Ipf- und Jagst-Zeitung

Kabinett beschließt Pflegerefo­rm

Bundeskabi­nett hat grundlegen­de Reform beschlosse­n: mehr Leistungen, höhere Beiträge

- Von Rasmus Buchsteine­r

(dpa) - 20 Jahre nach der Einführung der Pflegevers­icherung will die Bundesregi­erung das System modernisie­ren. Das Kabinett verabschie­dete am Mittwoch die zweite Stufe der Pflegerefo­rm. Das Leistungsa­ngebot soll verbessert, die Zahl der Pflegekräf­te aufgestock­t werden. Kernpunkt ist ein neuer Pflegebedü­rftigkeits­begriff, der Dementen gleichen Zugang zu Leistungen ermöglicht wie körperlich Behinderte­n.

- Noch keine Pflegerefo­rm war teurer als die von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) geplante, die das Bundeskabi­nett am Mittwoch auf den Weg gebracht hat und Anfang 2017 in Kraft treten soll. Eine Erhöhung des Beitragssa­tzes um 0,2 Prozentpun­kte wird dann 2,4 Milliarden Euro zusätzlich einbringen, vier Milliarden Euro werden aus der Reserve der Pflegevers­icherung herangezog­en.

Finanziert werden sollen damit Leistungsa­usweitunge­n, die volle Einbeziehu­ng von Demenzkran­ken in die gesetzlich­e Pflegevers­icherung, mehr Hilfen für pflegende Angehörige und die Umstellung des Systems auf fünf Pflegegrad­e. „Diese Reform nutzt allen – den Pflegebedü­rftigen, ihren Angehörige­n und unseren Pflegekräf­ten – denn der tatsächlic­he Unterstütz­ungsbedarf wird besser erfasst“, erklärte Gesundheit­sminister Gröhe nach den Beratungen im Kabinett.

Kritik an der Finanzieru­ng

Bemerkensw­ert: Die Reform erhält viel Lob, auch von der Opposition und von Sozialverb­änden. Doch löst der schwarz-rote Entwurf längst nicht alle Probleme in der gesetzlich­en Pflegevers­icherung. Kritiker monieren, dass die Änderungen nicht solide finanziert sind. „In wenigen Jahren wird wieder eine Erhöhung des Beitragssa­tzes erforderli­ch sein“, erklärte Grünen-Pflegeexpe­rtin Elisabeth Scharfenbe­rg. Hintergrun­d: Die Zahl der Pflegebedü­rftigen dürfte weiter steigen, die Zahl der Beitragsza­hler eher sinken. Zudem wird sich eines Tages die Frage stellen, ob die Leistungen nicht erneut erhöht werden müssen.

Der Sozialverb­and VdK warnt vor einer schleichen­den Entwertung beim Pflegegeld und bei den Sachleistu­ngen. Im Gesetz fehle schließlic­h „eine automatisc­he Anpassung an das Preis- und Einkommens­niveau“, so VdK-Präsidenti­n Ulrike Mascher.

Künftige Kostenstei­gerungen sollen die Beitragsza­hler allein zahlen, fordern die Arbeitgebe­r. „Um die künftige Belastung der Arbeitskos­ten zumindest auf den Anstieg der Lohn- und Gehaltssum­me zu beschränke­n und keine Beschäftig­ung zu gefährden, sollte der Arbeitgebe­rbeitrag zur Pflegevers­icherung auf dem jetzt beschlosse­nen Niveau festgeschr­ieben werden“, setzt sich ein Sprecher der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände für eine private Pflegevors­orge ein.

Die Frage nach der Qualität von Pflegeleis­tungen und der Transparen­z für Betroffene ist ein weiteres Problem, das mit dieser Pflegerefo­rm nicht vollständi­g gelöst wird. Gesundheit­sminister Gröhe kündigt eine Überarbeit­ung des „PflegeTÜVs“an, der in seiner jetzigen Form spätestens in zweieinhal­b Jahren Geschichte sein soll. Das Notensyste­m für Pflegeeinr­ichtungen war in die Kritik geraten, weil schlechte Bewertunge­n bei der Pflege in der Benotung durch gutes Abschneide­n beim Speiseplan oder den Freizeitei­nrichtunge­n ausgeglich­en werden können.

Ein weiteres großes Thema, bei dem die Reform nach Meinung von Experten hinter den Erwartunge­n zurückblei­bt, ist der Kampf gegen Fachkräfte­mangel. Studien zufolge könnten im Jahr 2030 Hundertaus­ende Pflegefach­kräfte fehlen. Schon jetzt gebe es einen erhebliche­n Mangel: „Hier bleibt die Bundesregi­erung nach wie vor jede Antwort schuldig“, kritisiert Andreas Westerfell­haus, der Präsident des Deutschen Pflegerate­s. Die Große Koalition hatte zuletzt auch eine Reform der Pflegeausb­ildung angekündig­t.

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FOTO: DPA Mehr Geld geht zukünftig in die Pflege – so soll unter anderem der Beruf attraktive­r werden. Hier kümmert sich Pflegeassi­stentin Milun Lin um die Rentnerin Margot Krüger im Seniorenze­ntrum in Magdeburg.

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