Kreise entwaffnen „Reichsbürger“
Landratsämter werden nach Erlass aus Stuttgart aktiv – Reaktion auf Bluttat in Bayern
(tja) - Die Landkreise zwischen Allgäu, Schwäbischer Alb und Bodensee haben mehr als 300 Anhänger der „Reichsbürger“Szene identifiziert. Waffen dürfen aber sehr wenige von ihnen besitzen. Seit Ende Januar prüfen die Behörden im Auftrag des Landesinnenministeriums, ob „Reichsbürger“Waffenscheine haben. Sie sollen den Betroffenen entzogen werden. Das Innenministerium will „Reichsbürger“entwaffnen, weil sie die geltende Rechtsordnung ablehnen.
- Nach der tödlichen Attacke eines sogenannten Reichsbürgers auf Polizisten in Bayern sind die Anhänger der Szene ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten. In Baden-Württemberg sollen die Landkreise „Reichsbürger“überprüfen und feststellen, ob diese Waffenscheine und Waffen besitzen. Was hat sich seit dem Erlass aus Stuttgart vom 20. Januar 2017 getan? Fragen und Antworten im Überblick:
Wie viele Reichsbürger gibt es in Baden-Württemberg?
Verfassungsschützer haben sich lange nur mit „Reichsbürgern“befasst, wenn diese einen nachgewiesenen Kontakt zur rechtsextremen Szene hatten. Nach dem Vorfall in Bayern im Herbst 2016 hat sich das geändert – damals schoss ein „Reichsbürger“in seinem Haus in Georgensgmünd auf Polizisten, die seine Waffen beschlagnahmen wollten. Vier Beamte wurden getroffen, einer von ihnen starb. Seitdem beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz eine Reihe von Organisationen der Szene. „Reichsbürger“erkennen den Staat nicht an und behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort. Sie sprechen Behörden und Gerichten die Legitimität ab. Daher zahlen sie keine Bußgelder oder Steuern und geben zum Beispiel ihre Pässe zurück. Lange galten sie lediglich als unbequeme Querulanten. Heute geht das Innenministerium von 650“Reichsbürgern“aus, die sich dazu bekennen. Die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, Beate Bube, sagte in einem Interview, es könne im Land bis zu 2000 Anhänger der Szene geben.
Wie läuft die Prüfung ab?
Das Innenministerium hat am 20. Januar 2017 einen Erlass an alle Landkreise und kreisfreien Städte verschickt. Sie sollen prüfen, ob „Reichsbürger“Waffenscheine besitzen. Die Waffenbehörden geben Waffenscheine aus und kontrollieren, ob anmeldepflichtige Waffen korrekt gelagert werden. Zum Verständnis ist wichtig: Waffenscheine muss jeder beantragen, der eine scharfe Waffe bei sich tragen will. Dafür muss er bestimmte Voraussetzungen erfüllen und als zuverlässig gelten. Für scharfe Waffen benötigt man außerdem eine Waffenbesitzkarte. Schreckschusswaffen darf jeder kaufen, aber diese nur mit einem sogenannten „kleinen Waffenschein“mit sich führen. Nach Ansicht des Innenministeriums erfüllen „Reichsbürger“in der Regel die Voraussetzungen für Waffenscheine nicht: Sie lehnen die deutsche Rechtsordnung ab. Deshalb sei zu befürchten, dass sie auch die Regeln zum Umgang mit Waffen nicht einhalten. Seit Januar suchen die Landkreise in ihren Abteilungen nach Anhaltspunkten dafür, ob jemand „Reichsbürger“ist. Darunter fallen etwa Menschen, die ihre deutschen Pässe zurückgeben, weil sie sich zum Beispiel als Bürger des Königreichs Württemberg oder des Deutschen Reichs bezeichnen. Die Namen gehen an die Waffenbehörde. Einige Kreise wie etwa der Ostalbkreis leiten Erkenntnisse auch an die Polizei weiter oder überprüfen jeden, den sie als „Reichsbürger“ausmachen.
Warum gibt das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die ihm bekannten Namen nicht einfach weiter an die Landkreise?
Es gilt das Trennungsgebot: Während der Verfassungsschutz präventiv arbeitet, also potentielle Straftäter beobachtet, um Vergehen zu verhindern, sprechen die Landratsämter Sanktionen aus. Deswegen dürfen LfV, Polizei und andere Behörden nur beschränkt Daten austauschen. So will der Gesetzgeber verhindern, dass Bürger Repressalien erleiden, weil sie im Visier der Geheimdienste stehen – aber unter Umständen noch nicht straffällig geworden ist. Die meisten „Reichsbürger“haben nach Angaben des Innenministeriums keine Straftaten begangen. Deswegen müssen die Landratsämter selbst bei LfV oder Landeskriminalamt fragen, ob diese Erkenntnisse zu einem bestimmten Bürger haben.
Wie vielen Reichsbürger wurden bisher Waffen entzogen?
Eine landesweite Zahl gibt es noch nicht. In der Stadt Friedrichshafen, die eine eigene Waffenbehörde hat, zählt man momentan 22 mutmaßliche „Reichsbürger“. In einem Fall hatte einer der Betroffen einen kleinen Waffenschein. Im übrigen Bodenseekreis gibt es fünf amtsbekannte „Reichsbürger“, derzeit läuft die Überprüfung. Scharfe Waffen besitzt offiziell keiner von ihnen. Das Landratsamt Ravensburg zählt 50 „Reichsbürger“. In einem Fall wird der kleine Waffenschein entzogen, in einem wohl nicht erteilt. Im Ostalbkreis zählt das Landratsamt 69 „Reichsbürger“, einem soll die Waffenbesitzkarte entzogen werden. In Tuttlingen gibt es zwischen 20 und 30 „Reichsbürger“, von denen keiner Waffen haben darf. Der Landkreis Biberach hat 52 „Reichsbürger“identifiziert, fünf haben Waffen oder Schreckschusswaffen. Alle müssen Waffenscheine und Waffen voraussichtlich in den kommenden Wochen abgegeben. In Sigmaringen geht man von 30 „Reichsbürgern“aus, Waffen hat nach jetzigem Stand keiner. Der Alb-DonauKreis hat einen „Reichsbürger“ausgemacht, der eine Waffenbesitzkarte hat. Er wird überprüft.
Es gibt noch weitergehende Forderungen. So sollen Reichsbürger nach Wunsch der CDU Führerund Gewerbescheine entzogen werden. Lässt sich das umsetzen?
In beiden Fällen bräuchte es zunächst Gesetzesänderungen im Bund. Aus Sicht des Verwaltungsrechtlers Stephan Dittrich von der Universität Mannheim wäre es aber wohl sehr schwierig, Gewerbescheine nicht zu erteilen oder gar zu entziehen, ohne mit der Verfassung in Konflikt zu kommen. In Deutschland ist die Gewerbefreiheit ein hohes Gut. Wer jemandem das Ausüben seines Berufes oder seines Geschäftes verweigern will, muss sehr gute Gründe haben. Waffenbesitzer, die den Staat nicht anerkennen, sind aus nachvollziehbaren Gründen ein Gefahr für andere. „Die Hürden, jemandem die Ausübung eines Gewerbes zu untersagen und damit seien Existenz zu zerstören, sind aber ungleich höher“, so Dittrich. Nur, weil jemand den Staat ablehne heiße das nicht automatisch, dass er ein Gewerbe nicht zuverlässig führen könne.