Ein Ausstieg mit Bremsweg
Oberkochens Kulturbeauftragter Reinhold Hirth beendet seine Tätigkeit offiziell Mitte Mai
- In knapp zwei Wochen starten die Oberkochener Jazz Lights in ihre 27. Auflage. Für Reinhold Hirth, seit sechsunddreißigeinhalb Jahren Kulturbeteiligter in Oberkochen und seit 2011 Kulturbeauftragter der Stadt, zieht Bilanz. Unser Redakteur Ansgar König hat gemeinsam mit Hirth auf die zurückliegenden Jahre geblickt.
Herr Hirth, es braucht sicher einen langen Atem, um ein Festival wie die Jazz Lights zu etablieren?
Ja, auf jeden Fall. Anfang der 90erJahre, als wir mit der Reihe begannen, war nicht abzusehen, dass diese Veranstaltung eine so lange Strecke gehen wird. Im Nachhinein betrachtet, ist das für mich sehr beeindruckend. Quasi der Vorläufer der Jazz Lights war die Reihe „Jazz im Rathaus“mit fünf oder sechs Konzerten im Jahr. Mitte bis Ende der 80er war hier in der Region in Sachen Jazz ein absolutes Vakuum.
Mit welcher Idee sind die Jazz Lights damals an den Start gegangen?
Mir war es ein persönliches Anliegen, zunächst einmal den Jazz, diese ganz besondere Musik, in unserer Region integrieren. Es war womöglich Schicksal, unbedingt jedoch ein Glücksfall, dass mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Leitzchef Dr. Dieter Brucklacher ein Verbündeter gefunden werden konnte, der dieselbe Gesinnung teilte. „Das Ziel ist es, dem Jazz in Ostwürttemberg eine Heimat zu geben“, sagte damals Dr. Brucklacher. Rückblickend war die Partnerschaft aus Familienunternehmen und Stadt die ideale Basis für dieses Vorhaben.
Da hat es sicher geholfen, dass Bürgermeister Peter Traub auch eine gewisse Affinität zum Jazz hat.
Das war eine ideale Voraussetzung. Es braucht einfach Menschen, die ein Feeling für so etwas haben. Und Peter Traub hat es – als ehemaliger Musiker, als Kenner und natürlich als Jazzenthusiast.
Welches Konzert war für Sie ein besonderes Highlight?
Es wäre schwierig und vielleicht auch vermessen, unter Hunderten von Konzerten einzelne Namen herauszuheben. Jeder Versuch, eine Art „Best of Jazz Lights“zu kompilieren, würde kostbare musikalische Momente ausschließen. Es waren ja nicht nur die großen Stars, sondern auch die „local heroes“, der Nachwuchs aus der Region. Die Qualität mancher Konzerte erschließt sich oft erst im Nachhinein. Mir fallen viele Namen ein: Dave Brubeck, Jacques Loussier, Gerry Mulligan, Wolfgang Dauner, Nigel Kennedy, und, und, und... Vor zwei Jahren zum Beispiel: The Philharmonics. Das war eine tolle Erfahrung. Viele Zuhörer hatten ja null Ahnung, was da auf sie zukommt. Bei Till Brönner oder Al Di Meola, da weiß man das. Oder Miriam Makeba: Ihr Auftritt dokumentierte, dass Musik eine Weltsprache ist, die sich aus vielen Dialekten nährt.
Sie haben den Nachwuchs angesprochen. Da fällt einem spontan der Name des Oberkochener Trompeters Axel Schlosser ein.
Ja, ein Musterbeispiel, er ist mit den Jazz Lights aufgewachsen. Er sagt selbst, dass ihm die Jazz Lights den letzten Kick gegeben haben, Musiker zu werden. Als Schüler hat er oft unsere Konzerte und Workshops besucht. Dieses Jahr steht er bereits zum wiederholten Mal selbst auf der Jazz-Lights-Bühne (mit der Bigband des Hessischen Rundfunks, Freitag, 17. März, 19.30 Uhr, Schloss Kapfenburg, bereits ausverkauft. Anm. d. Red.). Ich möchte aber auch den Stuttgarter Posaunisten und Komponisten Frank Heinz erwähnen, den ich als Lehrer an die Musikschule Oberkochen/Königsbronn vermittelt habe. Wir werden ihn und seine Band am Mittwoch, 29. März, um 20 Uhr im Oberkochener Bürgersaal gemeinsam mit unserer Sinfonietta hören – hauseigene Kräfte sozusagen. Da wird schon ein Schwerpunkt der Jazz Lights deutlich: Crossover zwischen Jazz und Klassik.
Erläutern Sie doch diesen Schwerpunkt.
Mit dieser Mischung haben sich die Jazz Lights ein besonderes Profil gegeben. Mir ist es ein Anliegen, diese spannenden Verbindungen aufzuzeigen. Musik im weitesten Sinn muss ja nicht neu erfunden werden. Heute zeigt sich die Qualität eines Musikers oder Komponisten darin, wie er das Vorhandene zusammen- setzt, einfärbt und neu interpretiert. Unter Fusion verstehen die Jazzfans die Mischung aus Jazz und Rock und vielleicht noch die Mischung aus Rock und Klassik, aber Jazz und Klassik? Zwei bisher angeblich unvereinbare Elemente. Das ist sicher bis heute noch nicht unbedingt massentauglich, das finde ich spannend. Tatsächlich haben es sich die Jazz Lights zur Aufgabe gemacht, unterschiedliche Musiker und Stile zusammenzubringen und in den vergangenen Jahren immer wieder großartige Crossover-Projekte realisiert. Als Beispiel sei hier Jacques Loussier genannt, der bereits Ende der 50er mit seinem Play-Bach-Konzept startete – zu einer Zeit, als es zumindest bei uns den Begriff Crossover noch gar nicht gab. Auch in diesem Jahr erwartet das Publikum am Samstag, 1. April, in der Carl Zeiss Kulturkantine ein Gipfeltreffen des Jazz-KlassikCrossover, das in seiner Eigenart und Einzigartigkeit an die bisherigen Abschlusskonzerte des Festivals anknüpft: David Gazarov, der zu den beeindruckendsten Pianisten seiner Generation gehört, zelebriert mit seinem Trio einen Abend mit Musik „Von Bach bis Broadway“, bei dem u.a. George Gershwins „Rhapsody In Blue“und eine Hommage an den Play BachBegründer Jacques Loussier auf dem Programm stehen. Presse und Publikum haben David Gazarov einstimmig zu Jacques Loussiers Nachfolger auserkoren. Die philharmonischen Akzente setzt an diesem Abend das Stuttgarter Kammerorchester, das seit über 65 Jahren eine Spitzenstellung in der internationalen Orchesterlandschaft einnimmt.
Eines Ihrer Kinder ist auch die Reihe „Oberkochen dell' Arte“.
Ja, wir sind 2011 gestartet mit einem ehrgeizigen Ziel. Nach dem Ende des Kulturrings Carl Zeiss war Oberkochen in Sachen Kultur relativ clean. Gleichzeitig hatten die Nachbargemeinden und -städte deutlich aufgerüstet und es war nicht einfach, hier noch eine gute Adresse hinzuzufügen. Die Herausforderung war, Dinge zu kreieren, die andernorts nicht angeboten wurden. Das hat wunderbar funktioniert, wir haben ein treues Stammpublikum, das sich allerdings in Sachen Anspruch und Qualität auch auf uns verlässt.
Mit Thomas Ringhofer ist ein Nachfolger als städtischer Kulturbeauftragter bereits gefunden. Wann wird der Staffelstab übergeben?
Ich bin froh, dass wir mit Thomas Ringhofer einen guten Mann gefunden haben. Es gibt nicht viele, die den dafür benötigten Background mitbringen. Er fängt zum 1. April an. Meine Zeit endet offiziell am 10. Mai. Aber es wird ein Ausstieg mit Bremsweg, der durch die Einarbeitung meines Nachfolgers durchaus bis Ende des Jahres dauern könnte.
„Bis Ende der 80er war hier in der Region in Sachen Jazz ein absolutes Vakuum“, sagt Reinhold Hirth, seit 2011 Kulturbeauftragter in Oberkochen. „Rückblickend war die Partnerschaft aus Familienunternehmen und Stadt die ideale Basis für dieses Vorhaben.“ „Eine Art ,Best of Jazz Lights’ zu kompilieren, würde kostbare musikalische Momente ausschließen.“