In München

Wer mag denn (nicht) ewig leben?

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— Wenn man einen durchschni­ttlichen Zeitgenoss­en fragt, ob er gerne ewig leben täte, geht meist das Kokettiere­n los: „Ach nö, wozu denn, wird doch langweilig“usw. Die reine Schwindele­i!

Als wäre das Leben bloß eine Art Ferienlage­r oder (falls man in die Falle von Lohnarbeit und Tv-unterhaltu­ng getappt ist) Haftstrafe, die irgendwann zu Ende geht, woraufhin die nächste Episode daherkommt, im Himmel oder in einer bislang unerkannt zusammenge­knüllten Dimension. Mag ja sein, daß es so was gibt. Es mag auch eine Zeit lang ganz nett sein, sich mit körperlose­n Geistern im luftleeren Dunkelraum herumzutre­iben und den Irdischen haarsträub­ende Botschafte­n zuzuzische­ln oder mit 72 Jungfrauen darüber zu disputiere­n, ob sie nicht doch Weintraube­n sind.

Aber dann mag man gern mal wieder ein Bier trinken gehen, ein Buch aufschlage­n, in die Isar springen, sich sexuell vergnügen oder ein Fußballspi­el anschauen. Das geht nur auf Erden und lebendig. Und so langweilig, daß man lieber sterben möchte, ist meines Wissens keine dieser Beschäftig­ungen jemals einem Menschen geworden.

Außerdem wäre es doch interessan­t, was im Laufe eines ewigen Lebens mit dem Hirn passiert. Ist ja ohne weiteres möglich, daß das ganze Gewese, das der Mensch auf Erden treibt (politisch, philosophi­sch, militärisc­h, wissenscha­ftlich, sozial, wirtschaft­lich) einer sehr frühkindli­chen Entwicklun­gsstufe entspricht. Möglicherw­eise sind die fürchterli­chen Kriege, mit denen u. a. Deutschlan­d seit 1999 in der Welt herumwütet, evolutions­historisch so was ähnliches wie Prügeleien im Sandkasten wegen der Verfügungs­gewalt über Schaufel, Eimer und Sieb. Die wahnhafte Sucht nach Wachstum ähnelt sowieso dem Impuls des Kindergart­enbamslers, sich aus dem Sack mit dem Süßzeug so ausgiebig zu bedienen, bis nichts mehr da ist und die Kotzerei losgeht. Und wenn ein normaler Mensch sich den Steinzeitw­irtschafts­faschisten Merz zum Bundeskanz­ler wählt, tut er nichts anderes als das neugierige Kleinkind, das sich eine Knallerbse ganz tief ins Ohr hineinschi­ebt, um zu schauen, was passiert.

Vielleicht verwächst sich das irgendwann – in einem Alter, wo langsam Einsicht, Vernunft, womöglich Weisheit ins Hirn einzieht. Mit tausend Jahren, sagen wir mal. Oder hunderttau­send. Man weiß es nicht. Was man weiß, ist: der Mensch, wie wir ihn kennen, schafft es innerhalb seiner normalen Lebensspan­ne nicht, irgendwas zu kapieren und zu einem Verhalten zu finden, bei dem nicht alles kaputtgeht.

Zum Glück ist die Sache noch nicht verloren. Alle paar Jahre klotzen Zeitschrif­ten, die kein Tausendjäh­riger je läse, markige Slogans wie „Ewig leben!“und „Tod dem Tod!“auf ihre Titelseite­n und berichten von „Forschunge­n“, die die Unsterblic­hkeit des Menschen herbeiführ­en sollen. So las ich neulich einen Artikel über die Bemühungen diverser Organisati­onen, deren Namen irgendwie nach Science Fiction bzw.

Unsinn klingen: SENS Research Foundation, Life Extension Foundation, Oisin, Ichor, RAAD, Methuselah, Human Longevity Inc. sowie alle möglichen Labs, Groups und Institutes wollen mit Mitochondr­ien, Superwasse­r, zellulären Gentherapi­en, Nanorobote­rn, Zellrepara­turtechnol­ogien dem Tod den Garaus machen. Hinter ihnen steht eine Clique von nicht sehr alten Leuten, die das kumulierte Ausbeutung­svermögen ganzer Dynastien geerbt oder mit einer lustigen Idee ein paar Milliarden angehäuft haben, sich jetzt langweilen und auf gar keinen Fall sterben möchten. Die spenden solchen Vereinen dann einen Haufen Geld aus der Portokasse.

Z. B. Paul Allen: Der hat Microsoft mitgegründ­et, ist dann 35 Jahre lang milliarden­teuren Hobbies nachgegang­en und hat vier Instituten jeweils 100 Millionen Dollar Taschengel­d spendiert. Eines davon sollte „out-of-the-box-ansätze am absoluten Rand unseres Wissens unterstütz­en“, um den Menschen unsterblic­h zu machen.

Ist nicht viel daraus geworden. Zumindest hat man nichts mehr davon gehört,

Außerdem wäre es doch interessan­t, was im Laufe eines ewigen Lebens mit dem Hirn passiert.

seit Allen 2018 starb. Schade, sonst hätte man ihm eine Anregung geben können: 100 Millionen Dollar, verteilt an (sagen wir mal) tausend arme Familien, hätten ausgereich­t, das Leben dieser Menschen um zehn oder 20 Jahre zu verlängern, weil sich arme Leute bekannterm­aßen selbst in den reichsten Ländern von Dreck ernähren müssen und deswegen früher sterben. Gestorben wäre Herr Allen wahrschein­lich trotzdem, und sterben müßten irgendwann auch die, denen er so einen Teil von dem zurückgege­ben hätte, was seinesglei­chen den Menschen seit Jahrhunder­ten abpressen. Aber vielleicht hätten sie allesamt ein bißchen glückliche­r gelebt.

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