KUNST
Körperaktivierungen, ganz viel Schmuck und Nachdenken über Sprache
Es geht um Aktivierung und Transformation von Körpern und Materialien im Raum. So in etwa könnte man die Herangehensweise des 1939 in Fulda geborenen Künstlers Franz Erhardt Walther beschreiben. Er selbst formuliert es folgendermaßen: „Diese Vorstellung hat mich ein Leben lang fasziniert: dass zu einem Werk Handlung kommen könnte. Mit der Konsequenz, dass die Handlung selbst Werkcharakter bekommt.“Und so war denn eine seiner ersten Arbeiten „Versuch eine Skulptur zu sein, Speier“(1958) genau das: Der 19jährige Walther im Schneidersitz und barfuß vor einer silbernen Schüssel, ein Mehl-wasser-gemisch in hohem Bogen spuckend. Eine konsequente Dekonstruktion aller in Stein gemeißelten oder in Bronze gegossenen Vorstellungen, wie eine Skulptur auszusehen und sich zu verhalten habe. Insofern ist auch der Titel der Retrospektive im Haus der Kunst passend gewählt: Franz Erhard Walther. Shifting Perspectives (Vernissage am Donnerstag, 5. März, ab 19 Uhr, 6. März bis 2. August, Katalog). Denn genau das wollte und will Walther, Perspektiven versetzen, um uns klar zu machen, dass kein Blickwinkel und keine Wahrnehmung absolut oder richtig oder falsch sind. Unsere Wahrnehmung ist immer richtig, weil wir jetzt so wahrnehmen. Und immer falsch, weil es eben nur eine Momentaufnahme ist, maßgeblich geprägt durch subjektive, gesellschaftliche und politische Vorstellungen und Konzepte, die wir mit uns herumtragen. Was das bedeutet? Das alles, was man sieht, hört, denkt, fühlt oder meint, ein Konstrukt ist, mit dem wir das, was uns umgibt, so stabilisieren, dass wir darin Halt finden. Aber eben nicht mehr. Und schon gar keine Wahrheit – in welchem Sinne auch immer. Walther spielt mit unseren Konzepten, indem er Ort, Zeit, Raum, Körper und Sprache entgegen unserer Erwartungshaltung verschiebt. 250 Arbeiten und Zeichnungen aus allen Schaffensphasen gibt es zu sehen, inklusive Werkaktivierungen.
Ähnlich, aber doch anders, verhält es sich mit der zeitgenössischen Schmuckkunst. Auch sie hinterfragt immer wieder unsere Vorstellung von Schönheit, Status und Wertanlage. Was kann, soll, darf man sich um den Hals hängen? Und warum hängt man sich überhaupt etwas um den Hals? Weil es schön ist, weil man es kann, weil man eine Botschaft in die Welt tragen möchte? Die Neuseeländerin
Lisa Walker (geb. 1967) ist so eine Schmuckhinterfragerin. Oft sind es alltägliche Dinge, die sie verwendet und so ganz grundlegend die Bedeutung von Schmuck in Leben, Kunst und zur Gesellschaft untersucht. Warum sollte man sich eine Kette mit in Farbe getauchten Mobiltelefonen umhängen? Warum nicht? Oder sechs supersüße Küken auffädeln? Das finden Sie makaber? Vielleicht eher: konsequent. Denn, wer des mittags Hühnchencurry isst, der kann sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit die Kükenkette anlegen. Ja, wir sind ein wandelnder Widerspruch. She wants to go to her bedroom but she can’t be bothered (5. März bis 7. Juni, Katalog) heißt die Ausstellung in der Villa Stuck, die 30 Jahre Schmuck aus Lisa Walkers Werkstatt präsentiert. Die Ausstellung zeigt insgesamt 250 Arbeiten aus ihrer Lehrzeit bei Georg Beer in Neuseeland, aus ihrer Studienzeit in München bei Otto Künzli und wieder aus Neuseeland, wohin sie 2010 zurückkehrte.
Und es gibt noch viel, viel mehr zeitgenössischen Schmuck zu sehen – denn vom 11. bis zum 15. März findet die Sonderschau Schmuck 2020 (Messe München) auf der Internationalen Handwerksmesse statt. 802 Goldschmiede und Schmuckgestalter aus 61 Ländern haben sich dieses Jahr beworben, um ihre Arbeiten in dem internationalen Wettbewerb präsentieren zu dürfen. Chequita Nahar, Direktorin der Akademie für Bildende Kunst in Maastricht, hat dieses Jahr die Ausstellung kuratiert und Arbeiten von 63 Künstler*innen aus 29 Ländern ausgewählt. Ihr Ziel war es, Objekte auszuwählen, die „… einen in einer besonderen Art berühren (…) Sie müssen Fragen erwecken und uns über das, was wir machen und wo wir sind, nachdenken lassen“. Seit 1959 gibt es die Sonderschau Schmuck schon, und wer in all dieser Zeit noch nie da war, der sollte das jetzt ändern. Ein eigener Schmuck-stadtplan (Download hier: ihm.handwerk-design.com) mit allen wichtigen Terminen und Veranstaltungen weist den Weg durch die Stadt, die während der Sonderschau zum Treffpunkt für Sammler, Galeristen und Kuratoren aus aller Welt wird. Kein Wunder also, dass viele Museen und Galerien auf zeitgenössischen Autorenschmuck setzen. Auch die Danner-rotunde, der Schmuckraum in der Pinakothek der Moderne wurde pünktlich zur Schmucksaison neu kuratiert (ab 14. März, Vernissage am Freitag, 13. März, ab 19 Uhr) – zum dritten Mal seit der Eröffnung 2004. Drei hochkarätige Gastkuratoren wurden eingeladen, neue Objekte aus Erwerbungen und Schenkungen vorzustellen. Mikiko Minewaki, Dozentin am Hiko Mizuno College in Tokio, Professor Hans Stofer, der lange die Schmuckklasse am Royal College in London leitete und 2017 an die Burg Giebichenstein in Halle berufen wurde und der Münchner Schmuckkünstler Alexander Blank. Man darf also gespannt sein. Quasi um die Ecke, in den Antikensammlungen, gibt es unter dem Titel Werke und Tage (10. März bis 14. Juni) 105 zeitgenössische Highlights der Danish Arts Foundation’s Jewellery Collection zu sehen. Ebenfalls: Hingehen. Und zum Schluss ein kleines Jubiläum: Das Rischart_projekt (13. März bis 5. April) findet dieses Jahr zum 15. Mal statt und zwar im Gasteig. Zehn Künstler*innen sind eingeladen, sich mit der Vielschichtigkeit von Sprache auseinanderzusetzen – in Anlehnung an Joseph Beuys’ dadaistisch anmutende Aktion „Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee Nee“von 1963, die als Audioinstallation zu hören sein wird.