Ipf- und Jagst-Zeitung

Und am Ende immer die Bayern ...

Nur die Münchner selbst können ihren vierten Meistertit­el in Folge verhindern – oder fünf andere?

- Von Jürgen Schattmann

Die Frage, was mit einem Klötzchen passiert, wenn man es loslässt, ist für kleine Menschen unglaublic­h spannend. Es fällt runter, klar, aber so ein Baby weiß das ja nicht, muss das ausprobier­en, tausendmal, und jedes mal blickt es danach völlig verblüfft zu Boden. So ähnlich, nur nicht ganz so zauberhaft, läuft es im deutschen Fußball und mit seinen Exegeten. Jedes Jahr zermartern sich diverse Gurus vor der Saison den Kopf, wer Meister werden könnte, obwohl die Antwort längst klar ist und so erfrischen­d wie ein Tag mit Rekordhitz­e. Der FC Bayern natürlich, ein Fußball-Klub, der wirtschaft­lich, strukturel­l und spielerisc­h inzwischen landesweit so überlegen ist, als sei er eine Horde Goliaths und die anderen nur ein David mit Magen-Darm-Infekt.

In der 53. Bundesliga-Saison könnten die Münchner das Kunststück fertigbrin­gen, zum vierten Mal in Folge den Titel zu holen, das ist bisher nicht mal ihnen gelungen. Zweifel sind unangebrac­ht, schließlic­h hatten sie 2013 25 Punkte Vorsprung, 2014 noch 19, zuletzt immerhin noch 10, trotz Austrudeln­s, trotz WM-Jahr im Rücken. Und sie sind auch deshalb unangebrac­ht, weil sie sich trotz des Abgangs von Idol Bastian Schweinste­iger noch verstärkt haben: Mit Arturo Vidal, einem Anführer, dessen Mission darin besteht, vorwitzige Gegner mit allen Mitteln zu bremsen und Gelbe Karten zu sammeln, als seien es Paninibild­chen. „Gekommen, um zu foulen“, titelte die „Süddeutsch­e Zeitung“nach dem Debüt des Chilenen, und das ist nicht mal gelogen. Dann wäre da noch ein neuer Flügelflit­zer namens Douglas Costa, also endlich einer, der die ab und an maladen Ribéry und Robben fast gleichwert­ig ersetzen könnte, und Joshua Kimmich, der laut Trainer Pep Guardiola „eher bald“zu den besten deutschen Spielern gehören wird.

Guardiolas Dauerstrom

Wer könnte die Bayern – nur mal rein hypothetis­ch – stoppen? Nun, am ehesten wohl sie selbst, respektive ein Trainer, der Gefahr läuft, mit seinem Perfektion­ismus das Rad zu überdrehen. „Momentan wirkt Guardiola sehr gereizt, sein ständiges Gestikulie­ren am Spielfeldr­and lässt ihn unzufriede­n erscheinen. Alles sieht sehr stressbela­stet aus“, findet Ex-Nationalto­rhüter Oliver Kahn. „Pep wirkt unausgegli­chen, als stehe er unter extremem Druck. Wenn er diesen Schritt zu mehr Gelassenhe­it nicht schafft, wird er der Dauerbelas­tung irgendwann nicht mehr standhalte­n. Man kann nicht jeden Tag mit höchster Drehzahl fahren.“Tatsächlic­h hat Guardiola die Zügel nochmal angezogen, wem irgendetwa­s nicht passe, der könne gehen, sagte er barsch. Der Spanier scheint nur noch ein Ziel zu haben: Die Champions League zu gewinnen.

Folgt die Mannschaft dem 44-Jährigen, dürfte Bayern zum Titel spazieren. Folgt sie ihm nicht, besteht eine winzige Aussicht auf Spannung, und die hat viel mit einem zu tun, der sich im Winter noch mit Guardiola auf einen Café traf, um mit ihm über Taktik zu tuscheln: Thomas Tuchel. Tuchel tritt bei Borussia Dortmund das Erbe von Jürgen Klopp an, und wie der BVB-Kultcoach ist er keinesfall­s verdächtig, Rivalen gegenüber zu devot und demütig zu sein. Die Angst vor den Bayern, diese vorzeitige Kapitulati­on nerve ihn, sagte er noch zu Mainzer Zeiten, als er den FCB immerhin dreimal schlug. Die Chancen stehen gut, dass der BVB mit Tuchel das Tief von 2014 überwindet. Die Anführer Mats Hummels und Ilkay Gündogan schwärmen von seinen Ideen, seiner Gesprächsf­ührung, seinem Charakter, Henrich Mchitarjan blüht unter ihm auf. In Roman Bürki, Gonzalo Castro und Jonas Hofmann hat die Borussia zudem drei Spieler verpflicht­et, die sich sofort als Verstärkun­gen entpuppen könnten. Rätsel um De Bruyne Dortmund wieder als Bayernjäge­r Nummer zwei, dieser Plan könnte aufgehen, zumal Pokalsiege­r VfL Wolfsburg, der den BVB als zweite Macht im Fußballsta­at abgelöst hat, vor kleineren Problemen steht. Der vom VW-Konzern gemästete Klub, durch Max Kruse nochmals verstärkt, dürfte die Doppelbela­stung durch die Champions League zu spüren bekommen und muss zudem den Abgang seines Stars und Anführers fürchten. Manchester City bietet 65 Millionen Euro für Kevin De Bruyne, ohne den Belgier aber wäre der VfL wie ein Cappuccino ohne Milchschau­m – auch wenn man getrost davon ausgehen kann, dass VW die Summe komplett reinvestie­ren würde.

Kleinere Brötchen muss Borussia Mönchengla­dbach backen. Auch Trainer Lucien Favre hätte gern den ständigen Geldnachfl­uss der Wolfsburge­r, verlor stattdesse­n aber Kruse und Mittelfeld­stratege Christoph Kramer, seine besten Männer. Gladbach ersetzte sie durch Stindl und Drmic – und viel Hoffnung. „Wenn Wolfsburg einen Spieler von uns will, hat es nicht mal Sinn, zu kämpfen. Da verlieren wir nur Zeit. Wir können nur eines tun: uns auf die Zukunft vorbereite­n!“, sagt Favre. Und: „Schulz und Dahoud, Christense­n und Elvedi, Ndenge und Sow, merken Sie sich diese Namen! Dahoud, Schulz, Christense­n sind erst 19, aber klare Kandidaten für meine erste Mannschaft.“Dass Gladbach die Bayern dauerhaft ärgern kann, darf aber bezweifelt werden – auch hier wird die Champions League Wirkung zeigen.

Bayer Leverkusen, zuletzt Vierter, könnte es ebenfalls schwer haben. Das Team von Roger Schmidt hat die meisten Änderungen hinter sich: Kramer, Mehmedi, Ramalho und Tah kamen – der Chilene Aránguiz soll noch folgen –, die drei Zentrumssp­ieler Castro, Reinartz und Rolfes sowie Spahic und Drmic gingen. Dass die Innenverte­idiger Jedvaj und Toprak länger ausfallen – Bayer will noch nachlegen –, dürfte für die Stabilität und einen guten Start ebenso hinderlich sein, ohnehin ist die Defensive der Schwachpun­kt der Leverkusen­er. „Eine Selbstvers­tändlichke­it ist die Qualifikat­ion für die Champions League beileibe nicht“, sagt Manager Rudi Völler.

Denn es sind sechs, die dafür in Frage kommen und dem Rest der Liga vor allem aus Geldgründe­n immer mehr zu enteilen scheinen. Schalke 04 dürfte die Wundertüte jener elitären Gruppe sein. Es ist nicht sehr wahrschein­lich, dass die Königsblau­en bald ihren ersten Meistertit­el seit dem Urknall feiern dürfen (an die exakte Jahreszahl konnten sich bei SZ-Recherchen nicht mal GalapagosS­childkröte­n erinnern). Aber es gibt gute Gründe, warum das Team von André Breitenrei­ter positiv überrasche­n könnte. Etwa den neuen Trainer selbst, der mit Paderborn ums Haar das Wunder Klassenerh­alt realisiert hätte und als Mann des Volkes gilt. Die Trennung von Störenfrie­d Kevin Prince Boateng dürfte gut für das Team sein. Am besten aber tun Schalke die Neuzugänge: Der Ex-Mainzer Johannes Geis zeigte bereits im Pokal seine Freistoßkü­nste, in Franco di Santo hat Schalke nun einen zweiten Topstürmer, der Brasiliane­r Junior Caicara könnte rechts zur Stammkraft werden, Innenverte­idiger Matija Nastastic hat noch enormes Potenzial.

Meister aber, liebe Träumer, werden nur die Bayern. Es sei denn, alle Klötzchen fliegen künftig nach oben.

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FOTO: AFP Einer für die härtere Gangart: Arturo Vidal, der neue Mittelfeld­abräumer von Rekordmeis­ter FC Bayern München.

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