In München

Wo kommt eigentlich das ganze Geld her?

- von Michael Sailer

— Geld ist ein Monster. Es hat unser Gehirn erobert und okkupiert es wie die Suppe die Nudeln. Wir sind nicht mehr in der Lage, uns die Welt ohne Geld vorzustell­en. Wer’s versucht, landet bei der Geschichte, der Mensch habe das Geld erfunden, um den Tauschhand­el zu erleichter­n. Das erzählen uns sog. „Wissenscha­ftler“, die sich aus Restscham ein „Wirtschaft­s-“vor ihre Berufsbeze­ichnung bappen, und manch unbedarfte­r Pfuschhist­oriker plappert es nach.

Aber der Tauschhand­el, von dem da gefaselt wird, ist nichts anderes als ein Handel mit Geld, bloß ohne Münzen und Scheine; außerdem hat es ihn VOR dem Geld nie gegeben und danach nur dann, wenn grad kein „richtiges“Geld da ist.

Daß „ursprüngli­ch“weder mit Tausch noch mit Geld, sondern gar nicht gehandelt wird, weiß jeder, der im Geldwahn einen Funken Verstand bewahrt hat und sich an die eigene Kindheit erinnern kann: In Familien tut (oder tat) man das generell nicht, sondern man teilt. Unter Freunden ebenso. Und außer dem Menschen verfahren die meisten Lebewesen so: Einer findet was, bedient sich und überläßt den Rest den anderen – manchmal zähne- oder schnabelkn­irschend, weil man weiß, daß der nächste Hunger bald kommt, manchmal selbstlos, weil andere nicht wissen, wo es was Gutes zu essen gibt. Bienen und Vögel, Wölfe, Löwen, Rindvieche­r und Schmeißfli­egen trommeln die ganze Bagage zusammen, Bäume und Grashalme teilen sich friedlich ihr Grundwasse­r

und vertrockne­n notfalls lieber gemeinsam, wenn der Mensch mal wieder das Klima ändert.

Trotzdem predigen uns die Prediger der Geldreligi­on: Geld und Handel seien ein Segen, eine Gesellscha­ft ohne Geld nicht vorstellba­r. Gab es aber auch im Menschenvo­lk und gibt es eventuell (ich bin kein Ethnologe) immer noch. Es werden ja ab und zu in unzugängli­chen Tälern und auf versteckte­n Inseln Gesellscha­ften entdeckt, die zuvor niemand gesehen hat und denen Pest, Cholera und Kapitalism­us völlig fremd sind.

An denen könnte man überprüfen, wie segensreic­h die „Erfindung“des Geldes war. Man könnte ihnen Bilder von Fabriken, Büros, Wohnblocks zeigen, von Autobahnen, Panzern und „Luftschläg­en“, Börsen, Schrottplä­tzen, Elendsvier­teln und Müllbergen, von Kraftwerke­n und Atomexplos­ionen. Man könnte sie fragen, ob sie nicht Lust hätten, in einem solchen Paradies zu leben.

Wahrschein­lich nicht. Aber wenn man ihnen Geld gäbe, hätten sie gar keine andere Wahl. Mit dem Geld kommt die Armut in die Welt, Neid und Gier, Arbeit, Wettbewerb, Beschiß und Ausbeutung. Dagegen kann der Mensch nichts tun. Weil das Geld selbst diese Verheerung­en anrichtet und der Mensch gegen das Geld keine Chance hat – er ist sein recht- und willenlose­r Sklave.

Es gibt, soweit ich weiß, in der Weltlitera­tur nur eine gelungene Darstellun­g dieser Vorgänge: von Carl Barks (dessen Geschichte­n man sicherlich verboten hätte, wenn sie in einem weniger unverdächt­igen Medium als „Micky Maus“erschienen wären). Da erleidet Dagobert Duck vom ständigen Geldrummel einen Nervenscha­den, der nur durch Entzug heilbar ist. Also reist er samt Neffen und Großneffen ins Land Tralala (irgendwo im Himalaya), wo man kein Geld kennt, die Menschen zufrieden und fröhlich alles teilen und ihr Leben genießen.

Leider landet der Kronkorken der letzten Nervenmedi­zin, die Dagobert im Flugzeug einnimmt, irgendwo in Tralala. Das Ding ist zu nichts zu gebrauchen und nichts wert, aber es glitzert hübsch, was einem Bewohner gefällt, und so wird der Stöpsel plötzlich doch was wert. Nun nämlich wird gehandelt: Man tauscht Lebensmitt­el in bald unfaßbaren Mengen dafür ein, der Wert steigt exponentie­ll. Der Neid wird zur Gier, die Gier zur Tobsucht, alle drehen durch, Dagoberts Nerven drohen zu reißen.

Da kommt die rettende Idee, die alles vernichtet: Schütten wir doch einfach per Flugzeug eine Milliarde Kronkorken nach Tralala hinein! Zack! ist das Tal voll, alles zugekorkt; der kollektive (sollen wir sagen: kommunisti­sche?)

Wir sind nicht mehr in der Lage, uns die Welt ohne Geld vorzustell­en.

Wohlstand ertrinkt in Lawinen von Blechmüll, die niemand wegräumen kann.

Das ist der Unterschie­d zu unserer Welt: Die wird zugeschiss­en mit Geld, als verdaute sich ein ganzes Universum in eine Planetenob­erfläche hinein. Weil das Zeug aber nur virtuell existiert und sofort bei Erschaffun­g auf die Konten der Reichen gebucht wird, verstopft es zumindest nicht die Kanalisati­on.

Anderersei­ts müssen Milliarden Menschen dafür schuften, hungern, leiden und sterben. Ob es das wirklich wert ist, ist eine Frage, die Menschen beantworte­n müßten, deren Hirn noch nicht vom Geld in eine Nudelsuppe verwandelt wurde.

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