Die Angst des schwarzen Mannes
Ta-Nehisi Coates erklärt seinem Sohn in einem Buch seine Lebenswirklichkeit
- „Sohn“, schreibt TaNehisi Coates, „letzten Sonntag fragte mich die Moderatorin einer populären Nachrichtensendung, was es für mich bedeutet, meinen Körper zu verlieren.“So merkwürdig sich die Frage für Außenstehende anhören mag – sie brachte ihn auf die Idee, seinem bald fünfzehnjährigen Sohn Samori zu erklären, was es heißt, als Schwarzer in Amerika zu leben. Beschützen könne er ihn nicht, doch er sei verpflichtet, ihm die Wahrheit zu sagen.
Coates ist Reporter des Monatsmagazins „Atlantic“, einer der auflagenstärksten Zeitschriften der USA. Der 39-Jährige hat darüber nachgedacht, warum sich die Fälle exzessiver Polizeigewalt gegen Afroamerikaner häuften, seit Michael Brown vor zwölf Monaten in Ferguson starb. In New York erstickte Eric Garner, der illegal Zigaretten verkaufte, im Schwitzkasten eines Uniformierten. In Cleveland wurde Tamir Rice, gerade mal zwölf, von einem Beamten getötet, der sofort schoss, ohne eine einzige Frage zu stellen. In Baltimore erlag Freddie Gray den Folgen eines Genickbruchs, den er sich während der Fahrt in einem Polizeitransporter zugezogen hatte.
Coates hat das alles in einem Buch verarbeitet, einem Bestseller mit dem Titel „Between The World And Me“. Verfasst in Form eines Briefes an seinen Sohn, ist es ein fast schon resignierender Blick auf die Lebenswirklichkeit schwarzer Amerikaner.
Aufgewachsen ist Coates in Baltimore, nicht etwa in bitterster Armut, sondern in einer Mittelschichtfamilie, das Haus voller Bücher. Studiert hat er an der Howard University in Washington. Heute lebt er in New York, ist ein begehrter Gast in den Talkshows der Nachrichtensender – einer, der es geschafft zu haben scheint.
Und doch, vertraut er sich Samori an, die schöne Welt sei nicht die seine, der amerikanische Traum kein afroamerikanischer Traum. „Ich habe diesen Traum mein Leben lang gesehen. Es sind perfekte Häuser mit hübschen Rasenflächen. Es sind Grillpartys am Memorial Day, Nachbarschaftsvereine und Garagenauffahrten, Baumhäuser und Pfadfinder.“Aber der Traum ruhe auf schwarzen Rücken.
„Vergiss nie, dass wir in diesem Land länger versklavt waren, als wir in Freiheit lebten. Vergiss nie, dass schwarze Menschen 250 Jahre lang in Ketten hineingeboren wurden“, schreibt er und schildert Szenen, die ihn spüren ließen, auf welch dünnem Eis Menschen mit dunkler Haut sich noch immer bewegen. Vielleicht erinnere sich der Sohn noch an einen Kinobesuch in der Upper Westside, liberalstes, tolerantestes New York. Als sie auf einer Rolltreppe nach unten fuhren, habe Samori getrödelt, wie das ein Fünfjähriger manchmal tue. Eine weiße Frau habe ihn geschubst, worauf er, der Vater, ihr ein paar Takte sagte. Schnell waren sie umringt von weißen Männern, einer drohte mit der Polizei. „Ich hatte die Regeln vergessen, ein Fehler, der an der Upper Westside Manhattans so gefährlich ist wie an der Westside von Baltimore. Man darf sich keinen Irrtum erlauben. Geh in der Reihe. Arbeite leise. Pack einen Extrableistift ein. Mach bloß nichts falsch.“
Sein eigener Vater, ein Hochschuldozent, verprügelte ihn mit einem Ledergürtel, aus Angst, der Spross könnte sonst von der Polizei verprügelt werden. „Du bist ein schwarzer Junge, für deinen Körper verantwortlich auf eine Weise, wie es andere Jungen niemals erahnen werden“, ermahnt Coates den Heranwachsenden. Obendrein sei er verantwortlich für die schlimmsten Dinge, die andere schwarze Körper getan hätten, weil es irgendwie immer auch ihm zugeschrieben werde. „Sohn, du wirst deinen Frieden mit diesem Chaos machen müssen.“