KINO
Von allem etwas
UNSERE GEGENWART etwas besser verstehen lässt sich, vielleicht, wenn man den Dokumentarfilm Für Sama gesehen hat. Waad al-kateab war 21, Studentin in Aleppo, als 2011 die Proteste gegen das Assad-regime begannen. Sie filmte mit ihrem Handy, erst recht, als die Truppen des Diktators (und die russische Luftwaffe) anfingen, ihre Heimatstadt zu bombardieren. Waad lernt den jungen Arzt Hamza kennen, die beiden heiraten, am 1. Januar 2016 kommt ihre Tochter Sama zur Welt. Ihr ist dieser Film gewidmet, der aus der Innensicht des Syrienkriegs erzählt. Im Dezember 2016 ist der Familie die Flucht nach London gelungen. Zusammen mit dem britischen Regisseur Edward Watts hat Waad al-kateab gut 300 Stunden Material in einen bewundernswerten Film verwandelt. Bester Dokumentarfilm in Cannes, bester Dokumentarfilm beim Europäischen Filmpreis, Publikumspreis
beim Filmfest München, „besonders wertvoll“. Ein erschütterndes Zeitdokument. (Ab 5.3., Premiere mit der Regisseurin Do, 5.3., City-kinos).
ALLERLEI KUPPELEI. 19. Jahrhundert. Ein englischer Landsitz. Emma Woodhouse (Anya Taylor-joy), jung, charmant, stylish, musikalisch, eigensinnig … steht im Zentrum der überschaubaren besseren Gesellschaft. Kein Mann ist ihr gut genug. So vergnügt sie sich damit, andere zu verkuppeln, allen voran ihre Freundin Harriet (Mia Goth). Doch Emmas Intrigen funktionieren nicht so richtig. Sie selbst muss sich auch allerlei Avancen erwehren, und übersieht dabei, beinahe, ihr eigenes Liebesglück … Emma ist eine romantische Gesellschaftskomödie
von Autumn de Wilde, nach Jane Austens Klassiker, zeitgemäß aufgefrischt, mit tollen Schauspieler*innen, schwelgerischer Ausstattung und viel augenzwinkerndem Amüsement. (Ab 5.3.)
NICHTS ALS DIE WAHRHEIT. Starschauspielerin Fabienne (Catherine Deneuve) hat soeben ihre arg geschönte Autobiographie vollendet, sehr zum Ärger ihrer Tochter Lumir (Juliette Binoche), die Fabienne keineswegs als liebevolle Mutter in Erinnerung hat, eher schon begierig darauf, stets im Rampenlicht zu stehen. Zusammen mit ihrem Mann Hank (Ethan Hawke), einem amerikanischen Tv-star, und der gemeinsamen Tochter kommt Lumir, längst eine sehr erfolgreiche Drehbuchautorin, aus New York nach Paris, um sie zur Rede zu stellen. Das Wiedersehen verläuft stürmisch, die Wogen glätten sich nur bedingt, zumal Fabienne gerade eine Rolle in einem Sci-fifilm übernommen hat, in dem es um eine komplizierte Mutter-tochter-beziehung
geht, dessen Regisseur sie als Diva aber mit der erforderlichen Verachtung straft. La Vérité – Leben und lügen lassen ist der erste fremdsprachige Film von Hirokazu Kore-eda („Like Father, like Son“, Shoplifters“), eine berührende, humorvolle Mutter-tochter-konfliktstory, in der er die beiden weiblichen Filmstars herrlich brillieren lässt. Ein Vergnügen. (Ab 5.3.)
ABSTINENZ, ASKESE, strenge Regeln, erkennt der fromme Klosterschüler Narziss (Sabin Tambrea), sind nichts für seinenjungenfreundgoldmund(jannis Niewöhner). Den hat sein Vater zum Studium ins Kloster Mariabronn geschickt. Der ungestüme und lebenslustige Goldmund aber sehnt sich nach der großen Freiheit, Narziss bestärkt ihn und lässt ihn ziehen. Goldmund lernt mit Lene (Henriette Confurius) die Liebe kennen, stürzt sich ins Abenteuer Leben. Jahre später begegnen sich die beiden Jugendfreunde wieder. „Unterm Rad“, „Siddharta“, „Steppenwolf“… Hermann Hesses schwäbisch-pietistische Romane waren einst Kult, Schullektüre (!) und erbauliche Orientierungshilfe bei den Mühen des Erwachsenwerdens. Jetzt hat Stefan Ruzowitzky Narziss und Goldmund fürs deutschsprachige Popkorn-kino adaptiert – und verwandelt die überhöhte Traumabearbeitung einer unerfüllten schwulen Liebe des 53-jährigen Hermann Hesse aus dem Jahre 1930 in ein hübsch bebildertes „Mittelalter“-phantasma mit bunten Kostümen und reichlich Sinnsprüchen des Originals. (Ab 12.3.)
EINE FRAGE DER EHRE. Wing-chungroßmeister Ip Man (Chinas Superstar Donnie Yen) reist, zusammen mit seinem Teenager-sohn Ip Ching ( Jim Liu), in die Staaten, um seinem Schüler Bruce Lee (Danny Chan) bei der Eröffnung eines Trainingscenters in San Francisco beizustehen. Die ungewöhnlichen Kampfkünste stoßen auf Unverständnis in der chinesischen Diaspora und bei den Marines. Der Karate-fan und Ausländerhasser Sergeant Barton (Scott Adkins) will ein für alle Mal klären, welche Martial Arts die besseren sind und welche Nation sie am besten beherrscht. Da muss der alte Ip schließlich nochmal selbst eingreifen. Ip Man 4: The Finale von Regisseur Wilson Yip bietet Martialarts-künste vom Feinsten, ein schönes Swinging Sixties-ambiente, und basiert auf wahren Ereignissen. (Ab 5.3.)
ANARCHIE, BERLIN-STYLE. Da prokrastiniert der Kleinkunst-macher Marc-uwe (Dimitrj Schaad). Ein vorlautes, auf Antikapitalismus gestricktes Känguru (gesprochen von seinem Erfinder Marc-uwe Kling), zieht ungefragt bei ihm ein. In der Zweier-wg häufen sich fortan abstruse Ereignisse. Gemeinsam wehren sie sich gegen die Machenschaften des rechtspopulistischen Immobilienhais Jörg Dwigs (Henry Hübchen), der den Kreuzberger Multi-kultikiez plattmachen will. Mit seinen Känguru-geschichten zeitigt Marc-uwe
Kling immense Erfolge auf der Bühne, in Buch- und Hörbuchform. Dani Levy („Alles auf Zucker!“) steuert Die Känguruchroniken bei. Die sind, weil es partout filmisch werden sollte, nicht ganz so amüsant wie die Texte. Was die Fans nicht stören dürfte. Das Beuteltier selbst: ist beeindruckend animiert. (Ab 5.3.)
GANZ LIEBER BÄR. Cia-agent JJ (Dave Bautista) hat einen Undercover-einsatz voll versiebt. Zur Strafe soll er in Chicago die Witwe eines Schwerverbrechers und ihre Tochter Sophie überwachen. Sophie kommt ihm auf die Schliche und zwingt ihn zu einem Deal: Sie verrät nichts, aber JJ muss ihr das Spionage-handwerk beibringen – und der verwandelt sich in kürzester Frist unfreiwillig zum Familienmitglied. Exwrestling-star Dave Bautista übt sich seit längerem als Charakterdarsteller. Neben Rollen in „Blade Runner 2049“und „James Bond: Spectre“passt da eine Komödie mit Kindern gut in den Plan. Der Spion von nebenan, Regie Peter Segal, ist eine nett-harmlose Mischung aus Action, Spionage und warmherzigem Familienfilm. (Ab 12.3.)
GANZ SCHÖN ALT AUS sehen die beiden besten Freundinnen Mia (Tiffany Haddish) und Mel (Rose Byrne), die sich mit einem selbst aufgebauten Kosmetikunternehmen gründlich überhoben haben. Da kommt Claire Luna (Salma Hayek), die Königin der Schönheitsbranche, mit einem verlockenden Übernahmeangebot wie gerufen. Lady Business könnte eine prima Komödie mit drei tollen Schauspielerinnen sein, wäre nur das Drehbuch halbwegs originell und hätte Regisseur Miguel Arteta ein Gespür fürs sichere Timing. (Ab 12.3.)
MAGIE ist praktisch, wenn man sie beherrscht. Zum 16. Geburtstag bekommen die beiden Elfen-brüder Ian und Barley einen Zauberstab geschenkt, mit dessen Hilfe sich ihr verstorbener Vater für einen Tag ins Leben zurückholen lässt. Aber: Es materialisieren sich nur
seine Beine – und die beiden Jungs müssen in den nächsten 24 Stunden ihren Fehler korrigieren, haben aber allergrößte Schwierigkeiten, in der schalen aufgeklärten Welt den Zugang nach Fantasien zu finden. Onward: Keine halben Sachen ist, wie gewohnt, eine sehr gelungene und amüsante Animations-abenteuer-komödie aus dem Hause Pixar. Berührend auch: Eigentlich geht’s ja um zwei Jungs, die allmählich lernen, den Verlust ihres Vaters zu verkraften. (Ab 12.3.)
Und außerdem
(siehe auch FILM-ABC):
GROSSE KUNST. 1906 malte sie ihre ersten abstrakten Bilder, und wurde so, lange vor Kandinsky, Malewitsch, Mondrian, Klee, Warhol eine Pionierin der abstrakten Kunst. Jenseits des Sichtbaren – Hilma af Klint
ist ein hinreißend gelungener Dokumentarfilm von Halina Dyrschka über die schwedische Malerin (1862 bis 1944), die erst vor wenigen Jahren dank einer großen Ausstellung Berühmtheit erlangte. (Ab 5.3., Regiegespräch am Do 5.3. im Theatiner).
OPAS KINO IST TOT. Edgar Reitz, Mitunterzeichner des Oberhausener Manifests, war einer der Wegbereiter des Neuen Deutschen Films. In ihrer formal radikalen Doku 800 mal einsam – Ein Tag mit dem Filmemacher Edgar Reitz begegnet Nachwuchsregisseurin Anna Hepp dem berühmten Regisseur der „Heimat“-filme. (Ab 5.3., Breitwand Kinos).
KEINE AHNUNG hat ein Junge über sein Woher und Wohin, als er unversehens auf einer einsamen Insel erwacht. Als am Horizont ein dunkles Ungetüm erscheint, ergreift er die Flucht, entdeckt ein Motorrad, eine Tasche mit nützlichen Dingen … und es gesellt sich ein kleiner gelber Vogel zu ihm. Away – Vom Finden des Glücks ist ein wunderschöner, parabelhafter Kinder-abenteuer-film, eine One-manschöpfung des lettischen Animationsfilm-aficionados Gints Zilbalodis. (Ab 5.3. Breitwand Kinos).
GEGEN RECHTS. Pressekonferenzen, Interviews, Krisengespräche. Die populäre Linken-politikerin Sahra Wagenknecht wird gefeiert, angefeindet, steht unter Druck. Für ihre Doku Wagenknecht hat sie Sandra Kaudelka zwei Jahre lang, bis zu ihrem Rückzug aus der Spitzenpolitik begleitet. (Ab 12.3.).
FLANEUR. Wenn sich einer auskennt in New York, dann ist es Matt Green, der sich auf seinen Spaziergängen sämtliche Straßen New Yorks erwandert hat. Sein Freund Jeremy Workman hat ihn begleitet. New York – Die Welt vor deinen Füßen ist das vergnüglich unterhaltsame Ergebnis dieser entschleunigten Grand Tour. (Ab 12.3.)
PLEASURE SEEKERS. Suzi Quatro, Rocksängerin, Bassistin, Schauspielerin definierte das Image der Frau im Rock’n’roll völlig neu – und wurde zum Vorbild für unzählige Musikerinnen. Liam Firmagers Doku Suzi Q liefert rare Konzertmitschnitte, Interviews mit Freunden und Kolleg*innen, schildert die Ups and Downs einer langen Karriere. (Preview im Arri, am Fr 13.3. mit Suzi Quatro!)
IM ABSEITS. Ben und seine Familie müssen umziehen, weil ihr Dorf dem Braunkohletagebau zum Opfer fällt. In der neuen Schule wie auf dem Fußballplatz ist Ben erst mal der Außenseiter. Nicht anders als Tariq, ein geflüchteter Junge aus Syrien. Zu weit weg, ein Abenteuerfilm von Sarah Winkenstette, erzählt eine Geschichte über den Verlust von Heimat und die Kraft von Freundschaft. Für die ganze Familie. (Ab 12.3.).