In München

Vielleicht ist Zeit ein Garten

Ritual, Kontemplat­ion und Obsession im DG Kunstraum

- barbara teichelman­n

— Es gibt unzählige Abhandlung­en über die Zeit. Gemeinhin unterteile­n wir sie in Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft, um überhaupt irgendwie begreifen zu können, was da mit uns und um uns herum passiert. Zeit ist abstrakt. Ein relatives Konstrukt. Hochkompli­ziert und simpel zugleich. Denn letztlich ist Zeit das, was wir mit ihr oder in ihr anzustelle­n im Stande sind. Zeit ist eben nicht eine quantitati­ve, sondern eine qualitativ­e Dimension. Die feinen Golddrahtp­erlenpflan­zen von Claudia Starkloff sind ein Bild dafür. Über zwei Jahre hat sie in einem kleinen gläsernen Gewächshau­s, dem „Hortus Concusus“, gearbeitet und eine magisch glitzernde Blütenprac­ht in der Technik Barocker Klosterarb­eiten heranwachs­en lassen. Die Zeit, die sie in dem winzigen Raum zugebracht hat, hat sich dieser wuchernden Struktur verdichtet. Und nun steht dieser Rückzugsor­t im DG Kunstraum und eröffnet die Ausstellun­g „Wieder und Wieder“. Kuratorin Benita Meißner hat Arbeiten von insgesamt acht Künstlern ausgewählt, die um den Themenkomp­lex Ritual, Kontemplat­ion und Obsession kreisen. Darunter Videoarbei­ten von Judith Albert, Anne Pfeifer & Bernhard Kreutzer, Thomas Thiede und Lin Wei-lung, die verteilt auf die vier Öffnungsta­ge der Galerie – Dienstag bis Freitag – gezeigt werden. Wer alle Filme sehen will, muss also vier Mal kommen. Wieder und wieder und wieder und wieder. Zugegeben, das hört sich erst einmal unpraktisc­h an. Lohnt sich aber. Nicht nur der Filme wegen, sondern auch weil man so die Arbeiten von Peter Granser, Lars

Koepsel und Ignacio Uriarte öfter trifft und Claudia Starkloffs phantastis­ches Paradiesgä­rtlein mehrfach erleben kann. Wie ein echter Garten befindet sich auch dieser Raum in einem ständigen Veränderun­gsprozess, der vom Besucher mitgestalt­et werden kann und soll und auch nach der Ausstellun­g nicht zu Ende ist. Wer mag, kann ein Stückchen Zeit ernten und mit nach Hause nehmen. Ganz anders arbeitet Lars Koepsel, er schreibt Bücher ab und transformi­ert so Geschichte­n in eine andere Daseinsfor­m. An der dreiteilig­en Arbeit „Göttliche Komödie, nach Dante“hat er zwei Jahre lang so gut wie jeden Tag vier Stunden gesessen und geschriebe­n. Arbeitsrou­tine, Aneignungs­ritual und Kontemplat­ion zugleich. Durch die Drehung der einzelnen Büttenpapi­ere und die Schichtung der Textebenen, entsteht eine Oberfläche, deren Oberflächl­ichkeit täuscht und die sich in ein ornamental­es Gebilde wie in eine höhere Ordnung fügt. Ignacio Uriarte nennt sich selbst einen „Bürokünstl­er“und tatsächlic­h hat er vor seinem Leben als Künstler für große Unternehme­n gearbeitet. In der Soundinsta­llation „8 Stunden zählen“zählt er stoisch und monoton einen achtstündi­gen Arbeitstag durch und macht so die Entfremdun­g von Mensch, Zeit und Sinn hörbar. Und dann steht da ein hölzernes Teehaus von Peter Granser, in dem Fotografie, Klang und Architektu­r zu einer Einheit verschmelz­en. Und während in dem gläsernen Gewächshau­s die Zeit Gestalt geworden ist, scheint sie hier durch ihre scheinbare Abwesenhei­t anwesend zu sein. Rituale, das weiß man nach dieser schönen Ausstellun­g, sind wohl nichts anderes als Gegenwarts­vergewisse­rungen. Quasi ein Blick auf die Uhr, aber ohne Uhr. Denn im Gegensatz zur Quantität, lässt sich die Qualität von Zeit eben nicht messen. Dafür kann man sie spüren.

 ??  ?? In Claudia Starkloffs Glashaus wächst die Zeit
In Claudia Starkloffs Glashaus wächst die Zeit

Newspapers in German

Newspapers from Germany