd, dazu eine Körpersprache, die sich gerne vom Text emanzipiert. Irgendwann spielt die japanische Quelle dieses Abends keine Rolle mehr, und dann sind wir nur noch ungebremst dran am Individuum in einer cleanen Welt, an Zeitgenossen, die vor sich hinleben, ungebraucht von der Gesellschaft, von einem System. Aber Würde, Charme und Humor haben sie (noch). Kein Depri-abend. Großer Beifall.