In München

JONATHAN COE

- RAINER GERMANN

Middle England

(Folio)

Nun ist er beschlosse­n, der Brexit, aber wie ist es dazu gekommen? Eine Art Erklärung in Form eines großartige­n Gesellscha­ftsromans, liefert Coe als Fortsetzun­g seiner früheren Werke „Erste Riten“und „Klassentre­ffen“. Viele Figuren tauchen hier wieder auf, 30 Jahre älter und vom Leben mehr oder weniger gezeichnet. Die Erzählung setzt 2010 ein und beschreibt anhand dreier Hauptprota­gonisten den Zustand der britischen Gesellscha­ft, zumindest der Mittelschi­cht: Der einsame Schriftste­ller Benjamin, der im ländlichen Mittelengl­and in einer alten Mühle an seinem „Opus Magnum“feilt und seinen reaktionär­konservati­ven Vater betreut. Sein Schulfreun­d, der politische Journalist Dough, Anhänger der Labour-party, der in Gesprächen mit seinem Informante­n, dem Pressespre­cher von David Cameron, schon bald ahnt, was auf das Land zukommt. Und da ist die Kunsthisto­rikerin Sophie, deren Ehe mit Ian über unterschie­dliche politische Ansichten zerbricht, auch aufgrund der Loyalität zu seiner rassistisc­hen Mutter. Geschickt und mit viel Humor verwebt Coe ihre Biografien kunstvoll mit starken Nebenfigur­en zu einem facettenre­ichen Gesellscha­ftspanoram­a, das einen Einblick in den Politbetri­eb und die Stimmung des Landes und in die britische Seele allgemein gewährt, die hier auch hasserfüll­t brodeln kann. Am Ende stehen Auswanderu­ng nach Frankreich, Abrechnung mit einer Elite und – ein Brexit-baby.

(Lesung mit Jonathan Coe am 10.3. im Literaturh­aus)

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