Augen auf – nicht nur beim Friseur
Neue Bühnen-erlebnisse, die das Hirn weiten und das Herz härten
Vielleicht muss man Sweeney Todd tatsächlich als mörderischen Spaß auffassen, anders wäre die Geschichte kaum zu ertragen. Benjamin Baker, ein Friseur im Viktorianischen England, hegt brutale Rachegefühle. Eben erst ist er nach 15 Jahren im Exil unter neuem Namen wieder in seiner Heimatstadt London zurückgekehrt, angetrieben von Vergeltungsplänen gegenüber dem korrupten Richter Turpin, der sein Leben ruinierte. Todd eröffnet einen Barber Shop und verbündet sich mit der Betreiberin eines zwielichtigen Cafés. Die hat schon bald in blutiger Fülle Zutaten für ihre Fleischpasteten, nach denen sich die halbe Stadt verzehrt. Und Todd lacht sich ins Bärtchen. Stephen Sondheim hat aus dem Gruselstoff einst ein Musical gemacht, das nun 41 Jahre nach seiner Uraufführung am Broadway in dieser Stadt
Spuren hinterlässt. Nicht nur für Anhänger von Hipster-haartracht geeignet! (Deutsches Theater, ab 4.3.)
Auf den schlechten Geschmack gekommen? Dann kann man Horrorgelüsten mit Vater-verrat, Bruder-mord und Kindstötung im wohl schauerlichsten Stoff der Literaturgeschichte freien Lauf lassen: Karin Henkel bringt in ihrer ersten Resi-regiearbeit mit Medea die Frauenfigur zurück auf die Bühne, die eine der gewaltigsten Blutsspuren hinter sich zieht. Was die Herrscherin antrieb, entzieht sich allerdings einfachen Erklärungen. Medea ist nicht nur Täterin, sondern auch Opfer. Die Inszenierung, die auf dem Ur-text von Euripides aufbaut, bemüht sich, das verstörend Menschliche freizulegen. (Residenztheater, ab 21.2.)
Und dann ist da natürlich noch die schöne Salome, halb Mädchen noch, halb bereits begehrenswerte junge Frau. Ganz Galiläa schmachtet sie an. Nur einer will nichts von ihren Reizen wissen: Johannes der Täufer. Weil sie ihn nicht lebend haben kann, fordert sie seinen Kopf. Und kriegt ihn. Salome Tanz von Eyal Dadon, ein junger israelischer Choreograph, bringt ihre Geschichte, die schon Oscar Wilde zu einem Theaterstück und Richard Strauß zu seiner Oper inspirierte, als hemmungslos-ekstatischen Reigen auf die Ballettbühne. (Staatstheater am Gärtnerplatz, ab 28.2.)
Eine zittrige Hand, ein Schuss – und die Love Story nahm ein tödliches Ende. Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“kennt jeder, der im gelben Reclam-bändchen herumkritzelte. Doch wie hatte eigentlich die Angebetete das ganze Durcheinander gesehen – und verkraftet? Nina Wiener und Benjamin Truong drehen den Spieß um und beleuchten mit ihrer Stückentwicklung Werthers Lotte die Gegenseite. (Hochx, 27./28./29.2.)
Ein Höhepunkt des Brechtfestivals verspricht eine Nervenkühlung –
und Humor. Der Berliner Star-regisseur Armin Petras hat sich mit Švejk/ Schwejk des klassischen Schelmenstoffs vom „braven Soldaten“angenommen, der sich im Ersten Weltkrieg erfolgreich um den Fronteinsatz drückte. In Tschechien ist Jaroslav Haseks Roman Weltliteratur. Die Brecht-adaption „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“gilt als weniger gelungen. Nun holt Petras weit aus: Er teilt den Abend auf, mit einem ersten Block nach Hasek, einem zweiten nach Brecht und einem Finale, das von der tschechischen Autorin Petra Hulová geschrieben wurde. (Staatstheater Augsburg, Martini-park, ab 21.2.)
Ebenfalls das Zugticket in die Nachbargroßstadt rechtfertigt die Uraufführung Auf dem Paseo del Prado mittags Don Klaus, die gleich drei Biografie-stränge verwebt. Erzählt wird vor allem vom Gestapo-chef Klaus Barbie, der im besetzten Frankreich den schauerlichen Namen „Schlächter von Lyon“bekam. Später schaffte er es, sich über die „Rattenlinie“nach Südamerika abzusetzen und für verschiedene Militärdiktaturen in Bolivien zu arbeiten. Michel Cojot-goldberg, der Sohn eines einst von Barbie in Lyon deportierten Juden, reiste 1975 nach La Paz, um sich als Journalist auszugeben und den Schlächter zu stellen. Hinzu kommt die bewegte Vita von Monika Ertel, deren Familie ebenfalls nach Bolivien gezogen war und sich dort mit den Barbies angefreundet hatte. Später schloss sie sich der Guerilla an und tötete 1971 in Hamburg den Geheimdienstmann, von dem es hieß, er habe zuvor Che Guevara liquidiert. Starker Tobak. (Staatstheater Augsburg, Brechtbühne im Gaswerk, ab 29.2.)
Runterkommen vom schlimmen Trip kann man bei der garantiert schön irrwitzigen neuen René-pollesch-produktion Passing – It’s so easy, was schwer zu machen ist. Darin geht es um den Ausbruch aus banalen Alltäglichkeiten,
dargeboten mit der gebotenen Rasanz und mit Stars wie Thomas Schmauser im Rampenlicht. Pollesch scheut nicht davor zurück, Theoriediskurse in Gang zu setzten. Auf der Bühne gibt er dabei allerdings immer dem Affen Zucker und lässt die Darsteller komplexe Ideen wörtlich nehmen. (Kammerspiele, ab 29.2.)
Etwas härter packt die Kollegin Florentina Holzinger zu. Ihr Stück Étude for an Emergency, Composition for Ten Bodies and a Car will sie auf der Theaterbühne das nachstellen, was sonst in den Stunt-szenen den Kitzel von Actionfilmen ausmacht. Dabei geht es um Körper-beherrschung und extreme Disziplinierung. Und in der Oper könnte die Arie als schwieriger körperlicher Akt eine Entsprechung zum Stunt sein. Also sind neben Stuntfrauen auch Opernsängerinnen mit von der Partie. (Kammerspiele, ab 1.3.)
Bei der Verschriftlichung eines Stücks und der Verfestigung von Ideen kann man Lea Ralfs und Jan Geiger über die Schulter schauen. Der Großvater von Ralfs war ein Mann der Widersprüche – Nationalsozialist, pazifistischer Linker und frei-liebender Homosexueller. Schließt sich das aus, oder gibt das nur in der Zusammensetzung ein Bild? Wie ein Stück entsteht: Innuendo! arbeitet mit Auszügen aus alten Kriegstagebüchern und flüchtet sich schließlich in die Welt von Freddie Mercury. (Pathos, 23.2.)
Mit der Selbstfindung hat schließlich auch die sehenswerte Jugendproduktion Der Baron auf den Bäumen
nach dem Bestseller von Italo Calvino zu tun. Der zwölfjährige Cosimo möchte sich dem Zugriff seiner Eltern entziehen und beschließt für die Zukunft, nur noch auf Baumwipfeln zu wohnen. Durchgespielt werden dabei spannende Machtspiele, die nicht nur Jüngere fesseln dürften. (Schauburg, ab 21.2.)