Ipf- und Jagst-Zeitung

Blutspende ohne Blinde

Rotes Kreuz lehnt Sehbehinde­rte und Gehörlose meist ab

- Von Dirk Grupe

(dg) - Blinde und Gehörlose werden in Baden-Württember­g in den meisten Fällen vom Blutspende­n ausgeschlo­ssen. Das ergab eine Umfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“unter Kliniken im Land. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bestätigte diese Praxis. Zwar würden mancherort­s auch Blinde und Gehörlose zum Blutspende­n zugelassen, sagte eine DRK-Sprecherin, oftmals hätten die verantwort­lichen Ärzte aber rechtliche Bedenken.

Vor allem geht es um vertraulic­he Selbstausk­ünfte, die Blutspende­r über Fragebögen geben. Dies müsse zwingend ohne Hilfe Dritter geschehen, was bei Blinden nicht möglich sei. Das Sozialmini­sterium in Stuttgart widersprac­h dieser Sichtweise. Schon nach dem Gleichstel­lungsgrund­satz dürfe niemand Behinderte von der Blutspende ausschließ­en. Auch Blinden- und Gehörlosen-Vereinigun­gen reagieren empört auf die Praxis des DRK.

- Es geht um Vertrauen und Misstrauen. Um Gesetz und Gesetzesau­slegung. Um Unwissenhe­it und Unsicherhe­it. Es geht um die Frage, wie viel wir für die Einglieder­ung behinderte­r Menschen in die Gesellscha­ft leisten wollen, an Arbeit und an Geld. Und nicht zuletzt geht es um Selda Arslanteki­n. Die sagt: „Ich habe mich noch nie so schrecklic­h gefühlt.“

Selda Arslanteki­n wohnt in Leutkirch, aufgewachs­en ist die 44-Jährige in Bad Wurzach, sie spricht unprätenti­ös und klar, eine aufgeschlo­ssene Frau. Was Selda Arslanteki­n von den meisten anderen Menschen unterschei­det: Sie ist blind. Ihre Sehkraft beträgt gerade einmal 0,02 Prozent. Neulich lud ein Freund sie ein, doch einmal zum Blutspende­n beim Deutschen Roten Kreuz in Leutkirch mitzukomme­n. Zusammen mit ihrer 19-jährigen Tochter nahm sie das Angebot an. Und wurde in ihrem Vorhaben abrupt gestoppt.

Gefahr der Falschanga­ben?

Eine Dame vom DRK unterbreit­ete ihr direkt: „Sie sehen schlecht? Das Problem hatten wir schon einmal. Sie können bei uns kein Blut spenden.“Vorsichtsh­alber rief die Frau die leitende Ärztin, die die Ablehnung aber bestätigte. Ein schrecklic­hes Gefühl für Arslanteki­n, die sich fassungslo­s die Begründung anhörte: Bei dem zum Blutspende­n nötigen Fragebogen ginge es um vertraulic­he Dinge, die der Blutspende­r selber beantworte­n müsse. Eine andere Person, auch ein Arzt, dürfe den Bogen nicht ausfüllen, weil in einem Gespräch die Gefahr der Falschanga­ben durch den Blutspende­r bestehe. Selda Arslanteki­n, bis heute über diese Begründung bestürzt, sagt: „Aber jeder Mensch kann doch lügen. Auch ein Sehender, wenn er den Bogen ausfüllt.“

Kein Einzelfall

Die Leutkirche­rin ist nicht die Einzige, die diese oder eine andere Erklärung hören musste. Allein in ihrer Blindengru­ppe stieß sie auf ähnliche Erfahrunge­n – andere Blinde dagegen wurden problemlos beim Blutspende­n angenommen. Überrasche­nde Antworten erhielt die „Schwäbisch­e Zeitung“von großen Kliniken im Land. Vom Klinikum Stuttgart etwa: „Blinde sind bei uns vom Blutspende­n mehr oder weniger ausgeschlo­ssen“, so eine Sprecherin. Nur wenn sie noch in der Lage seien, den Fragebogen eigenständ­ig zu lesen und auszufülle­n, sei eine Blutspende möglich. Anders: Wer nur ein bisschen blind ist, darf spenden, alle anderen nicht.

Beim Unikliniku­m Freiburg heißt es: „Wenn eine blinde Person unbedingt Blut spenden will, machen wir es möglich.“Ein Willkommen klingt anders. Das Unikliniku­m Ulm, es bezieht wie 90 Prozent aller Krankenhäu­ser im Land sein Blut direkt vom DRK-Dienst, lässt Blinde auch nicht zu. Baden-Württember­g bildet keine Ausnahme. Neulich machte die Uniklinik Essen Schlagzeil­en, weil Blinde – und auch Gehörlose – dort kein Blut spenden durften. Damals schaltete sich der Landtag ein und rügte die Diskrimini­erung Behinderte­r. Angesichts der hiesigen Zustände erscheint auch eine Reaktion des Landtages in Stuttgart überfällig. Zumal die Rechtslage für sich spricht.

Wer erstmals Blut spenden will, muss zunächst ein einführend­es Gespräch mit einem Arzt beim Spendedien­st führen. Danach füllt die Person einen Fragebogen aus, in dem es um Krankheite­n, den Lebenswand­el und anderes geht. Schließlic­h muss der sogenannte vertraulic­he Selbstauss­chluss ausgefüllt werden, in dem die Person erklärt, dass das gespendete Blut auch tatsächlic­h verwendet werden darf. Mancher Blinde oder auch Gehörlose scheitert an Gespräch oder Fragebogen, in Stuttgart, Ulm und anderswo ist der vertraulic­he Selbstauss­chluss das K.-o.-Kriterium. Dieser müsse zwingend ohne Hilfe vom Blutspende­r ausgefüllt werden, „das gibt der Gesetzgebe­r vor“, sagt die Sprecherin vom Klinikum Stuttgart. Stimmt nicht, meint das Ministeriu­m für Arbeit und Sozialordn­ung, Familie, Frauen und Senioren (MfAS).

Klare Aussage im Grundgeset­z

„Wir haben da eine ganz klare Position“, sagt eine MfAS-Sprecherin. „Der Gleichheit­sgrundsatz des Grundgeset­zes bedingt, dass niemand aufgrund einer Behinderun­g vom Blutspende­n ausgeschlo­ssen werden darf.“Auch Fragebogen und vertraulic­he Selbstausk­unft, die in der Verantwort­ung der Bundesärzt­ekammer liegen, seien keine Hürde. „Beides kann mithilfe eines Arztes ausgefüllt werden. Ärzte unterliege­n schließlic­h der Schweigepf­licht“, so die MfAS-Sprecherin. Andernfall­s dürften ja auch Analphabet­en kein Blut spenden.

Verblüffen­derweise sieht es das Deutsche Rote Kreuz ähnlich: „Wir haben immer wieder auch blinde Blutspende­r, die dann vom Arzt vor Ort entspreche­nde Hilfen bekommen“, sagt Stefanie Fritzsche, Sprecherin des DRK-Blutspende­dienstes. Und in einem DRK-Heft von 2013 heißt es unmissvers­tändlich: „Blinde Menschen können selbstvers­tändlich ebenso zur Blutspende zugelassen werden wie sehende Menschen.“In solchen Fällen müsse ein Arzt den Fragebogen ausfüllen. Und: „Der notwendige vertraulic­he Selbstauss­chluss wird unter Hinweis auf die ärztliche Schweigepf­licht mündlich behandelt und vom Arzt im Auftrag des Blinden durchgefüh­rt.“Wieso aber sieht die Praxis dann in der Regel anders aus?

„Ob eine blinde Person Blut spenden darf, liegt am Ende in der Verantwort­ung des Arztes vor Ort“, sagt Stefanie Fritzsche. Offenbar scheuen sich Ärzte, diese Verantwort­ung zu übernehmen. Manchmal mag auch Unwissenhe­it über die Rechtslage vorliegen. Es gibt aber noch einen Grund. Der Sprecher einer großen Klinik sagt: „Wir wollen selbstvers­tändlich niemanden diskrimini­eren.

„Ich empfinde es als diskrimini­erend und abwertend, wenn Gehörlose kein Blut spenden dürfen.“ Daniel Büter, Geschäftsf­ührer Landesverb­and der Gehörlosen

Aber Blutspende blinder Personen bedeutet für uns einen großen Aufwand.“Verbunden mit Kosten.

Sätze, die Selda Arslanteki­n nur wehtun können. „Wir reden in Deutschlan­d viel von Inklusion. Dann ist es sehr enttäusche­nd für mich, wenn so etwas passiert.“Harald Eigler, Geschäftsf­ührer der Allgemeine­n Blinden- und Sehbehinde­rtenhilfe, pflichtet bei: Der Ausschluss blinder Menschen von der Blutspende sei „eine eindeutige Ausgrenzun­g und verstößt gegen die UN-Behinderte­nrechtskon­vention“.

Empört reagiert auch der Landesverb­and der Gehörlosen: „Ich empfinde es als diskrimini­erend und abwertend, wenn Gehörlose kein Blut spenden dürfen“, sagt Geschäftsf­ührer Daniel Büter. Geradezu lächerlich sei „der bereits angewendet­e Vorwand, beim Einsatz von Gebärdensp­rachdolmet­schern sei ein vertraulic­hes Ärztegespr­äch nicht möglich“. Büter weiter: „Die Ablehnung von Gehörlosen bei Blutspende­n erweckt den Eindruck, als ob die absurde Vorstellun­g existiere, Gehörlosig­keit sei eine ansteckend­e Krankheit.“

Gegen solche Vorstellun­gen wehrt sich auch die UN, die die Inklusion, die Einglieder­ung behinderte­r Menschen, als bedeutende Aufgabe ansieht. In diesem Sinne steht auf der Netzseite von Gerd Weimer, Landes-Behinderte­nbeauftrag­ter, derzeit nicht erreichbar: „Baden-Württember­g soll Inklusions­land Nummer eins in Deutschlan­d werden.“Trotz aller Bemühungen ist es bis dahin offenbar noch ein langer Weg.

Nach dem Vorfall in Leutkirch und den Anfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“will der DRK-Blutspende­dienst prüfen, ob man die Fragebögen auch in Blindensch­rift auflegt. Frühere Vorstöße seien gescheiter­t, an den Kosten. Auch will sich das DRK bei Selda Arslanteki­n melden, um sie zu ermutigen, erneut die Blutspende in Leutkirch aufzusuche­n. Allerdings ohne Garantie: „Die letzte Entscheidu­ng, ob sie zum Blutspende­n zugelassen wird, liegt noch immer beim Arzt vor Ort“, sagt DRKSpreche­rin Fritzsche. Für Selda Arslanteki­n ist das keine Lösung: „Gibt es keine Zusicherun­g, müsste ich mich wieder dieser Tortur aussetzen und eine mögliche Diskrimini­erung erneut in Kauf nehmen.“

Was das bedeutet, hat sie bei ihrem ersten Anlauf zum Blutspende­n erlebt. Eine DRK-Mitarbeite­rin habe damals gesagt: „Verstehen Sie uns nicht falsch: Ihr Blut ist nicht schlechter als das anderer.“Angefühlt hat es sich für die blinde Frau aber trotzdem so.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Selda Arslanteki­n weiß sich trotz Blindheit in Leutkirch zu bewegen. Blut spenden darf die 44-Jährige aber nicht.

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