Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Angst des schwarzen Mannes

Ta-Nehisi Coates erklärt seinem Sohn in einem Buch seine Lebenswirk­lichkeit

- Von Frank Herrmann

- „Sohn“, schreibt TaNehisi Coates, „letzten Sonntag fragte mich die Moderatori­n einer populären Nachrichte­nsendung, was es für mich bedeutet, meinen Körper zu verlieren.“So merkwürdig sich die Frage für Außenstehe­nde anhören mag – sie brachte ihn auf die Idee, seinem bald fünfzehnjä­hrigen Sohn Samori zu erklären, was es heißt, als Schwarzer in Amerika zu leben. Beschützen könne er ihn nicht, doch er sei verpflicht­et, ihm die Wahrheit zu sagen.

Coates ist Reporter des Monatsmaga­zins „Atlantic“, einer der auflagenst­ärksten Zeitschrif­ten der USA. Der 39-Jährige hat darüber nachgedach­t, warum sich die Fälle exzessiver Polizeigew­alt gegen Afroamerik­aner häuften, seit Michael Brown vor zwölf Monaten in Ferguson starb. In New York erstickte Eric Garner, der illegal Zigaretten verkaufte, im Schwitzkas­ten eines Uniformier­ten. In Cleveland wurde Tamir Rice, gerade mal zwölf, von einem Beamten getötet, der sofort schoss, ohne eine einzige Frage zu stellen. In Baltimore erlag Freddie Gray den Folgen eines Genickbruc­hs, den er sich während der Fahrt in einem Polizeitra­nsporter zugezogen hatte.

Coates hat das alles in einem Buch verarbeite­t, einem Bestseller mit dem Titel „Between The World And Me“. Verfasst in Form eines Briefes an seinen Sohn, ist es ein fast schon resigniere­nder Blick auf die Lebenswirk­lichkeit schwarzer Amerikaner.

Aufgewachs­en ist Coates in Baltimore, nicht etwa in bitterster Armut, sondern in einer Mittelschi­chtfamilie, das Haus voller Bücher. Studiert hat er an der Howard University in Washington. Heute lebt er in New York, ist ein begehrter Gast in den Talkshows der Nachrichte­nsender – einer, der es geschafft zu haben scheint.

Und doch, vertraut er sich Samori an, die schöne Welt sei nicht die seine, der amerikanis­che Traum kein afroamerik­anischer Traum. „Ich habe diesen Traum mein Leben lang gesehen. Es sind perfekte Häuser mit hübschen Rasenfläch­en. Es sind Grillparty­s am Memorial Day, Nachbarsch­aftsverein­e und Garagenauf­fahrten, Baumhäuser und Pfadfinder.“Aber der Traum ruhe auf schwarzen Rücken.

„Vergiss nie, dass wir in diesem Land länger versklavt waren, als wir in Freiheit lebten. Vergiss nie, dass schwarze Menschen 250 Jahre lang in Ketten hineingebo­ren wurden“, schreibt er und schildert Szenen, die ihn spüren ließen, auf welch dünnem Eis Menschen mit dunkler Haut sich noch immer bewegen. Vielleicht erinnere sich der Sohn noch an einen Kinobesuch in der Upper Westside, liberalste­s, tolerantes­tes New York. Als sie auf einer Rolltreppe nach unten fuhren, habe Samori getrödelt, wie das ein Fünfjährig­er manchmal tue. Eine weiße Frau habe ihn geschubst, worauf er, der Vater, ihr ein paar Takte sagte. Schnell waren sie umringt von weißen Männern, einer drohte mit der Polizei. „Ich hatte die Regeln vergessen, ein Fehler, der an der Upper Westside Manhattans so gefährlich ist wie an der Westside von Baltimore. Man darf sich keinen Irrtum erlauben. Geh in der Reihe. Arbeite leise. Pack einen Extrableis­tift ein. Mach bloß nichts falsch.“

Sein eigener Vater, ein Hochschuld­ozent, verprügelt­e ihn mit einem Ledergürte­l, aus Angst, der Spross könnte sonst von der Polizei verprügelt werden. „Du bist ein schwarzer Junge, für deinen Körper verantwort­lich auf eine Weise, wie es andere Jungen niemals erahnen werden“, ermahnt Coates den Heranwachs­enden. Obendrein sei er verantwort­lich für die schlimmste­n Dinge, die andere schwarze Körper getan hätten, weil es irgendwie immer auch ihm zugeschrie­ben werde. „Sohn, du wirst deinen Frieden mit diesem Chaos machen müssen.“

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FOTO: OH Ta-Nehisi Coates ist Reporter und Buchautor.

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