Und am Ende immer die Bayern ...
Nur die Münchner selbst können ihren vierten Meistertitel in Folge verhindern – oder fünf andere?
Die Frage, was mit einem Klötzchen passiert, wenn man es loslässt, ist für kleine Menschen unglaublich spannend. Es fällt runter, klar, aber so ein Baby weiß das ja nicht, muss das ausprobieren, tausendmal, und jedes mal blickt es danach völlig verblüfft zu Boden. So ähnlich, nur nicht ganz so zauberhaft, läuft es im deutschen Fußball und mit seinen Exegeten. Jedes Jahr zermartern sich diverse Gurus vor der Saison den Kopf, wer Meister werden könnte, obwohl die Antwort längst klar ist und so erfrischend wie ein Tag mit Rekordhitze. Der FC Bayern natürlich, ein Fußball-Klub, der wirtschaftlich, strukturell und spielerisch inzwischen landesweit so überlegen ist, als sei er eine Horde Goliaths und die anderen nur ein David mit Magen-Darm-Infekt.
In der 53. Bundesliga-Saison könnten die Münchner das Kunststück fertigbringen, zum vierten Mal in Folge den Titel zu holen, das ist bisher nicht mal ihnen gelungen. Zweifel sind unangebracht, schließlich hatten sie 2013 25 Punkte Vorsprung, 2014 noch 19, zuletzt immerhin noch 10, trotz Austrudelns, trotz WM-Jahr im Rücken. Und sie sind auch deshalb unangebracht, weil sie sich trotz des Abgangs von Idol Bastian Schweinsteiger noch verstärkt haben: Mit Arturo Vidal, einem Anführer, dessen Mission darin besteht, vorwitzige Gegner mit allen Mitteln zu bremsen und Gelbe Karten zu sammeln, als seien es Paninibildchen. „Gekommen, um zu foulen“, titelte die „Süddeutsche Zeitung“nach dem Debüt des Chilenen, und das ist nicht mal gelogen. Dann wäre da noch ein neuer Flügelflitzer namens Douglas Costa, also endlich einer, der die ab und an maladen Ribéry und Robben fast gleichwertig ersetzen könnte, und Joshua Kimmich, der laut Trainer Pep Guardiola „eher bald“zu den besten deutschen Spielern gehören wird.
Guardiolas Dauerstrom
Wer könnte die Bayern – nur mal rein hypothetisch – stoppen? Nun, am ehesten wohl sie selbst, respektive ein Trainer, der Gefahr läuft, mit seinem Perfektionismus das Rad zu überdrehen. „Momentan wirkt Guardiola sehr gereizt, sein ständiges Gestikulieren am Spielfeldrand lässt ihn unzufrieden erscheinen. Alles sieht sehr stressbelastet aus“, findet Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn. „Pep wirkt unausgeglichen, als stehe er unter extremem Druck. Wenn er diesen Schritt zu mehr Gelassenheit nicht schafft, wird er der Dauerbelastung irgendwann nicht mehr standhalten. Man kann nicht jeden Tag mit höchster Drehzahl fahren.“Tatsächlich hat Guardiola die Zügel nochmal angezogen, wem irgendetwas nicht passe, der könne gehen, sagte er barsch. Der Spanier scheint nur noch ein Ziel zu haben: Die Champions League zu gewinnen.
Folgt die Mannschaft dem 44-Jährigen, dürfte Bayern zum Titel spazieren. Folgt sie ihm nicht, besteht eine winzige Aussicht auf Spannung, und die hat viel mit einem zu tun, der sich im Winter noch mit Guardiola auf einen Café traf, um mit ihm über Taktik zu tuscheln: Thomas Tuchel. Tuchel tritt bei Borussia Dortmund das Erbe von Jürgen Klopp an, und wie der BVB-Kultcoach ist er keinesfalls verdächtig, Rivalen gegenüber zu devot und demütig zu sein. Die Angst vor den Bayern, diese vorzeitige Kapitulation nerve ihn, sagte er noch zu Mainzer Zeiten, als er den FCB immerhin dreimal schlug. Die Chancen stehen gut, dass der BVB mit Tuchel das Tief von 2014 überwindet. Die Anführer Mats Hummels und Ilkay Gündogan schwärmen von seinen Ideen, seiner Gesprächsführung, seinem Charakter, Henrich Mchitarjan blüht unter ihm auf. In Roman Bürki, Gonzalo Castro und Jonas Hofmann hat die Borussia zudem drei Spieler verpflichtet, die sich sofort als Verstärkungen entpuppen könnten. Rätsel um De Bruyne Dortmund wieder als Bayernjäger Nummer zwei, dieser Plan könnte aufgehen, zumal Pokalsieger VfL Wolfsburg, der den BVB als zweite Macht im Fußballstaat abgelöst hat, vor kleineren Problemen steht. Der vom VW-Konzern gemästete Klub, durch Max Kruse nochmals verstärkt, dürfte die Doppelbelastung durch die Champions League zu spüren bekommen und muss zudem den Abgang seines Stars und Anführers fürchten. Manchester City bietet 65 Millionen Euro für Kevin De Bruyne, ohne den Belgier aber wäre der VfL wie ein Cappuccino ohne Milchschaum – auch wenn man getrost davon ausgehen kann, dass VW die Summe komplett reinvestieren würde.
Kleinere Brötchen muss Borussia Mönchengladbach backen. Auch Trainer Lucien Favre hätte gern den ständigen Geldnachfluss der Wolfsburger, verlor stattdessen aber Kruse und Mittelfeldstratege Christoph Kramer, seine besten Männer. Gladbach ersetzte sie durch Stindl und Drmic – und viel Hoffnung. „Wenn Wolfsburg einen Spieler von uns will, hat es nicht mal Sinn, zu kämpfen. Da verlieren wir nur Zeit. Wir können nur eines tun: uns auf die Zukunft vorbereiten!“, sagt Favre. Und: „Schulz und Dahoud, Christensen und Elvedi, Ndenge und Sow, merken Sie sich diese Namen! Dahoud, Schulz, Christensen sind erst 19, aber klare Kandidaten für meine erste Mannschaft.“Dass Gladbach die Bayern dauerhaft ärgern kann, darf aber bezweifelt werden – auch hier wird die Champions League Wirkung zeigen.
Bayer Leverkusen, zuletzt Vierter, könnte es ebenfalls schwer haben. Das Team von Roger Schmidt hat die meisten Änderungen hinter sich: Kramer, Mehmedi, Ramalho und Tah kamen – der Chilene Aránguiz soll noch folgen –, die drei Zentrumsspieler Castro, Reinartz und Rolfes sowie Spahic und Drmic gingen. Dass die Innenverteidiger Jedvaj und Toprak länger ausfallen – Bayer will noch nachlegen –, dürfte für die Stabilität und einen guten Start ebenso hinderlich sein, ohnehin ist die Defensive der Schwachpunkt der Leverkusener. „Eine Selbstverständlichkeit ist die Qualifikation für die Champions League beileibe nicht“, sagt Manager Rudi Völler.
Denn es sind sechs, die dafür in Frage kommen und dem Rest der Liga vor allem aus Geldgründen immer mehr zu enteilen scheinen. Schalke 04 dürfte die Wundertüte jener elitären Gruppe sein. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Königsblauen bald ihren ersten Meistertitel seit dem Urknall feiern dürfen (an die exakte Jahreszahl konnten sich bei SZ-Recherchen nicht mal GalapagosSchildkröten erinnern). Aber es gibt gute Gründe, warum das Team von André Breitenreiter positiv überraschen könnte. Etwa den neuen Trainer selbst, der mit Paderborn ums Haar das Wunder Klassenerhalt realisiert hätte und als Mann des Volkes gilt. Die Trennung von Störenfried Kevin Prince Boateng dürfte gut für das Team sein. Am besten aber tun Schalke die Neuzugänge: Der Ex-Mainzer Johannes Geis zeigte bereits im Pokal seine Freistoßkünste, in Franco di Santo hat Schalke nun einen zweiten Topstürmer, der Brasilianer Junior Caicara könnte rechts zur Stammkraft werden, Innenverteidiger Matija Nastastic hat noch enormes Potenzial.
Meister aber, liebe Träumer, werden nur die Bayern. Es sei denn, alle Klötzchen fliegen künftig nach oben.