Vielleicht ist Zeit ein Garten
Ritual, Kontemplation und Obsession im DG Kunstraum
— Es gibt unzählige Abhandlungen über die Zeit. Gemeinhin unterteilen wir sie in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, um überhaupt irgendwie begreifen zu können, was da mit uns und um uns herum passiert. Zeit ist abstrakt. Ein relatives Konstrukt. Hochkompliziert und simpel zugleich. Denn letztlich ist Zeit das, was wir mit ihr oder in ihr anzustellen im Stande sind. Zeit ist eben nicht eine quantitative, sondern eine qualitative Dimension. Die feinen Golddrahtperlenpflanzen von Claudia Starkloff sind ein Bild dafür. Über zwei Jahre hat sie in einem kleinen gläsernen Gewächshaus, dem „Hortus Concusus“, gearbeitet und eine magisch glitzernde Blütenpracht in der Technik Barocker Klosterarbeiten heranwachsen lassen. Die Zeit, die sie in dem winzigen Raum zugebracht hat, hat sich dieser wuchernden Struktur verdichtet. Und nun steht dieser Rückzugsort im DG Kunstraum und eröffnet die Ausstellung „Wieder und Wieder“. Kuratorin Benita Meißner hat Arbeiten von insgesamt acht Künstlern ausgewählt, die um den Themenkomplex Ritual, Kontemplation und Obsession kreisen. Darunter Videoarbeiten von Judith Albert, Anne Pfeifer & Bernhard Kreutzer, Thomas Thiede und Lin Wei-lung, die verteilt auf die vier Öffnungstage der Galerie – Dienstag bis Freitag – gezeigt werden. Wer alle Filme sehen will, muss also vier Mal kommen. Wieder und wieder und wieder und wieder. Zugegeben, das hört sich erst einmal unpraktisch an. Lohnt sich aber. Nicht nur der Filme wegen, sondern auch weil man so die Arbeiten von Peter Granser, Lars
Koepsel und Ignacio Uriarte öfter trifft und Claudia Starkloffs phantastisches Paradiesgärtlein mehrfach erleben kann. Wie ein echter Garten befindet sich auch dieser Raum in einem ständigen Veränderungsprozess, der vom Besucher mitgestaltet werden kann und soll und auch nach der Ausstellung nicht zu Ende ist. Wer mag, kann ein Stückchen Zeit ernten und mit nach Hause nehmen. Ganz anders arbeitet Lars Koepsel, er schreibt Bücher ab und transformiert so Geschichten in eine andere Daseinsform. An der dreiteiligen Arbeit „Göttliche Komödie, nach Dante“hat er zwei Jahre lang so gut wie jeden Tag vier Stunden gesessen und geschrieben. Arbeitsroutine, Aneignungsritual und Kontemplation zugleich. Durch die Drehung der einzelnen Büttenpapiere und die Schichtung der Textebenen, entsteht eine Oberfläche, deren Oberflächlichkeit täuscht und die sich in ein ornamentales Gebilde wie in eine höhere Ordnung fügt. Ignacio Uriarte nennt sich selbst einen „Bürokünstler“und tatsächlich hat er vor seinem Leben als Künstler für große Unternehmen gearbeitet. In der Soundinstallation „8 Stunden zählen“zählt er stoisch und monoton einen achtstündigen Arbeitstag durch und macht so die Entfremdung von Mensch, Zeit und Sinn hörbar. Und dann steht da ein hölzernes Teehaus von Peter Granser, in dem Fotografie, Klang und Architektur zu einer Einheit verschmelzen. Und während in dem gläsernen Gewächshaus die Zeit Gestalt geworden ist, scheint sie hier durch ihre scheinbare Abwesenheit anwesend zu sein. Rituale, das weiß man nach dieser schönen Ausstellung, sind wohl nichts anderes als Gegenwartsvergewisserungen. Quasi ein Blick auf die Uhr, aber ohne Uhr. Denn im Gegensatz zur Quantität, lässt sich die Qualität von Zeit eben nicht messen. Dafür kann man sie spüren.