Ipf- und Jagst-Zeitung

Grabesstim­mung in Caracas

- Von Georg Ismar, Caracas

Die Demonstran­ten tragen ihr Land schon zu Grabe. Eingehüllt in die gelb-blau-rote Flagge Venezuelas schleppen sie einen riesigen Sarg durch die Straßen. Sie demonstrie­ren gegen immer aberwitzig­ere Zustände – die Inflations­rate dürfte in diesem Jahr zwischen 120 und 220 Prozent liegen, eine der höchsten der Welt.

Das verschärft auch Venezuelas Dauerprobl­em: die Gewalt. Da nicht hingehen, dort nicht hingehen. Denn es könnte ja überall der Tod lauern, so hört es fast jeder Besucher. Willkommen in Caracas. Mit 116 Morden pro 100 000 Einwohner rangiert die Hauptstadt auf Rang zwei der weltweit gefährlich­sten Städte, hat die Organisati­on „Seguridad Pública y Justicia“ermittelt. Seit Jahren hat Caracas dieses miese Image. Neu ist: Die Inflation gerät immer stärker außer Kontrolle.

Regierung profitiert

Der offizielle Wechselkur­s des USDollars zum Bolivar ist derzeit 1:6,30. Doch wer noch Dollars hat, versucht sie schwarz zu tauschen. Dieser Kurs beträgt laut der Seite „DolarToday“derzeit 1:691,49 Bolivar, liegt also über hundertmal so hoch. Das führt zu der abenteuerl­ichen Situation, dass man in Restaurant­s mit dem Schwarzmar­ktkurs für zwei Euro essen kann, mit dem offizielle­n Kurs bei Kreditkart­enzahlung aber über 200 Euro anfallen. Analysten sind überzeugt, dass gerade Regierungs­vertreter durch den Handel mit Dollars und Zugang zu Wechselkur­sgeschäfte­n von dem System sogar noch finanziell profitiere­n.

Das Hauptprobl­em: der Absturz des Ölpreises. Das Land sitzt auf den größten Reserven weltweit – aber das allein hilft gerade wenig. „Etwa 60 Prozent des Staatshaus­halts werden durch die Ölrente bestritten, die im Haushaltsj­ahr 2015 um etwa die Hälfte einbrechen wird“, warnte die Konrad-Adenauer-Stiftung schon vor Monaten. Das Land hat wenig Devisenres­erven – und kann somit Importe von Lebensmitt­eln, Medikament­en und Hygieneart­ikeln kaum noch bezahlen. Die Folge: leere Regale, steigende Schwarzmar­ktpreise, Plünderung­en von Supermärkt­en, in diesem Jahr bereits 56.

Aber die Krise ist hier nicht erst seit Nicolás Maduro Dauerzusta­nd. Der sozialisti­sche Präsident – ein früherer Busfahrer, wie seine Gegner spöttisch bemerken – wirkt nervös. Er droht dem Nachbarlan­d Guyana im Streit um Ölfelder und schüchtert die Opposition ein. Die führenden Opposition­spolitiker Leopoldo López und Daniel Ceballos sind unter fragwürdig­en Umständen inhaftiert.

Zum Schlüsselm­oment dürften die Parlaments­wahlen am 6. Dezember werden, ein Opposition­ssieg könnte Maduro Fesseln anlegen – per Hungerstre­ik hatten López und Ceballos die Festsetzun­g eines Wahltermin­s gefordert. Bei einem Opposition­ssieg droht Maduro mit einer „Konterrevo­lution“– er will das Erbe des verstorben­en Hugo Chávez verteidige­n. Doch selbst bei den Ärmsten, die mit Sozialprog­rammen gefördert wurden, bröckelt der Rückhalt. Und ungewiss ist auch die Rückendeck­ung für Maduro innerhalb der regierende­n Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV). (dpa)

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