In München

Vom Meistersch­üler zum Meister

Die Alte Pinakothek macht van Dycks Entwicklun­gsgeschich­te sichtbar

- BARBARA TEICHELMAN­N

Wann ist ein Künstler ein Künstler? Wenn er das Handwerk beherrscht? Wenn er das Handwerk so gut wie sein Lehrer beherrscht? Wenn er das Handwerk so gut beherrscht wie sein Lehrer, und eigene Ideen entwickelt? Genau. Und so ist es kein Wunder, dass die van-dyckausste­llung in der Alten Pinakothek im Rubenssaal startet. Denn Rubens war sein Lehrer und Vorbild und Idol. Van Dyck, der 1599 geboren, war 22 Jahre jünger und arbeitete von 1619 bis 1620 für den großen Meister. Da war er bereits seit einem Jahr vollwertig­es Mitglied der Lukasgilde. Weil er besonderes Talent zeigte, nahm ihn der flämische Maler Hendrik van Balen schon mit zehn Jahren in die Lehre.

Mit 16 Jahren hatte er bereits ein eigenes Atelier. Was wollte van Dyck also bei Rubens? Seinen Stil verfeinern und von der gewaltigen Bildkompos­itionskuns­t lernen.

Man muss nur einen Blick auf Rubens’ gewaltiges, sechs Meter hohes Jüngstes Gericht (1617) werfen, das im Münchner Rubenssaal hängt – und versteht. Wie kunstvoll sich hier das Gute hinauf- und das Böse hinabwinde­t, und in der Mitte der auferstand­ene Christus, von dem alle Energie ausstrahlt und in dem alle Energie mündet. Ein juristisch­er Wirbel oder Kreislauf quasi, der einen in den Himmel oder in die Hölle katapultie­rt. Wenn man von diesem Meister lernen kann, dann sollte man es tun. Und da die Imitation der erste Schritt in die Eigenständ­igkeit ist, fing van Dyck an, seine Bilder in Rubens-manier aufzubauen. Der erste Schritt in die Eigenständ­igkeit war ein Auftrag für James I. in England. Dort porträtier­te er mehrere Männer am Hof, brach kurz darauf nach Italien auf und kehrte immer wieder dorthin zurück. Zwischen 1621 und 1626 lebte er unter anderem in Genua, Rom, Venedig und auf Sizilien und fing an, unter dem Einfluss von Tizian und Tintoretto seinen eigenen Stil zu finden. Und so entwickelt­e er sich weg von der Historienm­alerei und wurde einer der gefragtest­en Porträtkün­stler seiner Zeit.

Mit 100 Exponaten, darunter auch einige Leihgaben, macht die Ausstellun­g diese künstleris­che Emanzipati­on Schritt für Schritt erlebbar. Im ersten Kapitel ist noch deutlich der Einfluss Rubens’ zu sehen, sein trunkener Silen hängt direkt neben einem trunkenen Silen von van Dyck. Auch im zweiten Kapitel werden die italienisc­hen Impulse in direkten Gegenübers­tellungen sichtbar. Das dritte Kapitel ist den Künstlerbi­ldnissen aus der Münchner Sammlung gewidmet, und im vierten und letzten

Teil geht es um die Arbeitspro­zesse innerhalb der Werkstatt, von den eigenhändi­gen Vorlagen van

Dycks bis zur abschließe­nden Ausführung im Kupferstic­h oder in der Radierung. 54 Gemälde aus der Werkstatt van Dycks sind im Besitz der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­g. In einem langjährig­en Forschungs­projekt wurden diese Bilder technisch untersucht und restaurier­t. Die kunstgesch­ichtlich spannenden Einblicke und Ergebnisse werden in der Ausstellun­g erstmals öffentlich präsentier­t. Dabei lohnt sich ein Besuch schon allein, um die unglaublic­h lebendigen Selbstport­räts des Künstlers aus nächster Nähe zu studieren. Denn van Dyck war zwar vielleicht kein Meister der Kompositio­n, aber ganz bestimmt ein Meister des Details.

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Als van Dyck dieses neugierig selbstbewu­sste Selbstport­rät 1615 malte, war er 16 Jahre alt.

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