Blutspende ohne Blinde
Rotes Kreuz lehnt Sehbehinderte und Gehörlose meist ab
(dg) - Blinde und Gehörlose werden in Baden-Württemberg in den meisten Fällen vom Blutspenden ausgeschlossen. Das ergab eine Umfrage der „Schwäbischen Zeitung“unter Kliniken im Land. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bestätigte diese Praxis. Zwar würden mancherorts auch Blinde und Gehörlose zum Blutspenden zugelassen, sagte eine DRK-Sprecherin, oftmals hätten die verantwortlichen Ärzte aber rechtliche Bedenken.
Vor allem geht es um vertrauliche Selbstauskünfte, die Blutspender über Fragebögen geben. Dies müsse zwingend ohne Hilfe Dritter geschehen, was bei Blinden nicht möglich sei. Das Sozialministerium in Stuttgart widersprach dieser Sichtweise. Schon nach dem Gleichstellungsgrundsatz dürfe niemand Behinderte von der Blutspende ausschließen. Auch Blinden- und Gehörlosen-Vereinigungen reagieren empört auf die Praxis des DRK.
- Es geht um Vertrauen und Misstrauen. Um Gesetz und Gesetzesauslegung. Um Unwissenheit und Unsicherheit. Es geht um die Frage, wie viel wir für die Eingliederung behinderter Menschen in die Gesellschaft leisten wollen, an Arbeit und an Geld. Und nicht zuletzt geht es um Selda Arslantekin. Die sagt: „Ich habe mich noch nie so schrecklich gefühlt.“
Selda Arslantekin wohnt in Leutkirch, aufgewachsen ist die 44-Jährige in Bad Wurzach, sie spricht unprätentiös und klar, eine aufgeschlossene Frau. Was Selda Arslantekin von den meisten anderen Menschen unterscheidet: Sie ist blind. Ihre Sehkraft beträgt gerade einmal 0,02 Prozent. Neulich lud ein Freund sie ein, doch einmal zum Blutspenden beim Deutschen Roten Kreuz in Leutkirch mitzukommen. Zusammen mit ihrer 19-jährigen Tochter nahm sie das Angebot an. Und wurde in ihrem Vorhaben abrupt gestoppt.
Gefahr der Falschangaben?
Eine Dame vom DRK unterbreitete ihr direkt: „Sie sehen schlecht? Das Problem hatten wir schon einmal. Sie können bei uns kein Blut spenden.“Vorsichtshalber rief die Frau die leitende Ärztin, die die Ablehnung aber bestätigte. Ein schreckliches Gefühl für Arslantekin, die sich fassungslos die Begründung anhörte: Bei dem zum Blutspenden nötigen Fragebogen ginge es um vertrauliche Dinge, die der Blutspender selber beantworten müsse. Eine andere Person, auch ein Arzt, dürfe den Bogen nicht ausfüllen, weil in einem Gespräch die Gefahr der Falschangaben durch den Blutspender bestehe. Selda Arslantekin, bis heute über diese Begründung bestürzt, sagt: „Aber jeder Mensch kann doch lügen. Auch ein Sehender, wenn er den Bogen ausfüllt.“
Kein Einzelfall
Die Leutkircherin ist nicht die Einzige, die diese oder eine andere Erklärung hören musste. Allein in ihrer Blindengruppe stieß sie auf ähnliche Erfahrungen – andere Blinde dagegen wurden problemlos beim Blutspenden angenommen. Überraschende Antworten erhielt die „Schwäbische Zeitung“von großen Kliniken im Land. Vom Klinikum Stuttgart etwa: „Blinde sind bei uns vom Blutspenden mehr oder weniger ausgeschlossen“, so eine Sprecherin. Nur wenn sie noch in der Lage seien, den Fragebogen eigenständig zu lesen und auszufüllen, sei eine Blutspende möglich. Anders: Wer nur ein bisschen blind ist, darf spenden, alle anderen nicht.
Beim Uniklinikum Freiburg heißt es: „Wenn eine blinde Person unbedingt Blut spenden will, machen wir es möglich.“Ein Willkommen klingt anders. Das Uniklinikum Ulm, es bezieht wie 90 Prozent aller Krankenhäuser im Land sein Blut direkt vom DRK-Dienst, lässt Blinde auch nicht zu. Baden-Württemberg bildet keine Ausnahme. Neulich machte die Uniklinik Essen Schlagzeilen, weil Blinde – und auch Gehörlose – dort kein Blut spenden durften. Damals schaltete sich der Landtag ein und rügte die Diskriminierung Behinderter. Angesichts der hiesigen Zustände erscheint auch eine Reaktion des Landtages in Stuttgart überfällig. Zumal die Rechtslage für sich spricht.
Wer erstmals Blut spenden will, muss zunächst ein einführendes Gespräch mit einem Arzt beim Spendedienst führen. Danach füllt die Person einen Fragebogen aus, in dem es um Krankheiten, den Lebenswandel und anderes geht. Schließlich muss der sogenannte vertrauliche Selbstausschluss ausgefüllt werden, in dem die Person erklärt, dass das gespendete Blut auch tatsächlich verwendet werden darf. Mancher Blinde oder auch Gehörlose scheitert an Gespräch oder Fragebogen, in Stuttgart, Ulm und anderswo ist der vertrauliche Selbstausschluss das K.-o.-Kriterium. Dieser müsse zwingend ohne Hilfe vom Blutspender ausgefüllt werden, „das gibt der Gesetzgeber vor“, sagt die Sprecherin vom Klinikum Stuttgart. Stimmt nicht, meint das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren (MfAS).
Klare Aussage im Grundgesetz
„Wir haben da eine ganz klare Position“, sagt eine MfAS-Sprecherin. „Der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes bedingt, dass niemand aufgrund einer Behinderung vom Blutspenden ausgeschlossen werden darf.“Auch Fragebogen und vertrauliche Selbstauskunft, die in der Verantwortung der Bundesärztekammer liegen, seien keine Hürde. „Beides kann mithilfe eines Arztes ausgefüllt werden. Ärzte unterliegen schließlich der Schweigepflicht“, so die MfAS-Sprecherin. Andernfalls dürften ja auch Analphabeten kein Blut spenden.
Verblüffenderweise sieht es das Deutsche Rote Kreuz ähnlich: „Wir haben immer wieder auch blinde Blutspender, die dann vom Arzt vor Ort entsprechende Hilfen bekommen“, sagt Stefanie Fritzsche, Sprecherin des DRK-Blutspendedienstes. Und in einem DRK-Heft von 2013 heißt es unmissverständlich: „Blinde Menschen können selbstverständlich ebenso zur Blutspende zugelassen werden wie sehende Menschen.“In solchen Fällen müsse ein Arzt den Fragebogen ausfüllen. Und: „Der notwendige vertrauliche Selbstausschluss wird unter Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht mündlich behandelt und vom Arzt im Auftrag des Blinden durchgeführt.“Wieso aber sieht die Praxis dann in der Regel anders aus?
„Ob eine blinde Person Blut spenden darf, liegt am Ende in der Verantwortung des Arztes vor Ort“, sagt Stefanie Fritzsche. Offenbar scheuen sich Ärzte, diese Verantwortung zu übernehmen. Manchmal mag auch Unwissenheit über die Rechtslage vorliegen. Es gibt aber noch einen Grund. Der Sprecher einer großen Klinik sagt: „Wir wollen selbstverständlich niemanden diskriminieren.
„Ich empfinde es als diskriminierend und abwertend, wenn Gehörlose kein Blut spenden dürfen.“ Daniel Büter, Geschäftsführer Landesverband der Gehörlosen
Aber Blutspende blinder Personen bedeutet für uns einen großen Aufwand.“Verbunden mit Kosten.
Sätze, die Selda Arslantekin nur wehtun können. „Wir reden in Deutschland viel von Inklusion. Dann ist es sehr enttäuschend für mich, wenn so etwas passiert.“Harald Eigler, Geschäftsführer der Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenhilfe, pflichtet bei: Der Ausschluss blinder Menschen von der Blutspende sei „eine eindeutige Ausgrenzung und verstößt gegen die UN-Behindertenrechtskonvention“.
Empört reagiert auch der Landesverband der Gehörlosen: „Ich empfinde es als diskriminierend und abwertend, wenn Gehörlose kein Blut spenden dürfen“, sagt Geschäftsführer Daniel Büter. Geradezu lächerlich sei „der bereits angewendete Vorwand, beim Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern sei ein vertrauliches Ärztegespräch nicht möglich“. Büter weiter: „Die Ablehnung von Gehörlosen bei Blutspenden erweckt den Eindruck, als ob die absurde Vorstellung existiere, Gehörlosigkeit sei eine ansteckende Krankheit.“
Gegen solche Vorstellungen wehrt sich auch die UN, die die Inklusion, die Eingliederung behinderter Menschen, als bedeutende Aufgabe ansieht. In diesem Sinne steht auf der Netzseite von Gerd Weimer, Landes-Behindertenbeauftragter, derzeit nicht erreichbar: „Baden-Württemberg soll Inklusionsland Nummer eins in Deutschland werden.“Trotz aller Bemühungen ist es bis dahin offenbar noch ein langer Weg.
Nach dem Vorfall in Leutkirch und den Anfragen der „Schwäbischen Zeitung“will der DRK-Blutspendedienst prüfen, ob man die Fragebögen auch in Blindenschrift auflegt. Frühere Vorstöße seien gescheitert, an den Kosten. Auch will sich das DRK bei Selda Arslantekin melden, um sie zu ermutigen, erneut die Blutspende in Leutkirch aufzusuchen. Allerdings ohne Garantie: „Die letzte Entscheidung, ob sie zum Blutspenden zugelassen wird, liegt noch immer beim Arzt vor Ort“, sagt DRKSprecherin Fritzsche. Für Selda Arslantekin ist das keine Lösung: „Gibt es keine Zusicherung, müsste ich mich wieder dieser Tortur aussetzen und eine mögliche Diskriminierung erneut in Kauf nehmen.“
Was das bedeutet, hat sie bei ihrem ersten Anlauf zum Blutspenden erlebt. Eine DRK-Mitarbeiterin habe damals gesagt: „Verstehen Sie uns nicht falsch: Ihr Blut ist nicht schlechter als das anderer.“Angefühlt hat es sich für die blinde Frau aber trotzdem so.