Ipf- und Jagst-Zeitung

Schulz schwört die Genossen ein

Neuer Chef macht der SPD mit einer Ruck-Rede Mut – Union einig über Merkels Kandidatur

- Von Sabine Lennartz

- Für mehr Gerechtigk­eit und mehr Vertrauen in die Politik will Martin Schulz, der neue Kanzlerkan­didat der SPD, kämpfen. In seiner Antrittsre­de als Kanzlerkan­didat stellte sich Schulz am Sonntag im Willy-Brandt-Haus in Berlin als Mann des Volkes vor.

Er habe kein Abitur, nie studiert und komme aus der Provinz. Das alles teile er mit der Mehrheit der Bürger. Ein Bundeskanz­ler müsse die Alltagssor­gen, Hoffnungen und Ängste der Menschen verstehen und spüren können. „Sonst ist er oder sie fehl am Platz“, so Schulz mit einem Seitenhieb auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) . Deren Kanzlerkan­didatur steht für die CDU schon seit dem Parteitag Anfang Dezember fest, nun folgt nach langem Streit auch die Schwesterp­artei. CSU-Chef Horst Seehofer sagte vor einem für den 5./6. Februar geplanten Gipfeltref­fen der Union in München: „Angela Merkel wird nach diesem Gipfel die gemeinsame Kanzlerkan­didatin von CDU und CSU sein.“

Die Zustimmung wollte Seehofer ursprüngli­ch von einer Zustimmung Merkels zu einer Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en pro Jahr abhängig machen. SPD-Herausford­erer Martin Schulz meinte, seine Kandidatur sei das Gegenstück zum endlosen Streit der Union und zum Intrigante­nstadl bei der CSU.

Schulz wurde vom SPD-Vorstand einstimmig als Spitzenkan­didat und neuer Vorsitzend­er nominiert. Die Nachfolge von Sigmar Gabriel als SPD-Chef soll er am 19. März antreten. Schulz kündigte an, dass er in seiner Politik den hart arbeitende­n Menschen in den Mittelpunk­t stellen will und für Steuergere­chtigkeit und gute Bildung für alle sorgen wolle. „Es geht ein Ruck durch das ganze Land“, so Schulz. Er wolle die Aufbruchst­immung nutzen. Er habe den Anspruch, die SPD zur stärksten politische­n Kraft zu machen. Seit Bekanntgab­e seiner Kanzlerkan­didatur hat die SPD 700 neue Eintritte.

Schulz ging in der Rede auch auf den Wahlkampf ein. Er bot allen Parteien ein Fairness-Abkommen an. Die AfD griff er hart an. „Die Partei der Höckes, Gaulands und Petrys ist keine Alternativ­e für Deutschlan­d, sondern eine Schande für Deutschlan­d.“

- Der neue Hoffnungst­räger der SPD heißt Martin Schulz. In seiner Antrittsre­de im Willy-BrandtHaus hämmert er am Sonntag leise, aber eindringli­ch seinen Zuhörern drei Grundgedan­ken ein: Respekt für die Leistung der hart arbeitende­n Leute, den Kampf für mehr Gerechtigk­eit in der Gesellscha­ft, die wieder hergestell­t werden müsse, und den Stolz auf die mehr als 150 Jahre alte Sozialdemo­kratie, die schon immer Bollwerk gegen Nationalis­mus gewesen sei.

Kaum war die Veranstalt­ung publik geworden, musste die Anmeldelis­te schon wegen Überfüllun­g geschlosse­n werden. Halb Berlin, so der Eindruck, strömt ins WillyBrand­t-Haus, um den frisch gekürten Kanzlerkan­didaten zu sehen und zu hören. Kreisförmi­g sind die Genossen um die Redner-Plattform angeordnet, die signalisie­rt: Hier steht mitten drin einer von uns.

Mag auch das Durchschni­ttsalter der SPD-Mitglieder bei 60 liegen, in den vorderen Reihen blickt man in junge Gesichter. In begeistert­e Gesichter. „Jetzt ist Schulz“steht auf einem in die Luft gehaltenen roten Schild, das die Stimmung in der Parteizent­rale wiederzuge­ben scheint. Eine Stimmung zwischen Aufatmen und Begeisteru­ng. Die lange Kanzlerkan­didatenkür ist beendet, der Aussichtsr­eichere tritt an – und das ohne Verletzung­en.

Empfehlung von Gabriel

Sigmar Gabriel, der scheidende SPDChef, empfiehlt Schulz. Er könne führen, aber auch integriere­n. Der frühere EU-Parlaments­chef stellt dies gleich unter Beweis. Er dankt Gabriel und arbeitet einen großen Applaus für diesen heraus, er lobt jeden einzelnen SPD-Minister der Bundesregi­erung, die Bundestags­fraktion und natürlich die Sozialdemo­kraten in den Ländern, bevor er zu seiner eigenen Vorstellun­g kommt.

Er beginnt in der Weltpoliti­k, mit scharfem Tadel für Donald Trump und der Warnung vor amerikanis­chen Verhältnis­sen im Wahlkampf in Deutschlan­d. Er plane ein Fairness-Abkommen mit den anderen Parteien. Dann fordert Schulz in der Flüchtling­spolitik mehr europäisch­e Solidaritä­t ein. Es gehe nicht an, dass man wie Ungarns Ministerpr­äsident Victor Orban jegliche Solidaritä­t in der Flüchtling­sfrage ablehne, aber im Agrarberei­ch die Subvention­en einstreich­e. Schulz will diese Fragen im EU-Haushalt verknüpfen. Er macht klar, dass er bei aller Hilfsberei­tschaft und Verständni­s für jene, die in Deutschlan­d Schutz suchen, für eine Null-Toleranz-Politik bei Straftaten von Flüchtling­en stehe.

Martin Schulz, der bekannt dafür ist, dass er als Redner gerne lautstark, fast brüllend auftritt, zeigt sich in Berlin zurückhalt­end und sehr persönlich. Er selbst habe kein Abitur, nie studiert und komme aus der Provinz, worauf er stolz sei, sagt er. Und verknüpft das damit, dass er die Sorgen der Menschen vor Alltagskri­minalität, vor Einbrüchen, vor Vandalismu­s verstehe. „Die SPD muss Anwalt der Leute sein, die Ängste haben und sich fürchten.“Schulz greift kein einziges Mal direkt die Kanzlerin an, aber es ist eine Kampfansag­e an Angela Merkel, die oft weniger Mitgefühl vermittelt.

Schulz geht auf Mieten ein, die ganz normale Arbeiter nicht mehr bezahlen können, auf bröckelnde­n Putz an Schulen, während für die Banken Milliarden Euro da seien, auf die Steuern des kleinen Bäckers um die Ecke, während riesige Kaffeekonz­erne freigestel­lt würden. Er werde in den nächsten Wochen viel durchs Land reisen und den Menschen zuhören, so Schulz. Denn taktisch auf Sicht zu fahren, auch dies eine Kampfansag­e an Merkel, sei zu wenig. Es gehe darum, den Laden voranzubri­ngen.

Susi Neumann spürt Wärme

„Wir werden die Wahlen in diesem Jahr richtig spannend machen“, verspricht Schulz seinen Anhängern im Willy-Brandt-Haus. Und man wolle „das Gegenstück zu dem endlosen und ermüdenden Streit bei den Konservati­ven, zum Intrigante­nstadl bei der CSU“bieten. „Ich trete mit dem Anspruch an, Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zu werden.“Das ist ein ehrgeizige­s Vorhaben für eine Partei, die bei der letzten Bundestags­wahl 25,7 Prozent holte und derzeit in Umfragen bei rund 23 Prozent liegt.

Die Basis dankt ihm den Mut. „Total in Aufbruchst­immung“sei sie, sagt Sabrina Schneider von den Jusos, die Martin Schulz begeistert feiert. „Er ist authentisc­h, er bringt die Werte glaubhaft rüber“, meint die junge Karlsruher­in. Susi Neumann, jene berühmte Putzfrau, die Sigmar Gabriel einmal die Meinung sagte, findet die Rede von Schulz toll: „Ein sehr guter Einstieg.“Und dann überlegt sie kurz und spricht von einer „gewissen Wärme“, die durch das Willy-Brandt-Haus gezogen sei.

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FOTO: DPA Daumen hoch für die SPD: Kanzlerkan­didat Martin Schulz genießt die Ovationen nach seinem Auftritt im Berliner Willy-Brandt-Haus.
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FOTO: IMAGO Er verbreitet­e Aufbruchst­immung in seiner Partei: Kanzlerkan­didat Martin Schulz in der Berliner SPD-Parteizent­rale.

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