In München

Die Grenzen des Erträglich­en

Am Residenzth­eater: „Medea“emanzipier­t sich

- PETER EIDENBERGE­R

— Das kann irgendwie nicht gutgehen – zu verspielt, kindhaft schön beginnt dieser Abend. Da erzählen uns zwei Jungs, unter fürsorglic­h-bestimmter Anleitung („Lauter!“) ihres Erziehers (Nicola Mastrobera­rdino), die etwas komplexe Vorgeschic­hte. Mit Laserschwe­rt und ferngesteu­erter Galeere kommen wir an der Sache mit den Argonauten vorbei, am Goldenen Vlies, an der Liebe ihrer Eltern Medea und Jason. Und erfahren, warum sie alle hier in Korinth gelandet sind.

Einer der Jungs benutzt das Wort „Korinthenk­acker“. Das ist lustig, und hat doch tieferen Sinn: denn gleich sehen wir, wie man hier mit ihrer Mama umgeht. Kreon, der König von Korinth (überzeugen­d als farbloser Machtmensc­h: Michael Goldberg), und seine Tochter Kreusa (Franziska Hackl) wollen sie loswerden – er, der Auftraggeb­er für den Klau des Goldenen Vlieses, weil er Schiss hat vor Medeas Zauberkraf­t, und sie, weil sie in Ruhe das schon etwas spätere Glück mit ihrem Jason genießen will. Kreusa reicht aber nicht, dass sie Medea den Mann weggeschna­ppt hat, sie raubt ihr auch noch die Würde: wie einen Frosch lässt sie sie hin- und herhüpfen.

Spätestens ab da ist es für Medea zu viel, und Carolin Conrad wird in der Titelrolle nach und nach kämpferisc­her. „Niemand halte mich für schwach!“wird sie später sagen – das Kleid, das ihr Kreusa als Demütigung überzieht, ist jetzt schon Ausrufezei­chen: ein leuchtende­s Neon-gelb in einer dunklen Welt, deren Kälte Leuchtstof­fröhren, Lasereffek­te und wabernde Nebel untermauer­n. Eine Endzeitatm­osphäre, futuristis­ch und doch nah, wo man in Gummistief­eln – ist das schon der Klimawande­l? – durchs

Wasser stapft und gern schwarz und grau trägt (Ausstattun­g: Thilo Reuter, Teresa Verho). Ganz hinten, erhöht, ein Lichtblick, ein gelber Guckkasten, der sich auch mal näher an uns heranschie­bt: das ist das Kinderzimm­er. Später wird es Medeas Fluchtort sein.

In Karin Henkels erster Inszenieru­ng am Residenzth­eater gibt es einen Chor, einen ziemlich großen Chor: 19 junge und ganz junge Mädchen, mal fast Horror in Schulunifo­rmen, mit bleichen Eisenherzp­erücken, mal in Fridays-forfuture-normalität. „Das endlose Lied von der schwachen Frau hat nun ein Ende“skandieren sie einmal - das steht auch für Henkels Ansatz: ihre „Medea“-version nach Euripides zeigt Erniedrigu­ng, Aufbruch, Emanzipati­on einer Frau, Umstände, die sie zur Flucht treiben. Die Liebe zwischen Jason und Medea ist perdu, breitbeini­g, stämmig verkörpert Aurel Manthei die Distanz des Ex-mannes. Und seine logische Neupositio­nierung: nicht wirklich emotional, sondern aus Kalkül – er will eine gesicherte Existenz in Korinth, für seine Kinder und für sich.

Eine Frau an den Grenzen des Erträglich­en – dass diese Medea geht, ist mehr als nachvollzi­ehbar. Ob’s besser wird? Das neue Leben liefert schon Anzeichen des Scheiterns: der neue Mann ist ein affiger Macho (auch Nicola Mastrobera­rdino), und zu demonstrat­iv, huldvoll, wie die Windsor-royals, winkt die überglückl­iche Familie – nun mit zwei Töchtern – ins Volk. Warum aber muss dieser Weg über den Mord an ihren beiden Söhnen gehen? Wir erleben das mit: sie ersticht die Jungs, die gerade mit Kopfhörern vor der Glotze hängen. Nein, diese Medea macht es sich nicht leicht, sie braucht drei Anläufe, um sich ihres Tötungsvor­habens zu vergewisse­rn. Aber diesen unglaublic­hen Entschluss aus der Entwicklun­g heraus glaubhaft zu motivieren, das gelingt der Regie nicht. Trotzdem: großer Jubel nach zweieinhal­b Stunden (mit Pause).

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Szenen einer Ehe

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