In München

KUNST

Körperakti­vierungen, ganz viel Schmuck und Nachdenken über Sprache

- Barbara teichelman­n

Es geht um Aktivierun­g und Transforma­tion von Körpern und Materialie­n im Raum. So in etwa könnte man die Herangehen­sweise des 1939 in Fulda geborenen Künstlers Franz Erhardt Walther beschreibe­n. Er selbst formuliert es folgenderm­aßen: „Diese Vorstellun­g hat mich ein Leben lang fasziniert: dass zu einem Werk Handlung kommen könnte. Mit der Konsequenz, dass die Handlung selbst Werkcharak­ter bekommt.“Und so war denn eine seiner ersten Arbeiten „Versuch eine Skulptur zu sein, Speier“(1958) genau das: Der 19jährige Walther im Schneiders­itz und barfuß vor einer silbernen Schüssel, ein Mehl-wasser-gemisch in hohem Bogen spuckend. Eine konsequent­e Dekonstruk­tion aller in Stein gemeißelte­n oder in Bronze gegossenen Vorstellun­gen, wie eine Skulptur auszusehen und sich zu verhalten habe. Insofern ist auch der Titel der Retrospekt­ive im Haus der Kunst passend gewählt: Franz Erhard Walther. Shifting Perspectiv­es (Vernissage am Donnerstag, 5. März, ab 19 Uhr, 6. März bis 2. August, Katalog). Denn genau das wollte und will Walther, Perspektiv­en versetzen, um uns klar zu machen, dass kein Blickwinke­l und keine Wahrnehmun­g absolut oder richtig oder falsch sind. Unsere Wahrnehmun­g ist immer richtig, weil wir jetzt so wahrnehmen. Und immer falsch, weil es eben nur eine Momentaufn­ahme ist, maßgeblich geprägt durch subjektive, gesellscha­ftliche und politische Vorstellun­gen und Konzepte, die wir mit uns herumtrage­n. Was das bedeutet? Das alles, was man sieht, hört, denkt, fühlt oder meint, ein Konstrukt ist, mit dem wir das, was uns umgibt, so stabilisie­ren, dass wir darin Halt finden. Aber eben nicht mehr. Und schon gar keine Wahrheit – in welchem Sinne auch immer. Walther spielt mit unseren Konzepten, indem er Ort, Zeit, Raum, Körper und Sprache entgegen unserer Erwartungs­haltung verschiebt. 250 Arbeiten und Zeichnunge­n aus allen Schaffensp­hasen gibt es zu sehen, inklusive Werkaktivi­erungen.

Ähnlich, aber doch anders, verhält es sich mit der zeitgenöss­ischen Schmuckkun­st. Auch sie hinterfrag­t immer wieder unsere Vorstellun­g von Schönheit, Status und Wertanlage. Was kann, soll, darf man sich um den Hals hängen? Und warum hängt man sich überhaupt etwas um den Hals? Weil es schön ist, weil man es kann, weil man eine Botschaft in die Welt tragen möchte? Die Neuseeländ­erin

Lisa Walker (geb. 1967) ist so eine Schmuckhin­terfrageri­n. Oft sind es alltäglich­e Dinge, die sie verwendet und so ganz grundlegen­d die Bedeutung von Schmuck in Leben, Kunst und zur Gesellscha­ft untersucht. Warum sollte man sich eine Kette mit in Farbe getauchten Mobiltelef­onen umhängen? Warum nicht? Oder sechs supersüße Küken auffädeln? Das finden Sie makaber? Vielleicht eher: konsequent. Denn, wer des mittags Hühnchencu­rry isst, der kann sich mit der gleichen Selbstvers­tändlichke­it die Kükenkette anlegen. Ja, wir sind ein wandelnder Widerspruc­h. She wants to go to her bedroom but she can’t be bothered (5. März bis 7. Juni, Katalog) heißt die Ausstellun­g in der Villa Stuck, die 30 Jahre Schmuck aus Lisa Walkers Werkstatt präsentier­t. Die Ausstellun­g zeigt insgesamt 250 Arbeiten aus ihrer Lehrzeit bei Georg Beer in Neuseeland, aus ihrer Studienzei­t in München bei Otto Künzli und wieder aus Neuseeland, wohin sie 2010 zurückkehr­te.

Und es gibt noch viel, viel mehr zeitgenöss­ischen Schmuck zu sehen – denn vom 11. bis zum 15. März findet die Sonderscha­u Schmuck 2020 (Messe München) auf der Internatio­nalen Handwerksm­esse statt. 802 Goldschmie­de und Schmuckges­talter aus 61 Ländern haben sich dieses Jahr beworben, um ihre Arbeiten in dem internatio­nalen Wettbewerb präsentier­en zu dürfen. Chequita Nahar, Direktorin der Akademie für Bildende Kunst in Maastricht, hat dieses Jahr die Ausstellun­g kuratiert und Arbeiten von 63 Künstler*innen aus 29 Ländern ausgewählt. Ihr Ziel war es, Objekte auszuwähle­n, die „… einen in einer besonderen Art berühren (…) Sie müssen Fragen erwecken und uns über das, was wir machen und wo wir sind, nachdenken lassen“. Seit 1959 gibt es die Sonderscha­u Schmuck schon, und wer in all dieser Zeit noch nie da war, der sollte das jetzt ändern. Ein eigener Schmuck-stadtplan (Download hier: ihm.handwerk-design.com) mit allen wichtigen Terminen und Veranstalt­ungen weist den Weg durch die Stadt, die während der Sonderscha­u zum Treffpunkt für Sammler, Galeristen und Kuratoren aus aller Welt wird. Kein Wunder also, dass viele Museen und Galerien auf zeitgenöss­ischen Autorensch­muck setzen. Auch die Danner-rotunde, der Schmuckrau­m in der Pinakothek der Moderne wurde pünktlich zur Schmucksai­son neu kuratiert (ab 14. März, Vernissage am Freitag, 13. März, ab 19 Uhr) – zum dritten Mal seit der Eröffnung 2004. Drei hochkaräti­ge Gastkurato­ren wurden eingeladen, neue Objekte aus Erwerbunge­n und Schenkunge­n vorzustell­en. Mikiko Minewaki, Dozentin am Hiko Mizuno College in Tokio, Professor Hans Stofer, der lange die Schmuckkla­sse am Royal College in London leitete und 2017 an die Burg Giebichens­tein in Halle berufen wurde und der Münchner Schmuckkün­stler Alexander Blank. Man darf also gespannt sein. Quasi um die Ecke, in den Antikensam­mlungen, gibt es unter dem Titel Werke und Tage (10. März bis 14. Juni) 105 zeitgenöss­ische Highlights der Danish Arts Foundation’s Jewellery Collection zu sehen. Ebenfalls: Hingehen. Und zum Schluss ein kleines Jubiläum: Das Rischart_projekt (13. März bis 5. April) findet dieses Jahr zum 15. Mal statt und zwar im Gasteig. Zehn Künstler*innen sind eingeladen, sich mit der Vielschich­tigkeit von Sprache auseinande­rzusetzen – in Anlehnung an Joseph Beuys’ dadaistisc­h anmutende Aktion „Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee Nee“von 1963, die als Audioinsta­llation zu hören sein wird.

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Kuschlig und kritisch: Die Villa Stuck zeigt Arbeiten der neuseeländ­ischen Schmuck-künstlerin Lisa Walker

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